Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aufhebung einer unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Einspruchsentscheidung wegen mangelnder Sachaufklärung
Leitsatz (NV)
Hat das Finanzamt in einem Einkommensteuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung den Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus anhand der Kostenmiete ermittelt und den Einspruch des Steuerpflichtigen hiergegen als unbegründet zurückgewiesen, so darf das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung nicht ohne Entscheidung in der Sache selbst mit der Begründung aufheben, daß das Finanzamt weitere Ermittlungen, hier die Einholung eines Sachverständigengutachtens, unterlassen habe.
Normenkette
AO § 100 Abs. 2; AO 1977 § 164 Abs. 1-2, § 367 Abs. 2; FGO § 100 Abs. 2 S. 2; EStG 1974 § 21 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und je zur ideellen Hälfte Miteigentümer eines als Zweifamilienhaus bewerteten bebauten Grundstücks, das eine Größe von 1 049 qm hat. Das Gebäude wurde im Streitjahr 1974 bezugsfertig. Die von den Klägern und ihren drei Kindern in drei Monaten des Streitjahres selbstgenutzte Wohnung hat eine Wohnfläche von 197 qm. Die zweite Wohnung ist 37 qm groß und wurde der Mutter der Klägerin unentgeltlich überlassen. In der Einkommensteuererklärung 1974 setzten die Kläger den Mietwert der selbstgenutzten Wohnung nach Maßgabe einer Marktmiete von 6 DM/qm - wie bei der Zweitwohnung - an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem zunächst im vorläufigen Einkommensteuerbescheid vom 26. Juli 1976 unter Kürzung der bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erklärten Werbungskosten. Auf den Einspruch der Kläger führte das FA eine Hausbesichtigung durch; sodann änderte es mit Sammelbescheid vom 9. November 1977, wobei ,,der Vorbehalt der Nachprüfung bestehen" blieb, den Einkommensteuerbescheid dahingehend, daß es die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung unter Ansatz der Kostenmiete erhöhte. Den auch hiergegen von den Klägern erhobenen Einspruch wies es als unbegründet zurück, weil es sich bei Herstellungskosten des Gebäudes (einschließlich der Anschaffungskosten für den Grund und Boden) von 521 146 DM um ein besonders aufwendig gestaltetes Anwesen handle. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 417 veröffentlichten Urteil insoweit statt, als es die Einspruchsentscheidung ohne Entscheidung in der Sache selbst unter Bezugnahme auf § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufhob.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO; § 21 Abs. 2, § 8 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG-Urteil verletzt § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Hiernach kann das FG den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststellt und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung für nötig hält. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen schon deshalb nicht vor, weil es bereits an einem wesentlichen Verfahrensmangel fehlt.
Das FA hat den gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) erlassenen vorläufigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 26. Juli 1976 mit Bescheid vom 9. November 1977 unter Vorbehalt der Nachprüfung geändert. Dies war zulässig. Diesen vorläufigen Bescheid konnte das FA nach Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) wie einen unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 ändern (Art. 97 § 9 Satz 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Das FA war auch befugt, den Vorbehalt der Nachprüfung im Änderungsbescheid aufrechtzuerhalten (BFH-Urteile vom 16. Oktober 1984 VIII R 162/80, BFHE 143, 299, BStBl II 1985, 448, und vom 10. März 1987 IX R 48/83, BFH/NV 1988, 79). Nach dem letztgenannten Urteil des erkennenden Senats verstößt das FG gegen § 164 AO 1977, wenn es einen unter Nachprüfungsvorbehalt ergangenen Einkommensteuerbescheid mit der Begründung aufhebt, daß der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt erscheine. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß auch die im Rechtsbehelfsverfahren ergangene Einspruchsentscheidung in bezug auf einen unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Steuerbescheid vom FG nicht als unter einem wesentlichen Verfahrensfehler leidend beurteilt werden darf, weil das FA den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt habe. Dabei kann der Senat wie in dem seiner Entscheidung in BFH/NV 1988, 79 zugrunde liegenden Fall die Streitfrage unerörtert lassen, inwieweit unter Nachprüfungsvorbehalt ergangene Steuerbescheide durch die FG nachzuprüfen sind.
Die Sache ist nicht spruchreif, da sich das FG mit dem Klagevorbringen noch nicht auseinandergesetzt hat. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG die im Urteil des Senats vom 21. Januar 1986 IX R 7/79 (BFHE 146, 51, BStBl II 1986, 394) zur Bemessung des Nutzungswerts enthaltenen Grundsätze beachten.
Fundstellen
Haufe-Index 423964 |
BFH/NV 1988, 552 |