Leitsatz (amtlich)
Der Anwendung des § 47 GKG im Verfahren vor dem Finanzgericht wegen verspäteter Einreichung eines Schriftsatzes steht nicht entgegen, daß das Finanzgericht durch § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, und daß nach § 77 Abs. 1 Satz 1 FGO die Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze nur einreichen "sollen", nicht aber einreichen "müssen".
Normenkette
FGO § 140 Abs. 1; GKG § 47
Tatbestand
Nachdem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die ihm von der Geschäftsstelle des FG für die Vorlage der Prozeßvollmacht und Einreichung der Klagebegründung aufgrund richterlicher Anordnung zum 20. Oktober 1968 gesetzte Frist versäumt hatte, wurden er und der Kläger auf den 27. November 1968 zur mündlichen Verhandlung geladen. Am Tage vor diesem Termin gingen die Vollmacht und die Klagebegründungsschrift beim FG ein. Zur Verhandlung erschien lediglich der Vertreter des beklagten FA. Dieser stellte nach Entgegennahme der Klagebegründung den Antrag, die Sache zur weiteren Vorbereitung zu vertagen. Das FG kam zu der Überzeugung, daß infolge eines Verschuldens des Klägers oder seines Prozeßbevollmächtigten die Vertagung der mündlichen Verhandlung notwendig geworden sei. Es entsprach deshalb dem Vertagungsantrag und gab dem Kläger Gelegenheit, sich in der Frage der schuldhaften Verursachung der Vertagung zu äußern. Daraufhin machte der Kläger geltend: Mit der Klagebegründung habe er beantragt, das Verfahren wegen der Einkommensteuer 1966 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Einkommensteuer 1965 auszusetzen, weil in beiden Veranlagungszeiträumen dieselbe Frage, nämlich die Zulässigkeit der AfA nach § 7b EStG streitig sei. Zudem sei der Einkommensteuer-Bescheid für 1966 in diesem Punkte für vorläufig erklärt worden. Ihn - den Kläger - treffe kein Verschulden dafür, daß sich der Vertreter des FA in der mündlichen Verhandlung außerstande erklärt habe, zu der ihm gerade übergebenen Klagebegründung abschließend Stellung zu nehmen. Ihr Inhalt sei dem FA schon im Einspruchsverfahren bekanntgeworden. Das FA habe in einem späteren Schriftsatz selbst erklärt, die Klagebegründung bringe keine neuen Gesichtspunkte.
Das FG ließ diese Erklärung nicht als Entschuldigung gelten und erlegte dem Kläger gemäß § 140 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 47 GKG eine Gebühr von 60 DM auf. Zur Begründung führte es aus: Die Klagebegründung habe verschiedene neue, nicht bewiesene und nicht glaubhaft gemachte tatsächliche Behauptungen sowie auch neue Gesichtspunkte enthalten. Dieses neue Vorbringen habe für die Entscheidung rechtserheblich sein können. Dem FA sei nicht zuzumuten gewesen, sich zu ihm sofort und verbindlich zu erklären. Um dem FA Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und um die Sache weiter vorbereiten zu können, habe das Gericht den Termin vertagen müssen. Für die vom Kläger in der Klagebegründung beantragte Aussetzung des Verfahrens hätten die Voraussetzungen der §§ 74, 155 FGO sowie der §§ 239 ff. und des § 251 ZPO nicht vorgelegen. Die Verzögerungsgebühr habe es nach dem Streitwert von 1 890 DM bemessen und auf 60 DM abgerundet; Gesichtspunkte für eine Ermäßigung seien nicht vorgetragen.
Mit der Beschwerde gegen den Beschluß des FG wiederholte der Kläger im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und fügte hinzu, die FGO gestatte es, bei Klageerhebung nur die Mindestanforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, wie Bezeichnung des Streitgegenstandes und des angefochtenen Verwaltungsakts, zu erfüllen und erst in der mündlichen Verhandlung die Klage unter eventueller Angabe neuer Tatsachen und Beweismittel zu begründen. Da die FGO durch § 76 Abs. 1 das FG verpflichte, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, enthalte sie in bezug auf die schriftsätzliche Vorbereitung des Verfahrens lediglich Soll-Vorschriften, deren Verletzung keine rechtlichen Folgen habe. Auch habe das FG sich nicht mit allen Ausführungen des Klägers auseinandergesetzt, insbesondere nicht mit dem Hinweis, daß das FA später erklärt habe, die Klagebegründung für 1965 enthalte gegenüber der Einspruchsentscheidung keine neuen Gesichtspunkte. Der Kläger hat beantragt, den angefochtenen Beschluß des FG aufzuheben, hilfsweise die Gebühr auf 1/4 herabzusetzen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG war gemäß § 140 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 47 GKG befugt, dem Kläger eine volle Gebühr besonders aufzuerlegen, weil durch Verschulden des Klägers oder seines Prozeßbevollmächtigten die Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 27. November 1968 nötig wurde.
