Entscheidungsstichwort (Thema)
Einheitlicher Gewerbebetrieb; Einwendungen gegen die Beweiswürdigung
Leitsatz (NV)
1. Bei mehreren ungleichartigen Betätigungen des Gewerbetreibenden ‐ im Streitfall Betreiben mehrerer Münzwaschsalons, einer Rohrbiegerei und Entwicklung von Flugzeugmotoren ‐ ist für die Annahme eines einzigen gewerbesteuerlich zu erfassenden Gewerbebetriebes maßgeblich auf das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung abzustellen.
2. Ein einheitlicher Gewerbebetrieb ist nur gegeben, wenn die verschiedenen ungleichartigen Betätigungen über ihre organisatorische, finanzielle und wirtschaftliche Verflechtung hinaus einander ergänzen.
3. Die Würdigung einer Beweisaufnahme ist dem materiellen Recht zuzuordnen. Soweit die Würdigung des FG gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, liegt kein Verfahrensfehler, sondern ein Rechtsanwendungsfehler vor, der eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 10.11.2004; Aktenzeichen 9 K 5652/00) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr 1990 mehrere Münzwaschsalons, eine Rohrbiegerei und die Entwicklung von Flugzeugmotoren.
Der Kläger fasste seine gewerblichen Betätigungen in einer Buchführung zusammen und ermittelte in dem Jahresabschluss zum 31. Dezember 1990 einen Verlust in Höhe von … DM. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) folgte zunächst der entsprechenden Gewerbesteuererklärung 1990 und setzte den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag auf 0 DM fest. Den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1990 stellte das FA gesondert in Höhe von … DM fest. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Infolge einer Betriebsprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, dass es sich um drei selbständige Gewerbebetriebe i.S. von § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) handele und setzte für die Münzwäscherei bei einem gewerblichen Gewinn von … DM einen einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von … DM, für die Flugzeugmotorenentwicklung bei einem gewerblichen Verlust von … DM einen einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag von 0 DM und für die Rohrbiegerei bei einem gewerblichen Verlust von … DM einen einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag von 0 DM geändert fest. Die Änderung der Bescheide beruhte auf § 164 Abs. 2 AO 1977.
Für den Gewerbebetrieb der Flugzeugmotorenentwicklung wurde der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1990 endgültig in Höhe von … DM festgestellt.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, es handele sich bei den drei Betrieben nach dem maßgeblichen Gesamtbild der Verhältnisse um deutlich ungleichartige --einander nicht ergänzende-- Betätigungen des Klägers. Mithin liege kein einheitlicher Gewerbebetrieb vor.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und rügt einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Er trägt im Wesentlichen vor:
Das FG weiche mit seiner Formulierung, dass "die Betätigungen des Klägers ungleichartig, nämlich verschiedenen Gewerbezweigen zuzuordnen" seien, von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und der FG ab, namentlich von den BFH-Urteilen vom 19. November 1985 VIII R 310/83 (BStBl II 1986, 719), vom 9. August 1989 X R 130/87 (BFHE 158, 80, BStBl II 1989, 901), vom 18. Dezember 1996 XI R 63/96 (BFHE 182, 369, BStBl II 1997, 573) und vom 1. Februar 2001 III R 11/98, III R 12/98 (BFH/NV 2001, 899) sowie von den Urteilen des FG Baden-Württemberg vom 25. März 1998 14 K 374/94 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1998, 1082) und des Niedersächsischen FG vom 13. März 1996 XIII 135/91 (nicht veröffentlicht, juris, aufgehoben durch BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 21/99, BFH/NV 2002, 1554).
Nach den Rechtssätzen dieser BFH-Entscheidungen sei ein selbständiger Gewerbebetrieb nur bei vollkommener Eigenständigkeit anzunehmen. Diese Rechtssätze zitiere das FG zwar, wende sie aber nicht an. Bei deren Berücksichtigung wäre das FG zu dem Ergebnis gekommen, dass die einzelnen Tätigkeiten angesichts der gemeinsamen Geschäftsführung, einheitlichen Buchführung und eines zwischen den Betätigungen jeweils wechselnden Mitarbeitereinsatzes nicht vollkommen eigenständig seien.
Der sachlichen Selbständigkeit einer Tätigkeit komme nach der Rechtsprechung des BFH eine besondere Bedeutung erst dann zu, wenn es an einer organisatorischen, finanziellen oder wirtschaftlichen Verflechtung fehle. Demgegenüber habe das FG diese im Streitfall bestehenden Verflechtungen für unerheblich gehalten und fehlerhaft überwiegend auf die Unterschiedlichkeit der gewerblichen Tätigkeit abgestellt. Mit dieser Rechtsauffassung weiche das FG nicht nur von den Rechtssätzen der BFH-Urteile in BFHE 158, 80, BStBl II 1989, 901, in BFHE 182, 369, BStBl II 1997, 573, und in BFH/NV 2001, 899 ab, sondern durchbreche auch die Einheit der Rechtsordnung.
