Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtvertretensein bei Mißachtung eines Antrags auf mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Ein Beteiligter war im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten, wenn das FG im Anwendungsbereich des Art. 3 § 5 VGFGEntlG übersehen hat, daß die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt worden war (Anschluß an das BFH-Urteil vom 11. August 1987 IX R 135/83, BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141).
2. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung liegt auch in der Erklärung eines Prozeßbevollmächtigten, er beabsichtige, in der mündlichen Verhandlung bestimmte, näher bezeichnete Anträge zu stellen (Anschluß an den BFH-Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679).
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 5 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrt in der Sache den Abzug von Aufwendungen für die Anschaffung von Haushaltsgeräten, Werkzeugen und ähnlichen Gegenständen, die er im Streitjahr (1984) erworben und Verwandten in der DDR zugewendet hat, als außergewöhnliche Belastung (§ 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
Im Klageverfahren ließ er durch seinen Prozeßbevollmächtigten auf die Aufforderung des Finanzgerichts (FG), die Klage zu begründen und die entsprechenden Anträge zu stellen, mit Schriftsatz vom 24. Juli 1986 u. a. vortragen:
,,Ich beabsichtige, in der mündlichen Verhandlung folgende Anträge zu stellen:
1. . . .".
Das FG wies die Klage am 17. Mai 1989 als unbegründet ab, ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben. Es führte am Schluß seiner Entscheidung aus, eine mündliche Verhandlung sei gemäß Art. 3 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) nicht erforderlich gewesen, da der Streitwert 500 DM nicht überstiegen und keiner der Beteiligten einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe.
Dagegen wendet sich der Kläger unmittelbar mit der Revision. Er rügt, daß das FG trotz der Ausführungen im Schriftsatz vom 24. Juli 1986 ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Dadurch sei er im finanzgerichtlichen Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Kläger beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt ebenfalls die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das FG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Der Kläger konnte - ungeachtet der Beschränkungen des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der für den Streitfall geltenden Fassung - unmittelbar Revision einlegen. Er hat schlüssig vorgetragen, daß dem FG ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO unterlaufen sei, so daß es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht bedurfte.
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
a) Ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch dann anzunehmen, wenn das FG irrtümlich von einem Verzicht auf mündliche Verhandlung ausgegangen ist und unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 2 FGO durch Urteil entschieden hat (siehe aus jüngerer Zeit das Urteil vom 11. August 1987 IX R 135/83, BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141, mit weiteren Hinweisen). Das gleiche gilt nach Auffassung des IX. Senats des BFH, wenn das FG im Anwendungsbereich des Art. 3 § 5 VGFGEntlG übersehen hat, daß ein Beteiligter die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat (siehe auch hierzu das Urteil in BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
b) Im Streitfall durfte das FG nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Es war im Gegenteil nach Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG ausdrücklich gehalten, eine solche durchzuführen. Denn der Kläger hatte einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne dieser Vorschrift gestellt. Die Erklärung seines Bevollmächtigten im Schriftsatz vom 24. Juli 1986, er beabsichtige, in der mündlichen Verhandlung bestimmte, näher bezeichnete Anträge zu stellen, kann nur so verstanden werden, daß die Antragstellung der mündlichen Verhandlung vorbehalten bleiben sollte. Der erkennende Senat sieht darin - wie schon vor ihm der IX. Senat des BFH in einem identischen Fall (siehe den Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679) - eine hinreichend klare und eindeutige Prozeßerklärung des Inhalts, daß der Kläger die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wünsche. Eventuelle, gleichwohl vorhandene Zweifel hätte das FG durch entsprechende Rückfragen klären müssen. Der erkennende Senat schließt sich auch insoweit den Ausführungen des IX. Senats im Beschluß in BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679 an und verweist - zur Vermeidung von Wiederholungen - auf sie. Weitere Klärungsversuche hat das FG im Streitfall jedoch nicht unternommen.
c) Das angefochtene Urteil muß wegen dieses Verfahrensfehlers aufgehoben werden (§§ 116 Abs. 1 Nr. 3 und 119 Nr. 4 FGO). Dem Senat ist es jedoch verwehrt, zur sachlich-rechtlichen Streitfrage Stellung zu nehmen (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO; siehe hierzu auch Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Anm. 4). Die Sache war daher an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 416986 |
BFH/NV 1990, 794 |