Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung im Verfahren wegen Anteilsbewertung
Leitsatz (NV)
Erhebt ein Gesellschafter einer GmbH wegen der gesonderten Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an dieser GmbH Klage, so sind die GmbH selbst sowie alle die klagebefugten Gesellschafter der GmbH gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen, deren Gesellschaftsanteile wegen gleicher Ausstattung in gleicher Weise durch das Klagebegehren berührt werden; das gilt auch, wenn das Betriebs-FA den anderen Gesellschaftern sowie der GmbH den angefochtenen Feststellungsbescheid noch nicht bekanntgegeben hat.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3; AntBewV § 4 Abs. 1 Nr. 2; AntBewV § 5 Abs. 1 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als Gründungsgesellschafter an der mit notariell beurkundetem Vertrag vom 8. Januar 1973 gegründeten L-GmbH (GmbH) beteiligt. Er hielt an den beiden Bewertungsstichtagen 31. Dezember 1979 und 31. Dezember 1980 einen Geschäftsanteil von 235 000 DM (= 47 v. H. des Stammkapitals). Außerdem war an diesen Stichtagen als Gesellschafterin die C-Groß- und Einzelhandels-KG (KG) mit einem Geschäftsanteil von 265 000 DM (= 53 v. H. des Stammkapitals) beteiligt.
Nach § 4 des Gesellschaftsvertrags der GmbH ist die "Abtretung und Verpfändung von Geschäftsanteilen oder von Teilen davon ... nur mit Zustimmung der Gesellschafter zulässig, ausgenommen ist die Abtretung und Verpfändung von Geschäftsanteilen oder Teilen davon an Mitgesellschafter".
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ermittelte den gemeinen Wert der Anteile an der GmbH im Stuttgarter Verfahren nach Abschn. 76 f. der Vermögensteuer-Richtlinien 1980 (VStR 1980) und stellte nach einer Betriebsprüfung mit Änderungsbescheiden vom 28. Januar 1985 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) den gemeinen Wert je 100 DM des Stammkapitals zum 31. Dezember 1979 auf 269 DM und zum 31. Dezember 1980 auf 376 DM fest. Die Bescheide wurden ausschließlich dem Kläger bekanntgegeben. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 643 veröffentlichten Urteil als unbegründet zurück.
Das FG vertrat die Auffassung, daß die vom Kläger als Gründungsgesellschafter in § 4 des Gesellschaftsvertrags vereinbarte Verfügungsbeschränkung zu den persönlichen Verhältnissen rechne und deshalb nach § 9 Abs. 2 Satz 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht zu berücksichtigen sei.
Das FG hat die KG als Mitgesellschafterin sowie die GmbH selbst nicht zum Verfahren beigeladen, da die angefochtenen Bescheide nur dem Kläger bekanntgegeben worden und damit nur ihm gegenüber wirksam geworden seien. Gegenüber der GmbH und der KG lasse sich eine wirksame Bekanntgabe wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht nachholen. Die Entscheidung berühre daher nur den Kläger. Folglich lägen die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht (mehr) vor.
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 60 Abs. 3 FGO, da das FG sowohl die KG als Mitgesellschafterin als auch die GmbH hätte beiladen müssen, und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an die Vorinstanz zur anderweitigen Entscheidung zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Erhebt ein Gesellschafter einer GmbH wegen der gesonderten Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an dieser GmbH Klage, so sind die GmbH selbst sowie alle klagebefugten Gesellschafter der GmbH gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen, jedenfalls soweit das Klagebegehren den Wert ihrer Gesellschaftsanteile wegen gleicher Ausstattung in gleicher Weise berührt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. Dezember 1969 III R 52/67, BFHE 98, 122, BStBl II 1970, 304, und vom 16. Dezember 1984 III R 96/82, BFHE 141, 209, BStBl II 1984, 670). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall bezüglich der GmbH und der KG als Gesellschafterin erfüllt.