Entscheidungsstichwort (Thema)
Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage; Darlegungserfordernisse bei der Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht; Entnahme aus dem Steueraussetzungsverfahren; Eingriff organisierter Kriminalität keine höhere Gewalt
Leitsatz (NV)
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht. An der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre.
2. Wird als Verfahrensfehler die Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht gerügt, so ist u.a. darzulegen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.
3. Zur schlüssigen Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG durch das Übergehen eines Beweisantrags gehört insbesondere der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war.
4. Die bloße Absicht, eine im Verfahren der Steueraussetzung befindliche Ware zu einem späteren Zeitpunkt vorübergehend nach einem anderen Ort als dem Bestimmungsort zu verbringen, führt noch nicht zur Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung.
5. Ein Eingriff der organisierten Kriminalität in ein Steuerversandverfahren kann nicht als höhere Gewalt angesehen werden, sondern stellt nur ein allgemeines Risiko dar, dem jeder unterliegt, der sich an einem solchen Verfahren beteiligt.
6. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten, beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht die Gleichheit vor dem Recht in ihrem Hoheitsbereich herzustellen. Ein Wirtschaftsteilnehmer kann von seinem Mitgliedstaat daher nicht verlangen, beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht genauso behandelt zu werden wie Wirtschaftsteilnehmer in anderen Mitgliedstaaten.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; EWGRL 12/92 Art. 6 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. a, Art. 14 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BranntwMonG § 143 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 23.07.2003; Aktenzeichen 3 K 1953/02) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) versandte am 7. April 1998 mit einem begleitenden Verwaltungsdokument 27 000 Liter Alkohol, der zur Ausfuhr unter Steueraussetzung nach Weißrussland bestimmt war, zum Zollamt (ZA) Genua. Nach Erledigung dieses Steueraussetzungsverfahrens überführte sie beim ZA Genua den Alkohol in das interne gemeinschaftliche Versandverfahren mit der Bestimmungsstelle Frankfurt/Oder. Die Ware wurde jedoch zunächst nach Berlin zur Spedition E verbracht, die nicht zum Bezug von Alkohol unter Steueraussetzung berechtigt war. Von dort wurde der Alkohol unter Vorlage gefälschter Ausfuhrpapiere und als Bühnenstahlgerüste deklariert über das Zollamt A nach Tschechien ausgeführt.
Das Hauptzollamt H, dessen Zuständigkeit zwischenzeitlich auf den Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) übergegangen ist, setzte mit Bescheid vom 29. Januar 2001 gegen die Klägerin als Versenderin des Alkohols Branntweinsteuer fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2001) erhobene Klage ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Branntweinsteuer sei nach § 143 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) i.d.F. des Art. 3 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150, 2166) entstanden. Der Alkohol sei von Italien nach Deutschland transportiert worden. Bei dem internen gemeinschaftlichen Versandverfahren, in welches beim ZA Genua der Alkohol übergeführt worden sei, habe es sich um ein Steueraussetzungsverfahren gehandelt. Unabhängig davon, ob der Alkohol diesem Verfahren bereits durch das Verbringen nach Berlin zur E entzogen worden sei, sei die Entziehungshandlung spätestens darin zu sehen, dass bei der Ausgangszollstelle eine andere als die in das Verfahren übergeführte Ware angemeldet worden sei und hierbei gefälschte Versandpapiere vorgelegt worden seien. Die tatsächliche Ausfuhr des Alkohols nach Tschechien stehe der Annahme der Steuerentstehung nicht entgegen. Die Klägerin sei als Versenderin Steuerschuldnerin geworden, ohne dass es darauf ankomme, ob sie die Ware dem Steueraussetzungsverfahren entzogen habe, ob sie eine Zuwiderhandlung begangen habe oder ob ihr ein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen sei. Die deutsche Zollverwaltung sei für die Erhebung der Branntweinsteuer zuständig. Der Ort der Zuwiderhandlung habe in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) gelegen, weil hier die Papiere ausgetauscht worden seien und bei der deutschen Ausgangszollstelle unter Vorlage gefälschter Versandpapiere