Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Untätigkeitsklage
Leitsatz (NV)
1. Die Rechtsfrage, wann eine Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 FGO unzulässig ist, wenn das FA mitgeteilt hatte, daß es wegen eines beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Musterprozesses keine Einspruchsentscheidung treffen könne, hat keine grundsätzliche Bedeutung.
2. Auch wenn die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf einen Verstoß gegen das Grundgesetz gerügt wird, muß die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 46 Abs. 1, §§ 74, 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 3
Gründe
Der Senat läßt dahingestellt, ob der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hinsichtlich des von der Bundespost nicht vollständig übermittelten Teils der Darlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Es braucht weiterhin nicht entschieden zu werden, ob die etwa versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist; Zweifel hieran bestehen deswegen, weil der Schriftsatz vom 29. Januar 1993 möglicherweise nicht im Rechtssinne unterschrieben, sondern lediglich paraphiert worden ist (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 12. September 1991 X R 38/91, BFH/NV 1992, 50, m.w.N.).
Soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, entspricht die Nichtzulassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der gerügte Verfahrensmangel besteht nicht.
1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht. Das Vorliegen dieser Voraussetzung muß in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hierzu ist ein schlüssiges und substantiiertes Vorbringen erforderlich; es genügt nicht die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung. Der Beschwerdeführer muß insbesondere auf die Rechtsfrage und ihre Klärungsbedürftigkeit eingehen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 115 Rdnr. 62).
Die Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen nicht.
a) In mehreren Entscheidungen hat sich der BFH auch mit den vom Bevollmächtigten der Klägerin in zahlreichen Verfahren vorgetragenen Argumenten befaßt, die Klageerhebung sei deswegen gerechtfertigt, weil die Rechtshängigkeit für die Dauer des Verfahrens einen Anspruch auf Prozeßzinsen auslöse (§ 236 der Abgabenordnung - AO 1977 -) und weil die Rechtsposition des Steuerpflichtigen in Anbetracht des gerichtlichen Verböserungsverbotes verbessert werde (z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1992 III B 24-25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 11. August 1992 III B 147/92, BFH/NV 1993, 311; Senatsbeschluß vom 30. November 1992 X B 18/92, nicht veröffentlich - NV -). Hiergegen hat die Klägerin keine neuen und gewichtigen Gründe vorgebracht, die es geboten erscheinen ließen, daß der BFH seinen Standpunkt erneut überprüft (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1977 IV B 16-17/77, BFHE 123, 48, BStBl II 1977, 760). Diese von der Klägerin aufgeworfenen Fragen sind geklärt und daher nicht klärungsbedürftig (vgl. auch Senatsbeschluß vom 18. Januar 1993 X B 14/92, BFH/NV 1993, 667).
b) Auch wenn die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf einen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) gestützt wird, muß die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Mai 1989 X R 189/88, BFH/NV 1990, 243; vom 11. Februar 1992 VII B 253/91, BFH/NV 1992, 753; vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842). Dies hat die Klägerin nicht getan.
Soweit in der Beschwerdeschrift verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen werden, läßt es die Klägerin bei der bloßen Behauptung bewenden, daß Verfahrensnormen, die den Rechtsweg eröffnen, nicht mißbrauchsfähig seien und daß der BFH mit der von ihm erfundenen Auffassung vom Mißbrauch der Untätigkeitsklage die Kläger in unverhältnismäßiger und unfairer Weise des Mindestrechtsschutzes beraube.
Die Klägerin übersieht, daß Ziel des gerichtlichen Rechtsschutzes immer nur das Ergehen einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Entscheidung sein kann. Der hierauf gerichtete und durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Anspruch des Klägers wird nicht durch eine Auslegung des Prozeßrechts beeinträchtigt, die diesen Anspruch weder inhaltlich noch zeitlich verkürzt und erklärtermaßen die Funktionsfähigkeit der Gerichte (einschließlich der Geschäftsstellen) erhalten will. Der substantielle Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 19. Juni 1973 1 BvL 39/69 und 14/72, BVerfGE 35, 263, 274f.) würde nur durch eine Zugangsbeschränkung verletzt, die unzumutbar und aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen wäre (vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 19 Abs. IV Rdnr. 233). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Entscheidung der Musterverfahren auch im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren abgewartet werden kann. Dies dient dem geordneten Gang der Rechtspflege, weil hierdurch insbesondere die Geschäftsstellen (§ 12 FGO), welche die zur Funktionsfähigkeit des Gerichts erforderlichen nichtrichterlichen Geschäfte zu erledigen haben, entlastet werden.
Der III.Senat des BFH hat seinen Grundsatzbeschluß vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673; Beschluß vom 11. August 1992 III B 143/92, BFH/NV 1993, 310) u.a. auf die Erwägung gestützt, daß auch dann, wenn die Finanzämter bei einer materiell- und verfahrensrechtlichen Konstellation wie der vorliegenden Einspruchsentscheidungen erließen, diese Verfahren auf die Finanzgerichte verlagert würden, ohne daß dadurch Fortschritte in der Sache zu erzielen wären; denn auch die Gerichte müßten das Klageverfahren - seine Zulässigkeit unterstellt - bis zur Entscheidung des BVerfG in den anhängigen Musterverfahren aussetzen oder formlos ruhen lassen (vgl. hierzu BFH-Beschluß in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung angeschlossen (u.a. Beschluß vom 30. November 1992 X B 18/92, NV).
Mit dem weiteren nicht näher erläuterten Hinweis darauf, daß gegen den Beschluß in BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 672 Verfassungsbeschwerde eingelegt worden ist, genügt die Klägerin nicht der Darlegungspflicht des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO.
2. Der gerügte Verfahrensmangel besteht nicht. § 74 FGO ist zumindest entsprechend anwendbar, wenn vor dem BVerfG die Gültigkeit einer gesetzlichen Vorschrift streitig ist. Nach dem Vortrag der Klägerin geht es bei den von ihr genannten Verfassungsbeschwerden um die Zulässigkeit von Untätigkeitsklagen und damit nicht um die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall anzuwendenden Norm (vgl. BFH-Beschluß vom 22. Januar 1993 III B 82/92, NV).
Fundstellen
Haufe-Index 419428 |
BFH/NV 1994, 51 |