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 der Verordnung zur gesonderten Feststellung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften (Anteilsbewertungsverordnung -- AntBewV --) vom 19. Januar 1977 (BGBl I 1977, 171, BStBl I 1977, 37) sind am Verfahren wegen gesonderter Feststellung des gemeinen Werts die Kapitalgesellschaft selbst, deren Anteile zu bewerten sind, sowie die Anteilsinhaber, die dem Betriebs-FA nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AntBewV von der Kapitalgesellschaft namhaft gemacht worden sind, beteiligt. Im Streitfall hatte die GmbH in ihren Erklärungen zur gesonderten Feststellung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften auf den 31. Dezember 1979 und auf den 31. Dezember 1980 dem Betriebs-FA sowohl den Kläger als mit 47 v. H. am Stammkapital beteiligten Gesellschafter als auch die mit 53 v. H. am Stammkapital als Gesellschafterin beteiligte KG benannt. Zwar hat das Betriebs-FA die Feststellungsbescheide entgegen § 5 Abs. 2 AntBewV nicht allen am Verfahren Beteiligten, sondern ausschließlich dem Kläger, bekanntgegeben. Diese Bekanntgabe wirkt auch nicht für und gegen die GmbH oder für und gegen die KG als Mitgesellschafterin; denn sie sind im Feststellungsbescheid weder als Inhaltsadressaten ausdrücklich benannt, noch ergibt sich dies aus dem Inhalt des Bescheids selbst. Doch ändert dieser Umstand nichts daran, daß sowohl die GmbH als auch die KG als Gesellschafterin bereits mit der Bekanntgabe der Feststellungsbescheide an den Kläger zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen diese Bescheide befugt waren. Denn die Feststellungsbescheide wurden mit der Bekanntgabe an den Kläger existent und ihm gegenüber wirksam. Die fehlende, aber notwendige Bekanntgabe an die GmbH sowie an die KG als die übrigen Beteiligten führt zwar dazu, daß die Feststellungsbescheide ihnen gegenüber noch keine materiell-rechtliche Bindungswirkung i. S. des § 182 AO 1977 entfalten und von ihnen grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung angefochten werden können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3 m. w. N.). Um mehrfache und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden, ist deshalb die Bekanntgabe gegenüber der GmbH und der KG noch nachzuholen. Zu diesem Zweck sind ihnen die Feststellungsbescheide mit unverändertem Inhalt bekanntzugeben, selbst wenn sie inhaltlich unrichtig sein sollten (vgl. Senats-Urteil vom 25. November 1987 II R 227/84, BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410). Bereits die Bekanntgabe an nur einen Beteiligten schränkt aber die Änderbarkeit der Feststellungsbescheide im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Entscheidung gegenüber allen Feststellungsbeteiligten ein. Von diesem Zeitpunkt an können die Feststellungsbescheide von allen Feststellungsbeteiligten, die durch die Bescheide beschwert werden, als Klagebefugte angefochten werden, und zwar auch dann, wenn nicht allen die Feststellungsbescheide bekanntgegeben wurden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3, sowie vom 26. April 1988 VIII R 292/82, BFHE 153, 497, BStBl II 1988, 855). Im Streitfall hätten deshalb die GmbH und die KG unabhängig davon zum Verfahren beigeladen werden müssen, daß ihnen das Betriebs-FA die vom Kläger angefochtenen Feststellungsbescheide (noch) nicht bekanntgegeben hat; denn ihnen gegenüber kann der Wert der Anteile an der GmbH nur einheitlich festgestellt werden.
2. Die notwendige Beiladung kann ausnahmsweise dann unterbleiben, wenn die klagebefugte Person vom Ausgang des Rechtsstreits unter keinen denkbaren Gesichtspunkten betroffen sein kann (vgl. BFH-Beschluß vom 31. Januar 1992 VIII B 33/90, BFHE 167, 5, BStBl II 1992, 559 m. w. N.). Hiervon ist das FG bezüglich der KG als Gesellschafterin der GmbH ausgegangen, da ihr gegenüber die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen sei. Das angegriffene Urteil enthält indessen keine Feststellungen, die eine Überprüfung der vom FG angenommenen Festsetzungsverjährung zuließen. Insoweit wird auf das BFH-Urteil in BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3 hingewiesen. Danach wird die Festsetzungsfrist hinsichtlich aller Feststellungsbeteiligten bereits durch die Bekanntgabe gegenüber nur einem Beteiligten noch vor deren Ablauf gewahrt.
3. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist ein Verstoß gegen die Grundordnung des finanzgerichtlichen Verfahrens (s. BFH-Urteil in BFHE 141, 209, BStBl II 1984, 670). Als Revisionsgericht darf der BFH die Beiladung nicht nachholen (§ 123 FGO). Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Sollten die GmbH und die KG nach Bekanntgabe der Feststellungsbescheide durch das FA keinen Rechtsbehelf einlegen, sind sie gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beizuladen. Anderenfalls sind die Verfahren zu verbinden (vgl. BFH-Urteil vom 7. August 1990 VIII R 257/84, BFH/NV 1991, 507 m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 420000 |
BFH/NV 1995, 54 |
BFH/NV 1995, 55 |