eine andere als die in das Verfahren übergeführte Ware angemeldet worden sei. Anhaltspunkte für eine frühere Entziehungshandlung in Italien seien nicht ersichtlich. Die Steuer habe noch festgesetzt werden dürfen, weil die Festsetzungsfrist im Streitfall gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zehn Jahre betrage. Die Branntweinsteuer sei hinterzogen worden. Die Verlängerung der Festsetzungsfrist treffe auch die Klägerin, welche die Steuerhinterziehung nicht selbst begangen habe. Die Klägerin könne sich nicht nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 entlasten, weil an der Tat eine Person beteiligt gewesen sei, deren sie sich zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten bedient habe. Sie sei als Versenderin verpflichtet gewesen, den unter Steueraussetzung stehenden Alkohol zu befördern und auszuführen. Hierzu habe sie sich einer Spedition und des Fahrers D als deren Hilfsperson bedient.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Die Revision sei zuzulassen, weil die Vorentscheidung auf Verfahrensmängeln beruhe. Das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, weil es keinen Beweis darüber erhoben habe, ob die Personen, welche die kriminellen Handlungen begangen hätten, ihre Erfüllungsgehilfen gewesen seien. Das FG habe auch nicht aufgeklärt, ob sie sich nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 habe entlasten können, obwohl sie vorgetragen habe, alle Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen getroffen zu haben. Ferner sei das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik zustehe, obwohl sie Beweis dafür angetreten habe, dass der Ort der Zuwiderhandlung nicht feststehe und deshalb Italien für die Steuererhebung als Abgangsmitgliedstaat zuständig gewesen sei.
Die Revision sei auch nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Es sei die Frage zu klären, ob § 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG den Vorgaben des Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren --RL 92/12-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) entspreche. Darüber hinaus sei zu klären, ob § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12 zu vereinbaren sei, da eine Steuerbefreiung für Verluste, die infolge höherer Gewalt entstanden seien, nach deutschem Recht nicht vorgesehen sei. Die Vorentscheidung leide zudem an einem Fehler von erheblichem Gewicht, der geeignet sei, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, weil das FG Art. 20 Abs. 3 RL 92/12 nicht angewendet habe. Das FG habe auch rechtsfehlerhaft Art. 14 Abs. 1 RL 92/12 nicht berücksichtigt.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass die von ihr geltend gemachten Verfahrensmängel vorliegen bzw. die Vorentscheidung auf diesen Mängeln beruhen kann, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.
Wird als Verfahrensfehler die Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gerügt, so ist unter anderem darzulegen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, 394; Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2003 VII B 370/02, BFH/NV 2004, 843, 844).
a) Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass das FG bei einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es den Fragen nachgegangen wäre, ob sie sich der Personen, welche die kriminellen Handlungen begangen haben, zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten bedient hat und ob sie alle Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen getroffen hat. Selbst wenn das FG festgestellt hätte, dass die Personen, welche die Steuerhinterziehungen begangen haben, nicht ihre Hilfspersonen waren und sie auch alle im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen getroffen hatte, hätte es noch nicht von der Geltung einer kürzeren als der nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 vorgesehenen zehnjährigen Festsetzungsfrist ausgehen können. Denn die Klägerin hätte nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 auch nachweisen müssen, dass sie durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat (vgl. Senatsurteil vom 31. Januar 1989 VII R 77/86, BFHE 156, 30, 32, BStBl II 1989, 442). Hierzu hat die Klägerin jedoch nichts vorgetragen.
b) Soweit die Klägerin sinngemäß rügt, das FG habe zum Ort der Zuwiderhandlung im Steueraussetzungsverfahren weitere Ermittlungen anstellen müssen, hat sie nicht schlüssig dargelegt, warum sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung auch ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen.
