Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Anforderungen einer auf Verfahrensmängel gestützten NZB bei einer Klage gegen eine Ermessensentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Es ist Sache der Verwaltungsbehörden, den für eine Ermessensentscheidung (hier: betr. Erlaß von Säumniszuschlägen) erheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend zu ermitteln.
2. Fehlt es an einer derartigen Sachverhaltsermittlung, leidet das die Klage gegen die Ermessensentscheidung abweisende Urteil unter einem materiellen Mangel und nicht unter einem Verfahrensfehler.
3. War für die Ablehnung des Erlasses von Säumniszuschlägen ein anderes Verfahren vorgreiflich, darf und muß das FG im anschließenden Klageverfahren entscheiden, ob die Ablehnung des Erlasses nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Ergehens der Beschwerdeentscheidung rechtmäßig oder ermessensfehlerhaft war. Eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO wegen des (angeblich) vorgreiflichen Verfahrens kommt nicht in Betracht. Die Nichtaussetzung des Klageverfahrens durch das FG ist kein Verfahrensfehler.
Normenkette
FGO §§ 74, 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3
Gründe
Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. In der Beschwerdeschrift muß der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die Verfahrensrüge muß schlüssig sein (Gräber /Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Anm. 65).
Verfahrensmängel sind Verstöße des Finanzgerichts (FG) gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts. Ein Verfahrensfehler liegt nur vor, wenn das FG unter Zugrundelegung seiner materiell-rechtlichen Auffassungen gegen Verfahrensrecht verstoßen hat.
Derartige Verfahrensfehler sind in der Beschwerdeschrift nicht schlüssig gerügt.
Im Streitfall geht es um eine Klage wegen Erlaß von Säumniszuschlägen. Wie das FG in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, hatte es gemäß § 102 FGO lediglich zu überprüfen, ob die Ablehnung des Erlasses durch die Verwaltungsbehörden ermessensfehlerhaft war. Dabei war es Sache der Verwaltungsbehörden, den für die Ermessensentscheidung erheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend zu ermitteln (vgl. Gräber /von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 102 Anm. 15). Wäre es richtig, daß eine derartige Sachverhaltsermittlung fehlt, hätte das FG der Klage stattgeben müssen; das die Klage abweisende Urteil des FG litte dann unter einem materiell-rechtlichen Fehler und nicht unter einem Verfahrensfehler. Ein derartiger materiell-rechtlicher Fehler ist nicht gerügt worden; er könnte im vorliegenden Verfahren auch nur unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO (grundsätzliche Bedeutung und Divergenz) und in der Form des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO gerügt werden.
Entgegen der Ansicht des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) kam eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens nach § 74 FGO mit Rücksicht auf das angeblich vorgreifliche Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids für 1983 nicht in Betracht. Das FG durfte und mußte unabhängig von angeblich vorgreiflichen noch schwebenden Verfahren entscheiden, ob die Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Ergehens der Beschwerdeentscheidung rechtmäßig oder ermessensfehlerhaft war. Selbst wenn die den Erlaß ablehnende Beschwerdeentscheidung wegen eines vorgreiflichen Verfahrens nicht hätte ergehen dürfen, mußte und durfte das FG über die anschließende Klage ohne Aussetzung des Verfahrens entscheiden.
Soweit der Kläger beanstandet, daß das FG seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids für 1983 keine zur Klagestattgabe führende Bedeutung beigemessen hat, macht er auch hier keinen Verfahrensfehler, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler des Urteils geltend. Aus der Beschwerdeschrift ergibt sich jedenfalls nicht mit hinreichender Klarheit, warum das FG aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts nicht in der Lage gewesen sein soll zu beurteilen, ob die Oberfinanzdirektion ihre Ermessensentscheidung ihrerseits aufgrund eines einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts getroffen hat.
Verfahrensrügen, die sich auf den Erlaß der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer für 1986 beziehen, werden in der Beschwerdeschrift nicht mit hinreichender Deutlichkeit bezeichnet.
Im übrigen ergeht die Entscheidung ohne die Bekanntgabe einer weiteren Begründung (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
Fundstellen
Haufe-Index 424360 |
BFH/NV 1995, 710 |