Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Beschwerde gegen einen Einstellungsbeschluß nach Klagerücknahme
Leitsatz (NV)
1. Einer Beschwerde gegen einen auf Klagerücknahme hin ergangenen Einstellungsbeschluß des FG fehlt grds. nicht das Rechtsschutzbedürfnis, obwohl im Einstellungsbeschluß nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht über das Vorliegen einer Klagerücknahme oder deren Wirksamkeit entschieden wird.
2. Zur Statthaftigkeit einer solchen Beschwerde.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 2 S. 2, § 128; BFHEntlG Art. 1 Nr. 4 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat mit Schriftsatz vom 17. Juli 1987 seine u. a. wegen Einkommensteuer 1981 und 1982 erhobene Klage beim Finanzgericht (FG) zurückgenommen. Mit Schriftsatz vom 20. Juli 1987 begehrte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers bezüglich des Verfahrens wegen Einkommensteuer 1982 vom FG Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen sowie die Verzinsung des Erstattungsanspruchs mit 4 v. H. ab Antragstellung auszusprechen.
Das FG beschloß am 22. Juli 1987 das Verfahren wegen Einkommensteuer 1981 und 1982 einzustellen, nachdem der Kläger die Klage zurückgenommen habe, und erteilte eine Rechtsmittelbelehrung, nach der gegen diesen Bschluß die Beschwerde gegeben ist. Im Begleitschreiben wies der Berichterstatter den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß eine Kostenerstattung gemäß seinem Schreiben vom 20. Juli 1987 nicht in Betracht komme, weil er die Klage zurückgenommen und nicht den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt habe. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses sind der Beschluß und das Begleitschreiben dem Prozeßbevollmächtigten am 28. Juli 1987 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 24. Juli 1987, beim FG eingegangen am 27. Juli 1987, hat der Prozeßbevollmächtigte in bezug auf die Klagerücknahme vom 17. Juli 1987 seine Erklärung dahingehend ,,ergänzt", daß er nicht die Klage zurücknehme, sondern die Hauptsache für erledigt erkläre und beantragt, die vorliegenden Kostenrechnungen vom 20. Juli 1987 durch Kostenfestsetzungsbeschluß festzustellen.
Mit Schreiben vom 27. Juli 1987 hat der Vorsitzende des zuständigen FG-Senats den Prozeßbevollmächtigten darauf hingewiesen, daß es bei dem Einstellungsbeschluß vom 22. Juli 1987 verbleibe und ihm die Einlegung der Beschwerde anheimgestellt.
Mit der Beschwerde vom 30. Juli 1987, der das FG nicht abgeholfen hat, führt der Prozeßbevollmächtigte des Klägers aus, daß er mit seiner Erklärung vom 17. Juli 1987 und der Ergänzung lt. Schreiben vom 24. Juli 1987 zum Ausdruck habe bringen wollen, daß die Hauptsache für erledigt erklärt werde und die Kosten des Verfahrens dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) auferlegt werden sollten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsbeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Es liegt entsprechend der Rechtsmittelbelehrung gegen den Beschluß des FG vom 22. Juli 1987 eine Beschwerde vor. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat dies in seiner Beschwerdeschrift unzweideutig zum Ausdruck gebracht. Bei dieser Sachlage ist für eine Umdeutung der Beschwerde in eine Anregung an das FG, das Verfahren fortzusetzen, kein Raum (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Januar 1987 VIII B 46/86, BFH / NV 1987, 524, m. w. N.).
2. Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaft. § 128 Abs. 2 FGO, wonach gewisse gerichtliche Maßnahmen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können, ist auf Einstellungsbeschlüsse nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht anwendbar (ständige Rechtsprechung, vgl. schon BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; vom 30. Januar 1980 VI B 116/79, BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300; in BFH / NV 1987, 524, m. w. N.).
3. Art. 1 Nr. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG), wonach u. a. gegen eine Entscheidung der FG in Streitigkeiten über Kosten die Beschwerde nicht gegeben ist, greift im Streifall nicht ein. Denn es geht hier vorgreiflich nicht um die Kostenfolge oder Kostenentscheidung, sondern darum, ob die Klage vom Kläger zurückgenommen oder die Hauptsache für erledigt erklärt wurde. Der Umstand, daß der Kläger an der Entscheidung allein wegen der Kostenfolge bzw. Kostenentscheidung ein Interesse haben könnte, rechtfertigt es nicht, die Sache als eine Streitigkeit über die Kosten i. S. des Art. 1 Nr. 4 Satz 1 BFHEntlG anzusehen (Senatsbeschluß vom 21. Mai 1987 IV R 101/86, nicht veröffentlicht).
4. Die Beschwerde ist auch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Allerdings wird im Einstellungsbeschluß nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht über das Vorliegen einer Klagerücknahme oder deren Wirksamkeit entschieden (BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543), weswegen hierzu der Senat schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen kann. Das Begehren des Klägers läßt jedoch erkennen, daß er sich mit einem Abschluß seines Verfahrens durch Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht abfinden will. Er ist demnach durch den Einstellungsbeschluß in seinen Rechten formell beeinträchtigt. Dies wird auch durch den Umstand deutlich, daß das FG seiner Beschwerde nicht abgeholfen hat (vgl. auch das Schreiben des Vorsitzenden des zuständigen FG-Senats vom 27. Juli 1987). Der Kläger kann sein Ziel nicht anders als durch eine Fortsetzung des Klageverfahrens erreichen. Im Rahmen eines solchen fortgesetzten Klageverfahrens kann nicht nur geltend gemacht werden, die Klagerücknahme sei unwirksam (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 21. Februar 1985 V B 75/84, BFH / NV 1986, 99), sondern auch, daß tatsächlich keine Klagerücknahme, sondern die Erledigung der Hauptsache erklärt worden sei. Die Beschwerde stellt schließlich auch ein geeignetes Mittel dar, das Verfahren vor dem FG wieder in Gang zu setzen (Beschluß in BFH / NV 1986, 99).
5. Da dem Einstellungsbeschluß des FG bezüglich der Frage, ob eine Klagerücknahme vorliegt oder nicht, keine materiell-rechtliche streitentscheidende Wirkung zukommt, ist vom FG noch eine dementsprechende Entscheidung im Urteilsverfahren zu treffen. Nach Sachlage kommt als Ausspruch in Betracht, daß die Klage zurückgenommen (vgl. BFH / NV 1987, 524; BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300; BFHE 104, 246, BStBl II 1972, 543; BFH-Beschluß vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 105, 291, BStBl II 1972, 352) oder in der Hauptsache erledigt ist (vgl. bei eingetretener Erledigung und einseitiger Erledigungserklärung durch den Kläger m. w. N. zur Rechtsprechung des BFH z. B. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 138 C I) oder, falls dies nicht zutrifft, Entscheidung in der Sache selbst (vgl. m. w. N. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 138 FGO Tz. 41).
Der Einstellungsbeschluß des FG vom 22. Juli 1987 ist aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben (BFH-Beschluß vom 22. Januar 1987 VIII B 45/86, BFH / NV 1987, 383, m. w. N.).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des FG im Hauptsacheverfahren vorbehalten (§ 143 Abs. 2 FGO). Das FG wird dabei auch prüfen müssen, ob von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren gemäß § 8 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes abzusehen ist, weil solche Kosten bei der gebotenen Abhilfe der Beschwerde vermieden worden wären (vgl. BFH / NV 1987, 524).
Fundstellen
Haufe-Index 423941 |
BFH/NV 1988, 459 |