Das FG hat angenommen, der Alkohol sei in der Bundesrepublik dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden, weil hier die Papiere ausgetauscht worden seien und bei der deutschen Ausgangszollstelle unter Vorlage gefälschter Versandpapiere eine andere als die in das Verfahren übergeführte Ware angemeldet worden sei. Dass das FG "spätestens" in der Falschanmeldung der Ware unter Vorlage gefälschter Versandpapiere ein Entziehen des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren gesehen hat, bedeutet --anders als die Klägerin meint-- nicht, dass aus der Sicht des FG Anzeichen für eine frühere Entziehungshandlung außerhalb des Steuergebiets (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BranntwMonG) bestanden. Denn diese Ausführungen im angefochtenen Urteil beziehen sich lediglich auf das vom FG festgestellte Verbringen des Alkohols nach Berlin zur E und damit auf die Beförderung innerhalb des Steuergebiets. Das FG hat überdies keine Anhaltspunkte für eine frühere Entziehungshandlung in Italien erkennen können. Die Klägerin hat nicht dargelegt, warum das FG hätte ernsthaft in Betracht ziehen müssen, dass die Versandpapiere bereits in Italien ausgetauscht worden waren. Soweit gegen die Klägerin in Italien Besteuerungs- und Strafverfahren eingeleitet worden waren, die später wieder eingestellt worden sind, hat sie nicht aufgezeigt, auf Grund welcher Umstände ein Entziehen des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren zunächst in Italien festgestellt worden sein soll.
Die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte sich dem FG auch nicht deshalb aufdrängen müssen, weil sich aus den ihm vorliegenden Akten ergab, dass nach dem Ladeauftrag und dem Transportauftrag als Entladeort für den Alkohol Berlin vorgesehen war. Das FG musste insbesondere nicht der Frage nachgehen, ob die Klägerin und das ZA Genua schon bei der Eröffnung des Versandverfahrens über den wahren Bestimmungsort des Alkohols getäuscht worden waren. Denn dies hätte nicht zur Folge gehabt, dass der Alkohol bereits bei der Überführung in das interne gemeinschaftliche Versandverfahren in Italien dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden wäre. Hierin konnte das FG unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Senats zum Begriff des Entziehens eines Erzeugnisses aus dem Steueraussetzungsverfahren (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 2002 VII R 48/01, BFHE 200, 66, 71) allenfalls eine noch nicht zur Steuerentstehung führende Vorbereitungshandlung sehen. Denn die bloße Absicht, eine im Verfahren der Steueraussetzung befindliche Ware zu einem späteren Zeitpunkt vorübergehend nach einem anderen Ort als dem Bestimmungsort zu verbringen, führt noch nicht zur Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a RL 92/12).
c) Sofern das Vorbringen der Klägerin dahin zu verstehen sein sollte, dass das FG ihre Beweisanträge übergangen habe, hat sie auch insoweit einen Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt. Zur schlüssigen Darlegung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG durch das Übergehen eines Beweisantrags (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gehört insbesondere der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608; Senatsbeschluss vom 15. November 2001 VII B 40/01, BFH/NV 2002, 373, 376). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter --ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust, so z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, zur Folge.
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem FG das Unterlassen der von ihr beantragten Erhebung von Beweisen durch ihren fachkundigen Prozessbevollmächtigten gerügt hat. Es sind auch keine Gründe dafür erkennbar, dass die rechtzeitige Rüge des behaupteten Verfahrensfehlers auf Grund des Verhaltens des FG nicht möglich gewesen wäre.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2004 VII B 110/03, BFH/NV 2004, 1310, 1312). Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen sind nicht klärungsfähig. An der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 15. September 1995 V B 59/95, BFH/NV 1996, 439, 440; Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 260/02, BFH/NV 2004, 69, 71). So liegt es hier.
a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob § 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG den Vorgaben des Art. 20 Abs. 2 RL 92/12 entspricht, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn nach den Feststellungen des FG konnte ermittelt werden, wo der Alkohol dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden ist. Im Streitfall wurde bei einer deutschen Ausgangszollstelle unter Vorlage gefälschter Versandpapiere eine andere als die in das Verfahren übergeführte Ware angemeldet, nachdem zuvor in der Bundesrepublik die Papiere ausgetauscht worden waren (vgl. hierzu das Senatsurteil in BFHE 200, 66, 72). § 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG ist daher auf den Streitfall nicht anwendbar.
b) Nicht entscheidungserheblich wäre in einem Revisionsverfahren auch die weitere von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG, der keine Steuerbefreiung für Verluste vorsieht, die infolge höherer Gewalt entstanden sind, mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12 zu vereinbaren ist (vgl. hierzu Jatzke, Die steuerlichen Folgen bei Diebstahl von unter Steueraussetzung stehenden verbrauchsteuerpflichtigen Waren, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 1997, 408, 409 f.). Denn im Streitfall könnte auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin an der Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren nicht beteiligt war, kein Fall höherer Gewalt angenommen werden.
Unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der höheren Gewalt fallen ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluss hatte und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 11. Juli 2002 Rs. C-210/00 --Käserei Champignon Hofmeister--, EuGHE 2002, I-6453 Rdnr. 79; Senatsurteil vom 21. November 2002 VII R 67/98, BFH/NV 2003, 358, 359). Der Begriff der höheren Gewalt umfasst danach nicht jedes schuldlose Verhalten (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2003, 358, 359). Ein Eingriff der organisierten Kriminalität in ein Versandverfahren kann nicht als höhere Gewalt bewertet werden, sondern stellt nur ein allgemeines Risiko dar, dem jeder unterliegt, der sich am gemeinschaftlichen Versandverfahren beteiligt. Das bestehende Risiko ist deshalb für den Beteiligten vorhersehbar mit der Folge, dass er sich darauf einstellen kann und muss (vgl. Senatsurteil vom 17. August 2000 VII R 108/95, BFHE 192, 140, 144; vgl. auch Gericht erster Instanz, Urteil vom 12. Februar 2004 Rs. T-282/01 --Aslantrans--, ZfZ 2004, 197 Rdnr. 58 --zu Art. 905 Abs. 1 der Zollkodex-Durchführungsverordnung--). Sofern der italienische Gesetzgeber Handlungen Dritter, die dem Betroffenen nicht auf Grund von Vorsatz oder offensichtlicher Fahrlässigkeit angelastet werden können, den Verlusten, die durch Untergang oder infolge höherer Gewalt entstanden sind, --wie die Klägerin vorträgt-- "gleichgestellt" haben sollte, hätte der Senat schon mangels Entscheidungserheblichkeit nicht darüber zu befinden, ob eine derartige Regelung mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12 zu vereinbaren wäre. Anders als die Klägerin meint, können unterschiedliche gesetzliche Regelungen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12 auch keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) begründen. Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts ist grundsätzlich Aufgabe der Mitgliedstaaten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich, die Gleichheit vor dem Recht in ihrem Hoheitsbereich herzustellen. Schon deshalb kann kein Wirtschaftsteilnehmer von seinem Mitgliedstaat, gestützt auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, verlangen, beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts genauso behandelt zu werden wie die Wirtschaftsteilnehmer in anderen Mitgliedstaaten (vgl. Senatsbeschluss vom 26. November 1998 VII S 21/98, BFH/NV 1999, 532, 533).
c) Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. Februar 2004 weitere Rechtsfragen aufgeworfen hat, sind diese erst nach dem Ablauf der bis zum 6. November 2003 verlängerten Begründungsfrist vorgetragen worden und dürfen deshalb nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 22. April 1997 IX B 2/97, BFH/NV 1997, 694).
3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen, weil dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen wären, dass sie, würden sie nicht von einem Rechtsmittelgericht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, 799; vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFH/NV 2004, 1478, 1480).
Die von der Klägerin gerügte Nichtberücksichtigung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12 und des Art. 20 Abs. 3 RL 92/12 durch das FG kann schon deshalb nicht als Fehler von erheblichem Gewicht angesehen werden, weil diese Bestimmungen nach den vom FG getroffenen Feststellungen im Streitfall nicht einschlägig sind. Wie dargelegt, kann ein Fall höherer Gewalt nicht angenommen werden. Ferner konnte der Ort der Zuwiderhandlung bzw. Unregelmäßigkeit vom FG festgestellt werden. Dies unterscheidet den Streitfall von dem Sachverhalt, der dem von der Klägerin angeführten Urteil des EuGH vom 12. Dezember 2002 Rs. C-395/00 --Cipriani-- (EuGHE 2002, I-11877) zugrunde lag. Denn dort stand lediglich fest, dass der Stempelaufdruck auf den Begleitdokumenten, mit dem bescheinigt werden sollte, dass die Ware das Gebiet der Gemeinschaft verlassen hatte, gefälscht war, ohne dass der Ort der Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit bestimmt werden konnte (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 2002, I-11877 Rdnr. 18 und 45).
Fundstellen
Haufe-Index 1330608 |
BFH/NV 2005, 1018 |