Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vorsteuerabzug, wenn nachträglich über eine Grundstückslieferung mit gesondertem Steuerbetrag abgerechnet wird - Änderung der Rechtsprechung - Wirksamkeit des Verzichts auf eine Steuerbefreiung - Rückwirkendes Ereignis - Richtlinienkonforme Auslegung von Steuergesetzen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, daß eine Steuer für den berechneten Umsatz geschuldet wird.
2. Auf die Steuerbefreiung einer Grundstückslieferung kann nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Lieferung nicht mehr durch Ausgabe einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis verzichtet werden.
Orientierungssatz
1. Eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 173 Abs. 1 Nr. 1 oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 scheidet aus.
2. Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung (Urteile vom 19.5.1993 V R 110/88 und vom 29.10.1987 V R 154/83), nach der ein Steuerbetrag nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 unabhängig davon abziehbar ist, ob er geschuldet wird, nicht mehr fest.
3. Die Wirksamkeit des Verzichts auf eine Steuerbefreiung hängt nicht davon ab, daß der Unternehmer seinen steuerfreien Umsatz schon im Voranmeldungszeitraum, in dem er diesen Umsatz ausführt, als steuerpflichtig behandelt. Die nachträgliche Geltendmachung als steuerpflichtigen Umsatz muß es der Finanzbehörde aber noch ermöglichen, die Steuer für diesen Umsatz festzusetzen.
4. Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 verändert den Sachverhalt und wirkt steuerschuldrechtlich in die Vergangenheit zurück, wenn ein Bedürfnis besteht, eine schon eingetretene endgültige Regelung an die Sachverhaltsveränderung anzupassen. Die Änderung muß sich steuerrechtlich in der Weise auswirken, daß der Besteuerung nach dem anwendbaren materiellen Steuergesetz nunmehr der veränderte an Stelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts zugrunde zu legen ist.
5. Die Auslegung des einzelstaatlichen Steuergesetzes, das Gemeinschaftsrecht umsetzt, ist richtlinienkonform vorzunehmen. Sie hat sich, soweit wie möglich, am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten und muß die dazu ergangenen Erkenntnisse des EuGH berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EWGRL 388/77 Art. 17 Abs. 2 Buchst. a; UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 23.10.1996; Aktenzeichen IV 162/93) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) kaufte im Jahre 1985 von der in Liquidation befindlichen A-KG ein mit Industriehallen und Büros bebautes Grundstück. Persönlich haftender Gesellschafter der A-KG war der Vater der Klägerin. Das Grundstück hatte die A-KG steuerpflichtig vermietet. Die Klägerin führte die steuerpflichtige Vermietung fort. Sie sollte nach dem notariellen Grundstückskaufvertrag (vom 12. August 1985) die "Gegenleistung" für den Grundstücksverkauf durch befreiende Schuldübernahme entrichten und eine zugunsten der Gläubigerbank eingetragene Grundschuld und das dadurch gesicherte Darlehen unter Anrechnung auf den berechneten Kaufpreis übernehmen. Weiter hieß es: "Die Darlehensvaluta beträgt per Verrechnungstag (1. August 1985) noch ca. DM 1.950.000." Nach dem Tilgungsplan der Gläubigerbank ergab sich, daß die Verbindlichkeiten (der A-KG) zum Verrechnungstag tatsächlich 2 139 250 DM betrugen.
Die Klägerin löste die übernommenen Verbindlichkeiten der A-KG gegenüber der Gläubigerbank ab und verkaufte das Grundstück im Jahre 1989. Die A-KG führte keine Umsatzsteuer für die bezeichnete Grundstückslieferung ab. Über ihr Vermögen wurde ein Konkursverfahren mangels Masse nicht eröffnet.
Im Jahre 1988 erteilte die A-KG der Klägerin eine auf den 21. August 1985 zurückdatierte Rechnung über den Verkauf des Grundstücks "zum Preis von DM 1.876.535,10 und MWSt DM 262.714,90, Endbetrag DM 2.139.250,00".
Nunmehr beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 15. Juni 1992, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Steuerfestsetzung für 1988 zu ändern und den in der bezeichneten Rechnung ausgewiesenen Steuerbetrag als Vorsteuer steuermindernd zu berücksichtigen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte die Änderung der Steuerfestsetzung gegen die Klägerin für 1988 durch Bescheid vom 2. Juli 1992 und mit der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 1993 ab und berief sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Juni 1991 V R 70/89 (BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866).