Der Anwendung des § 47 GKG im Verfahren vor dem FG steht nicht entgegen, daß das FG durch § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, und daß nach § 77 Abs. 1 Satz 1 FGO die Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze nur einreichen "sollen", nicht aber einreichen "müssen". Denn das FG hat gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO bei der amtlichen Erforschung des Sachverhalts die Beteiligten hinzuzuziehen. Sein Vorsitzender (oder ein von diesem bestimmter Richter) hat schon vor der mündlichen Verhandlung die Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Satz 1 FGO). Er kann zu diesem Zwecke insbesondere die Beteiligten unter Fristsetzung auffordern, Schriftsätze zur Vorbereitung der Verhandlung einzureichen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 FGO) und diese Schriftsätze zu ergänzen oder zu erläutern (§ 79 Satz 3 FGO in Verbindung mit § 272b Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Aus diesen Pflichten und Rechten des Vorsitzenden folgt, daß der Kläger nicht davon ausgehen kann, es genüge, die in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO an eine Klage gestellten formellen Mindestanforderungen zu erfüllen und die Klagebegründung erst in der mündlichen Verhandlung vorzutragen. Wer als Prozeßbevollmächtigter eines Klägers auftritt, ohne die schriftliche Vollmacht vorzulegen, muß gemäß § 62 Abs. 3 FGO außerdem auch damit rechnen, daß ihm das Gericht zur Nachreichung der Vollmacht eine Frist bestimmt und daß die Versäumung dieser Frist rechtliche Folgen haben kann. Als daher der Prozeßbevollmächtigte des Klägers von der Geschäftsstelle des FG außer zur Vorlage der Vollmacht insbesondere zur Einreichung der Klagebegründung unter Fristsetzung aufgefordert war, mußten er und der Kläger sich aufgrund der Vorschriften der FGO darüber im klaren sein, daß diese Maßnahme dazu führen sollte, die Vertretungsbefugnis klarzustellen, den Kläger bei der Erforschung des Sachverhalts heranzuziehen und die Erledigung des Rechtsstreits in einer einzigen mündlichen Verhandlung zu ermöglichen. Als der Prozeßbevollmächtigte die ihm zum 20. Oktober 1968 gesetzte Frist ohne jegliche Antwort hatte verstreichen lassen, konnte ihm und dem Kläger nicht zweifelhaft sein, daß damit eine rechtmäßige, dem Prozeßbetrieb dienende Maßnahme mißachtet war. Ihm und dem Kläger hätte die vom FG am 8. November 1968 ausgesprochene Ladung zur mündlichen Verhandlung am 27. November 1968 deshalb besonderer Anlaß sein müssen, nunmehr die Vollmacht und die Klagebegründung so zeitig noch nachzureichen, daß sich die Fristversäumnis auf die mündliche Verhandlung nicht hätte auswirken können. Sie konnten nicht erwarten, daß die Nachreichung der Klagebegründung am Tage vor der mündlichen Verhandlung noch die Aufgabe erfüllen werde, dem Gericht in dieser Verhandlung eine Erledigung des Rechtsstreits zu ermöglichen. Nachdem zur Verhandlung weder der Prozeßbevollmächtigte noch der Kläger erschienen waren und der Vertreter des FA sich außerstande erklärt hatte, zu der ihm erst im Termin bekanntgewordenen Klagebegründung abschließend Stellung zu nehmen, war es erforderlich, dem Vertagungsantrag des FA stattzugeben. Den Kläger trifft jedenfalls die Verantwortung dafür, daß das FG seine auf Art. 103 Abs. 1 GG beruhende Verpflichtung, dem FA zu der Klagebegründung ausreichendes rechtliches Gehör zu gewähren, nur durch Vertagung der Sache erfüllen konnte. Dem Vertreter des FA war nicht zuzumuten, im Verhandlungstermin den Inhalt der Klagebegründungsschrift zu prüfen. Auch war infolge der Abwesenheit des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten eine Aussprache über die wesentlichsten Punkte des Rechtsstreits nicht möglich. Daran ändert es nichts, daß das FA später zu dem Ergebnis kam, daß die Klagebegründung gegenüber der Einspruchsentscheidung keine neuen Gesichtspunkte enthielt. Für die Frage, ob der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter die Vertagung der mündlichen Verhandlung verschuldet hat, ist ferner unerheblich, ob das FG dem Kläger eine Entscheidung über den in der Klagebegründung enthaltenen Aussetzungsantrag bekanntgegeben hat.
Soweit der Kläger durch die Anwendung des § 47 GKG für ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten einstehen muß, liegt auch kein Verstoß gegen das GG oder gegen rechtsstaatliche Grundsätze vor (vgl. die Entscheidung des BFH V B 32/69 vom 14. August 1969, BFH 96, 389, BStBl II 1969, 662).
Das FG war somit gemäß § 140 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 GKG berechtigt, dem Kläger von Amts wegen eine besondere Gebühr in Höhe der vollen Gebühr aufzuerlegen. Der Kläger hat keine Gesichtspunkte dafür vorgetragen, daß für das FG Anlaß bestanden hätte, die Gebühr gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG auf 1/4 der vollen Gebühr zu ermäßigen. Deshalb kann er auch mit seinem Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 68778 |
BStBl II 1970, 626 |