Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungspflicht und Klärungsbedürftigkeit im Zulassungsverfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Aufzählung mehrerer BFH-Entscheidungen, verbunden mit der Behauptung, zu ihnen stehe das angefochtene Urteil im Widerspruch, ist keine ausreichende Begründung einer Divergenzrüge.
2. Hinsichtlich der Zurechnung von Tatsachen als bekannt im Rahmen der Änderung nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, auch in den Fällen, in denen die fehlende positive Kenntnis darauf beruht, daß Informationen nicht schriftlich festgehalten wurden, besteht i. d. R. kein Klärungsbedarf.
3. Als entscheidungserheblich läßt die Beschwerdebegründung einen Sachaufklärungsmangel nur erscheinen, wenn sie aus der materiell-rechtlichen Sicht der Vorinstanz ein Aufklärungsdefizit aufzeigt.
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, Abs. 3 S. 3
Gründe
Das Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben, teils weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), teils weil sie nicht gegeben sind.
1. Das angefochtene Urteil beruht hinsichtlich des maßgeblichen Streitpunkts -- Zurechnung der Kenntnis vom Widerruf der von der früheren Ehefrau des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) gemäß §10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes erteilten Zustimmungserklärung im Rahmen des §173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) -- auf der tatsächlichen Feststellung, daß die Widerrufserklärung dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) am 10. November 1993 zugegangen ist, und zwar dem Veranlagungsbezirk (Nr. 10), der später auch für die Einkommensteuerveranlagung des Klägers zuständig wurde und diesem gegenüber, am 1. Juni 1995 bzw. am 5. Juni 1996, die Erstbescheide für die Streitjahre 1994 und 1995 erließ. Diese Tatsachenfeststellung wird auch vom FA nicht bestritten. Dessen Einwände gegen die hieraus vom Finanzgericht (FG) gezogenen rechtlichen Folgerungen sind, für sich gesehen, in diesem Verfahren unbeachtlich (s. dazu u. a. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, §115 Rz. 58, 62, m. w. N.).
2. Im übrigen sind die in der Beschwerdeschrift erhobenen Rügen im einzelnen aus folgenden Gründen nicht geeignet, das Rechtsschutzbegehren durchzusetzen:
-- Die Beschwerdebegründung läßt keinen konkreten, das angefochtene Urteil tragenden Rechtssatz erkennen, der von dem tragenden Rechtssatz einer höchstrichterlichen Entscheidung i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO abweichen würde. Die Aufzählung von Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) und die allgemeinen Ausführungen hierzu genügen den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 FGO (dazu näher: BFH-Beschlüsse vom 6. August 1996 VIII B 94/95, BFH/NV 1997, 235; vom 16. August 1996 VIII B 103/95, BFH/NV 1997, 237, und vom 16. September 1996 VIII B 135--136/95, BFH/NV 1997, 298; Gräber, a. a. O., §115 Rz. 63, jeweils m. w. N.) nicht, zumal sich das FG auf dieselben höchstrichterlichen Erkenntnisse berufen hat.
-- Grundsätzliche Bedeutung hat die Sache nicht: Soweit zum Thema der Zurechnung von Kenntnissen noch Klärungsbedarf besteht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, §173 AO 1977 Rz. 16 ff., m. w. N.), bietet der Streitfall keine Aussicht auf Klärungsfähigkeit: Der aus dem unstreitig feststehenden Geschehensablauf vom FG gezogene Schluß, daß der Widerruf infolge des Zugangs beim Veranlagungsbezirk (Nr. 10) der (allerdings erst später) zur Entscheidung berufenen Dienststelle innerhalb des FA bekannt wurde und bis zur Entscheidung als bekannt zu gelten hat, steht im Einklang mit der einschlägigen BFH-Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung (s. die Nachweise bei Tipke/Kruse, a. a. O., Rz. 17 ff., und bei v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §173 AO 1977 Rz. 56, sowie im angefochtenen Urteil S. 9/10), weil der eigentliche Grund dafür, daß der Widerruf hier als bekannt zu gelten hat, auch vom FG darin gesehen wird, daß eine Kontrollmitteilung oder ein Aktenvermerk hätte gefertigt werden müssen (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1993 III R 74/92, BFH/NV 1994, 315, 318; FG-Urteil S. 10, m. w. N.). Gleiches gilt für die in diesem Zusammenhang in der Urteilsbegründung getroffene Feststellung, das FA sei konkrete Angaben zur Sachbehandlung nach Eingang des Widerrufs schuldig und insofern beweisfällig geblieben (s. Tipke/Kruse, a. a. O., Rz. 26 a, m. w. N.). Das Beschwerdevorbringen verspricht zu alledem für eine Revisionsentscheidung keine (grundlegend) neuen, über den Einzelfall hinausreichenden Erkenntnisse. Die von Tipke/Kruse (a. a. O., Rz. 16) vertretene abweichende, strengere Ansicht zur Zurechnung würde im Streitfall zum gleichen Ergebnis führen.
-- Ein Verfahrensmangel ist in der Beschwerdeschrift nicht hinreichend gemäß §115 Abs. 3 Satz 3 FGO "bezeichnet" (Gräber, a. a. O., §115 Rz. 65 und §120 Rz. 37 ff., m. w. N.): Welcher entscheidungserhebliche Beitrag zur Sachaufklärung im Streitfall sich aus den Akten der früheren Ehefrau des Klägers, aus dem Wechsel der Steuernummern und aus dem Umstand ergeben soll, daß beide Steuerpflichtige und die ihnen zuzuordnenden Steuerakten bei Eingang des Widerrufs (und bei Erlaß der Erstbescheide) in verschiedenen Veranlagungsbezirken geführt wurden, ist unklar, nachdem auch das FA selbst ausdrücklich bestätigt, daß der Widerruf -- unter welcher Steuernummer auch immer -- beim Veranlagungsbezirk Nr. 10 (der für die ursprünglichen Bescheide verantwortlichen Dienststelle) eingegangen ist und dort (s. o.) bei Erlaß der ursprünglichen Bescheide als bekannt zu gelten hat.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
Fundstellen
Haufe-Index 66429 |
BFH/NV 1998, 432 |