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Es nahm an, der Verzicht der Klägerin auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung sei unwirksam. Maßgebend war für das FG, daß es sich bei der vereinbarten Gegenleistung in Form einer befreienden Schuldübernahme von 2 139 250 DM zum Verrechnungstag nur um ein Nettoentgelt habe handeln können, weil die Gläubigerbank nur einer vollen Schuldübernahme (in der bezeichneten Höhe) zugestimmt habe. Dadurch seien der Option zur Steuerpflicht "dergestalt Grenzen gesetzt worden, daß die USt nur noch zusätzlich zum vereinbarten Entgelt hätte gesondert ausgewiesen und der Klin. in Rechnung gestellt werden können".
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Veröffentlichung der Vorentscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 573 Bezug genommen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zur Begründung führt sie u.a. aus, die Vorentscheidung verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, weil das FG erstmals in der Urteilsbegründung unterstelle, daß die Gläubigerbank dem Verkauf des Grundstücks zugestimmt habe. Eine solche Zustimmung sei aber nicht erforderlich.
Das FG, so begründet die Klägerin ihre sachlich-rechtliche Rüge, habe §§ 9, 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) und § 415 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) fehlerhaft angewendet. Die volle Schuldübernahme sei die zivilrechtliche Gegenleistung für den Grundstückskauf gewesen. Dies sei ein Bruttobetrag, über den umsatzsteuerrechtlich nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 abgerechnet worden sei. Durch die Schuldübernahme sei der in der Gegenleistung durch Schuldübernahme enthaltene Umsatzsteuerbetrag an den Veräußerer "gegangen". Eine nach der Rechtsprechung unzulässige Verrechnung mit eigenen Gegenforderungen liege im Streitfall nicht vor.
Die Klägerin beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Verpflichtung des FA zur antragsgemäßen Änderung der Steuerfestsetzung für 1988.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Revision hat nicht schon wegen der erhobenen Verfahrensrüge Erfolg. Von einer Begründung insoweit sieht der Senat nach Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
2. Das FG hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für den Abzug der Vorsteuer aus der nachträglich im Jahr 1988 ausgegebenen Rechnung mit dem Datum des 21. August 1985 über die Grundstückslieferung für die Klägerin seien nicht gegeben, weil der Verzicht der A-KG auf die Steuerfreiheit ihrer Grundstückslieferung unwirksam gewesen sei. Dem Verzicht seien dergestalt Grenzen gesetzt worden, daß die Umsatzsteuer nur noch zusätzlich zum vereinbarten Entgelt hätte gesondert ausgewiesen und der Klägerin berechnet werden können. Diese Beurteilung wird schon durch den Inhalt der Rechnung nicht gerechtfertigt, die neben dem Entgelt den zum Abzug gestellten Steuerbetrag ausweist.
Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, daß die Entscheidung des FG mit anderer Begründung Bestand haben kann. Der festgestellte Sachverhalt ermöglicht aber keine abschließende Entscheidung.
3. Ob die Klägerin eine Änderung der Steuerfestsetzung für 1988 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Berücksichtigung der in der Rechnung mit dem Datum des 21. August 1985 ausgewiesenen Steuer als Vorsteuer erreichen kann, läßt sich vom erkennenden Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
a) Der Anspruch der Klägerin auf Abzug der ihr für die Grundstückslieferung von der A-KG in der Rechnung mit dem Datum des 21. August 1985 berechneten Steuer als Vorsteuer bei der Steuerfestsetzung für 1988 ist nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980 zu beurteilen.
Die Klägerin ist als Grundstücksvermieterin Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980) und hat von einem anderen Unternehmer (der A-KG) eine Rechnung i.S. von § 14 Abs. 4 UStG 1980 erhalten, in der wegen einer an sie im Jahr 1985 für ihr Unternehmen ausgeführten Grundstückslieferung eine Steuer gesondert ausgewiesen worden ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980). Die Klägerin konnte den Vorsteuerabzug allenfalls im Streitjahr 1988 vornehmen, weil sie die bezeichnete Rechnung unstreitig erst in diesem Jahr erhalten hat. Die Klägerin verwendete das ihr gelieferte Grundstück für Umsätze, die den Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 UStG 1980 ausschlossen; denn sie hatte das Grundstück steuerpflichtig vermietet.
b) Der Vorsteuerabzug der Klägerin gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 ist jedoch nicht gegeben, wenn in der Rechnung mit dem Datum des 21. August 1985 nicht über "geschuldete" Steuer für eine Grundstückslieferung abgerechnet worden war. Diese Einschränkung des Vorsteuerabzugs ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 15 Abs. 1 UStG 1980; sie folgt aber aus Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) und ist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980, der die bezeichnete gemeinschaftsrechtliche Vorschrift umsetzt, zu berücksichtigen.
aa) Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980, nach dem der Unternehmer die in Rechnungen i.S. von § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen als Vorsteuerbeträge abziehen kann, läßt unbeantwortet, ob damit jeder als Steuer ausgewiesene Betrag oder nur der für die Leistung geschuldete Steuerbetrag abziehbar ist. Der Wortlaut des nationalen Rechts schließt keine der beiden Möglichkeiten aus.
bb) Die Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten sind nach Art. 5 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verpflichtet, alle zur Erfüllung der gemeinschaftsrechtlichen Ziele geeigneten Maßnahmen zu treffen. Deshalb müssen Gerichte der Mitgliedstaaten ein zur Durchführung einer Richtlinie des Gemeinschaftsrechts (Art. 189 Abs. 3 EGV) ergangenes nationales Steuergesetz "im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie" anwenden (ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH--, z.B. Urteil vom 26. September 1996 Rs. C-168/95 Arcaro, Slg. 1996, I-4705 (4719), Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --EuZW-- 1997, 318). Die Auslegung des einzelstaatlichen Steuergesetzes, das Gemeinschaftsrecht umsetzt, ist richtlinienkonform vorzunehmen. Sie hat sich, soweit wie möglich, am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten und muß die dazu ergangenen Erkenntnisse des EuGH berücksichtigen (zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. auch EuGH-Urteile vom 7. Dezember 1995 Rs. C-472/93 Luigi Spano, Slg. 1995, I-4321, EuZW 1996, 185; vom 8. Oktober 1987 Rs. 80/86 Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1988, 594).
cc) Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer Vorsteuerbeträge abzuziehen. Das Tatbestandsmerkmal "geschuldete Steuer" ist nach dem Urteil des EuGH vom 13. Dezember 1989 Rs. C-342/87 Genius Holding (Slg. 1989, 4227, 4242, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1990, 113, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1991, 83) dahin auszulegen, daß das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die geschuldet werden --d.h. mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen; das Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist. Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 ist somit nicht jeder, sondern nur der geschuldete Steuerbetrag als Vorsteuer abziehbar.
Der Senat hält dementsprechend an seiner früheren Rechtsprechung (Urteile vom 19. Mai 1993 V R 110/88, BFHE 172, 163, BStBl II 1993, 779, m.w.N. - zu hoher Steuerausweis in einer Gutschrift; vom 29. Oktober 1987 V R 154/83, BFHE 152, 161, BStBl II 1988, 508 - Steuerausweis trotz steuerfreier Leistung), nach der ein Steuerbetrag nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 unabhängig davon abziehbar ist, ob er geschuldet wird, nicht mehr fest.
4. Die getroffenen Feststellungen ermöglichen keine Entscheidung, ob die der Klägerin in der Rechnung mit dem Datum des 21. August 1985 gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer "geschuldet" wird. Das hängt davon ab, ob die A-KG der Klägerin das Grundstück steuerpflichtig geliefert hat. Dies wiederum ist nur der Fall, wenn die A-KG wirksam auf die gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980 grundsätzlich gegebene Steuerbefreiung für die Grundstückslieferung verzichtet hat.
a) Die Voraussetzungen für den Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung sind nach § 9 Abs. 1 UStG 1980 (i.d.F. durch Art. 17 Nr. 5, Art. 32 Abs. 1 des Steuerbereinigungsgesetzes --StBereinG-- 1985 vom 14. Dezember 1984, BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) erfüllt, wenn der Unternehmer --neben weiteren hier gegebenen Bedingungen-- einen in der Vorschrift bezeichneten (u.a. auch nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980) steuerfreien Umsatz als steuerpflichtig behandelt.
aa) Das FG hat nicht festgestellt, ob die A-KG die Grundstückslieferung an die Klägerin 1985 als steuerpflichtigen Umsatz in der Umsatzsteuer-Voranmeldung oder in der Steueranmeldung für das Kalenderjahr 1985 erklärt hat. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß sie die 1985 ausgeführte Grundstückslieferung erst nachträglich durch die Aushändigung der Rechnung an die Klägerin im Jahr 1988 als steuerpflichtigen Umsatz hat behandeln wollen.
