Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer nicht wegen „struktureller Defizite“ verfassungswidrig; Fehlen von Entscheidungsgründen
Leitsatz (NV)
- Keine grundsätzliche Bedeutung hat die Frage, ob die Umsatzsteuer wegen struktureller Vollzugsdefizite verfassungswidrig sei.
- Dem Anspruch auf rechtliches Gehör entspricht zwar eine Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen. Das FG muss jedoch nicht zu allen Ausführungen der Beteiligten im Einzelnen Stellung nehmen und insbesondere nicht begründen, warum es einem Argument nicht folgt. Es genügt vielmehr, wenn die tragenden rechtlichen Erwägungen in der Entscheidung dargestellt werden.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2; GG Art. 3, 103 Abs. 1; UStG § 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 09.01.2003; Aktenzeichen 5 K 204/02) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt und Notar. Mit seiner Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1998 machte er im Wesentlichen geltend, er sei angesichts nicht kostendeckender Gebühren kein Unternehmer; die Erhebung von Umsatzsteuer verstoße gegen die verfassungsrechtlich garantierte Abwälzungsgarantie und das Neutralitätsgebot der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG); die Umsatzsteuer sei wegen struktureller Vollzugsdefizite verfassungswidrig. Die Klage hatte keinen Erfolg.
Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Offen bleiben kann, ob die Beschwerde zulässig ist; sie ist jedenfalls unbegründet.
1. Die vom Kläger (auch) im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Fragen waren bereits Gegenstand seiner die Umsatzsteuer 1994 bis 1997 und Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 1998 betreffenden Nichtzulassungsbeschwerde. Dazu hat der erkennende Senat entschieden, dass diese Fragen keine Zulassung der Revision erfordern, weil sie bereits geklärt sind. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 11. Dezember 2001 1 BvR 1821/01 nicht zur Entscheidung angenommen. Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigten, liegen nicht vor.
Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die Frage, ob die Umsatzsteuer wegen "struktureller Vollzugsdefizite (Umsatzsteuermissbrauch durch organisierte Kriminalität und Umsatzsteuerhinterziehung durch Schwarzarbeit)" verfassungswidrig sei.
Sie lässt sich ohne weiteres anhand der Rechtsprechung des BVerfG beantworten. Danach führt eine Belastungsungleichheit, die durch Vollzugsmängel bei der Steuererhebung, wie sie immer wieder vorkommen können und sich auch tatsächlich ereignen, hervorgerufen wird, noch nicht zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung einzelner Steuerpflichtiger. Wenn sich jedoch eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig auswirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm (Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C. I. 1. d). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, insbesondere wenn darüber hinaus ―wie hier― sowohl Gesetzgeber (vgl. Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze vom 19. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3922) wie auch Verwaltung entsprechende Maßnahmen zur Durchsetzung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ergreifen.
2. Der vom Kläger gerügte Umstand, das Finanzgericht (FG) habe sein Vorbringen, die Umsatzsteuer sei wegen struktureller Vollzugsdefizite verfassungswidrig, nicht zur Kenntnis genommen und sich in keiner Weise mit der Entscheidung auseinander gesetzt, stellt keinen Verfahrensmangel dar. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) entspricht zwar eine Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen. Das FG muss jedoch nicht zu allen Ausführungen der Beteiligten im Einzelnen Stellung nehmen und insbesondere nicht begründen, warum es einem Argument nicht folgt. Es genügt vielmehr, wenn die tragenden rechtlichen Erwägungen in der Entscheidung dargestellt werden (BVerfG-Beschluss vom 8. Oktober 1985 1 BvR 33/83, BVerfGE 70, 288, 293; Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschlüsse vom 20. Dezember 1994 V B 3/94, BFH/NV 1995, 946, und vom 1. Dezember 1999 XI B 88/98, XI B 89/98, BFH/NV 2000, 730). Das FG hat sich mit den Einwänden des Klägers zur Verfassungsmäßigkeit der Umsatzsteuer befasst, diese bejaht und die wesentlichen Gründe dargestellt. Dass es das Vorbringen unerörtert gelassen hat, das nach seiner (des FG) Rechtsauffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist, rechtfertigt keine Zulassung der Revision (vgl. BVerfG in BVerfGE 70, 288, 293; BFH-Beschluss vom 10. Mai 2002 VII B 130/01, BFH/NV 2002, 1314, m.w.N.).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen