Entscheidungsstichwort (Thema)
Kumulative Begründung des angefochtenen Urteils; grundsätzliche Bedeutung; Treu und Glauben; Divergenz
Leitsatz (NV)
1. Ist ein Urteil kumulativ begründet, weil jede der Begründungen für sich das Ergebnis des angefochtenen Urteils trägt, so muss für eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde mindestens für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund schlüssig dargelegt werden.
2. Mit der Rüge, der auch zugunsten der Finanzbehörde eingreifende Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung eines “venire contra factum proprium” sei zu Unrecht angewendet worden, wird lediglich ein nicht zur Zulassung der Revision führender Einwand gegen die sachliche Richtigkeit des Urteils geltend gemacht.
3. Die Beurteilung, ob der Grundsatz von Treu und Glauben zum Zuge kommt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, so dass die Anwendung dieses Grundsatzes einzelfallbezogen und damit insoweit einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
Normenkette
BGB § 242; EStG § 17 Abs. 4; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.11.2005; Aktenzeichen 12 K 200/00) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Einwendungen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) bezüglich der Beweiswürdigung des Finanzgerichts (FG) zulässige und begründete Verfahrensrügen i.S. von § 76 Abs. 1 Satz 1 und § 96 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO enthalten und entsprechend den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend substantiiert dargetan worden sind (allgemein zu den Anforderungen an eine Verfahrensrüge Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Juli 2006 VIII B 233/05, BFH/NV 2006, 2110, m.w.N.).
Bei einer sog. kumulativen Begründung, von der jede für sich das Ergebnis des angefochtenen Urteils trägt, muss mindestens für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund schlüssig dargetan werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. April 2006 VIII B 141/05, BFH/NV 2006, 1465; vom 20. Juli 2005 XI B 95/03, BFH/NV 2005, 2032).
Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerde indes hinsichtlich der eigenständig auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützten Entscheidung des FG nicht.
1. Soweit der Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht, wird damit kein Zulassungsgrund dargetan. Von vornherein unbeachtlich sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können; denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten.
Gleiches gilt hinsichtlich der vom Kläger behaupteten unzulänglichen Beweiswürdigung, die revisionsrechtlich ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnen ist (BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).
Einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfordert, hat der Kläger weder schlüssig dargetan, noch sind angesichts der Würdigung des Sachverhalts durch das FG Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.
Für einen derartigen Mangel eines angefochtenen Urteils kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht. Dazu reicht indes nicht eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 799, m.w.N.).
2. Der Kläger hat gegen die Anwendung des auch im öffentlichen Recht zugunsten der Finanzbehörde eingreifenden Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37, 39), hier in der Ausprägung als ein venire contra factum properium, lediglich eingewandt, er sei im Streitfall zu Unrecht angewendet worden, weil zum einen seine Kenntnis von der schwebenden Unwirksamkeit des "Geschäftsanteilsübertragungsvertrages" vom 3. März 1988 bezüglich seiner bei dessen Abschluss noch minderjährigen Schwester vor dem Jahr 1994 nicht erwiesen sei und im Übrigen auch erst nach einer mehr als 6 Jahre betragenden Anwendung des Vertrages zum Zuge kommen könne.
Damit hat der Kläger indes keine Zulassungsgründe hinsichtlich dieser, das angefochtene Urteil eigenständig tragenden Begründung substantiiert dargetan, sondern allenfalls einen materiell-rechtlichen Mangel des Urteils behauptet, der indes nicht zur Zulassung der Revision führt, sondern allenfalls im Rahmen einer zugelassenen Revision erheblich sein könnte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Mai 2006 VIII B 160/05, BFH/NV 2006, 1477; vom 30. Juni 2004 VII B 325/03, juris).
Insbesondere sind mit diesen Einwendungen und den angefügten Zitaten weder eine Divergenz nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zu dem zitierten Urteil des Landgerichts (LG) Frankfurt vom 13. April 1999 2/8 S 114/98 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 3566) hinreichend dargetan (zu den Anforderungen einer Divergenzrüge vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 799, m.w.N.) noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (zu den Darlegungsanforderungen BFH-Beschluss vom 19. Januar 2006 VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709, m.w.N.).
Soweit der Kläger die Kommentarstelle aus Palandt (Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl., § 108 Rz 4) zitiert, wird dort ausgeführt, bei Berufung des Minderjährigen erst nach längerer Zeit auf die schwebende Unwirksamkeit könne Rechtsmissbrauch vorliegen, wobei u.U.nach dem Urteil des LG Frankfurt in NJW 1999, 3566 6 Jahre noch nicht ausreichten.
Im vorliegenden Streitfall ist indes nicht ein Rückforderungsanspruch des volljährig gewordenen Minderjährigen zu beurteilen, sondern das Verhalten des Klägers als stets volljährigem Dritten. Zum anderen hängt die Beurteilung, ob der Grundsatz von Treu und Glauben anwendbar ist und hier der Geltendmachung eines Auflösungsverlustes nach § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes entgegensteht, stets von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, so dass die Anwendung dieses Grundsatzes einzelfallbezogen und einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 21. April 1999 VII B 274/97, BFH/NV 1999, 1386, m.w.N.; ferner BFH-Beschluss vom 15. Februar 2006 I B 168/05, BFH/NV 2006, 1121).
Fundstellen