Ferner weiche das FG mit dem von ihm aufgestellten Rechtssatz, "dass unterschiedliche Betriebsstätten vorliegen", von dem im Urteil des FG Baden-Württemberg in EFG 1998, 1082 aufgestellten Rechtssatz ab, "dass als Anhaltspunkt für die räumliche Nähe die Grenzen der politischen Gemeinden heranzuziehen sind". Das vom FG angeführte Erfordernis der gleichen Betriebsstätten finde sich so in keiner der anderen finanzgerichtlichen Entscheidungen wieder.
Auch der vom FG aufgestellte Rechtssatz, die Einheitlichkeit des Gewerbebetriebs sei abzulehnen, weil es an der "Gleichheit" des Wareneinkaufs fehle, widerspreche dem Urteil des BFH in BFHE 182, 369, BStBl II 1997, 573, nach dem es maßgeblich auf den gemeinsamen Einkauf und die gemeinsame Bezahlung von Waren und Betriebsmitteln ankomme.
Das FG-Urteil beruhe außerdem auf einem Verfahrensfehler, weil das FG allgemeine Beweiswürdigungsregeln verletzt habe (BFH-Urteil vom 14. September 1994 I R 52/94, BFH/NV 1995, 606). Denn es habe ausgeführt, die Rohrbiegerei sei trotz Unterbringung in derselben Halle von der Motorenentwicklung klar abgegrenzt, obwohl sich aus der Niederschrift über die Besichtigung der Halle gerade keine klare Abgrenzung ergebe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 FGO).
1. Die vom Kläger behauptete Divergenz nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO liegt nicht vor.
Nach den vom Kläger zitierten BFH-Urteilen kommt es für die Annahme eines einzigen gewerbesteuerlich zu erfassenden Gewerbebetriebs bei mehreren vom Steuerpflichtigen durchgeführten Betätigungen maßgeblich auf das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung an (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 182, 369, BStBl II 1997, 573, m.w.N.).
Das FG hat keine hiervon abweichenden abstrakten Rechtssätze aufgestellt, sondern die Tätigkeiten des Klägers unter Würdigung sämtlicher Umstände des Streitfalls beurteilt. Es hat die Rechtsgrundsätze der vom Kläger zitierten Urteile seiner Entscheidung zugrunde gelegt und in einer revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise die drei verschiedenen Betätigungen des Klägers nicht als einheitlichen Gewerbebetrieb angesehen. Der Kläger übersieht, dass bei ungleichartigen Betätigungen nach der von ihm zitierten Rechtsprechung auch bei organisatorischer, finanzieller und wirtschaftlicher Verflechtung ein einheitlicher Gewerbebetrieb nur anzunehmen ist, wenn die verschiedenen Betätigungen einander ergänzen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BStBl II 1986, 719). Eine derartige gegenseitige Ergänzung hat das FG unter Berücksichtigung aller in seine Entscheidung einbezogenen Umstände des Streitfalls bei den drei ungleichartigen Betätigungen des Klägers nicht festzustellen vermocht.
Mit seinen Ausführungen wendet sich der Kläger im Kern gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Urteils, wobei er seine Rechtsauffassung an Stelle derjenigen des FG setzt. Dies vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Die Rügen des Klägers betreffen auch keinen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445, m.w.N.).
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
Die Würdigung einer Beweisaufnahme ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dem materiellen Recht zuzuordnen. Soweit die Würdigung des FG gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt, liegt entgegen den Ausführungen des I. Senats im Urteil in BFH/NV 1995, 606 kein Verfahrensfehler, sondern ein Rechtsanwendungsfehler vor, der eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigt. Die abweichende Auffassung des I. Senats, die Verletzung allgemeiner Beweiswürdigungsregeln sei ein Verfahrensfehler, ist durch die nachfolgende Rechtsprechung des I. Senats überholt (BFH-Beschlüsse vom 12. August 1997 I B 5/97, BFH/NV 1998, 461; vom 26. Oktober 1998 I B 48/97, BFH/NV 1999, 506, unter II. 3. b; vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874; vom 19. März 2002 I B 88/99, BFH/NV 2002, 1305, unter II. 2. b, jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH).
Im Übrigen ergibt sich aus der Niederschrift über die Besichtigung der Werkshalle eine Abgrenzung zur Rohrbiegerei. Denn es wird ausgeführt, vor dem Windkanal für die Motorenerprobung "befinden sich in einem abgegrenzten Bereich Werkbänke für die Motorenmontage".
Fundstellen
Haufe-Index 1496287 |
BFH/NV 2006, 1152 |