Es entspricht der Rechtsprechung des BFH, daß der Unternehmer einen in § 9 Abs. 1 UStG 1980 bezeichneten steuerfreien Umsatz regelmäßig als steuerpflichtig behandelt, wenn er darüber gegenüber dem Leistungsempfänger mit besonderem Ausweis der Umsatzsteuer abrechnet (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1997 XI R 94/96, BFHE 183, 301, BStBl II 1997, 670).
Die Wirksamkeit des Verzichts hängt indessen nicht davon ab, daß der Unternehmer seinen steuerfreien Umsatz schon im Voranmeldungszeitraum, in dem er diesen Umsatz ausführt, als steuerpflichtig behandelt. Die nachträgliche Geltendmachung als steuerpflichtigen Umsatz muß es der Finanzbehörde aber noch ermöglichen, die Steuer für diesen Umsatz festzusetzen.
bb) Der Senat hat bisher entschieden, daß eine Grundstückslieferung wirksam nur vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den Besteuerungszeitraum, in dem sie ausgeführt worden ist, als steuerpflichtiger Umsatz behandelt werden kann (Urteil vom 25. Januar 1996 V R 42/95, BFHE 179, 480, BStBl II 1996, 338). Dafür war maßgebend, daß der Steueranspruch, der durch die Behandlung des steuerfreien Umsatzes als steuerpflichtig regelmäßig entsteht, nach Ablauf der Festsetzungsfrist wegen der Regelung über das Erlöschen durch Verjährung (§ 47 AO 1977) nicht mehr entstehen kann.
Ein wirksamer Verzicht i.S. von § 9 Abs. 1 UStG 1980 liegt daher nicht vor, wenn ein Unternehmer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt, nachdem die Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Lieferung unabänderbar geworden ist. Die Behandlung eines steuerfreien Umsatzes als steuerpflichtig setzt voraus, daß die Steuerpflicht (und der dadurch begründete Steueranspruch) durch Steuerfestsetzung noch verwirklicht werden kann.
Der Verzicht auf die Steuerbefreiung für einen verzichtbaren Umsatz (§ 9 Abs. 1 UStG 1980) hat regelmäßig die Folge, daß die in der Person des leistenden Unternehmers entstehende Umsatzsteuer den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger ermöglicht. Der Vorsteuerabzug wird wegen der Besteuerung der Leistung zugelassen. Das danach vorausgesetzte Gleichgewicht zwischen Steuer und Vorsteuer ist aber nicht mehr erreichbar, wenn der leistende Unternehmer seinen verzichtbaren Umsatz so spät als steuerpflichtig behandelt, daß eine Steuer wegen der Bestandskraft der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Ausführung der Leistung nicht mehr festgesetzt werden kann.
b) Eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 scheidet aus, weil sich die dem Vorgang zugrundeliegenden Tatsachen erst nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung ereignet haben und der Finanzbehörde in diesem Zeitpunkt nicht schon bekannt sein konnten (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1988 II R 55/86, BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75, m.w.N.).
c) Die Finanzbehörde ist auch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nicht berechtigt, die bezeichnete bestandskräftige Steuerfestsetzung zu ändern. Deswegen wird auch die weitere Folge nicht ausgelöst, daß die Festsetzungsfrist insoweit mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 verändert den Sachverhalt und wirkt steuerschuldrechtlich (vgl. BFH-Urteil vom 30. November 1994 XI R 84/92, BFH/NV 1995, 665) in die Vergangenheit zurück, wenn ein Bedürfnis besteht, eine schon eingetretene endgültige Regelung an die Sachverhaltsveränderung anzupassen (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 unter C. II. 1. a bis c; BFH-Urteil vom 12. Juli 1989 X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 unter 1. a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 175 AO 1977 Tz. 11; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 175 AO 1977 Anm. 3; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 175 Anm. 4; Szymczak in Koch/Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 175 Rz. 12; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 175 Rz. 18). Die Änderung muß sich steuerrechtlich in der Weise auswirken, daß der Besteuerung nach dem anwendbaren materiellen Steuergesetz nunmehr der veränderte an Stelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts zugrunde zu legen ist (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648).
Aus § 9 Abs. 1 UStG 1980 ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß eine Grundstückslieferung durch eine nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Lieferung ausgegebene Rechnung mit Steuerausweis mit Rückwirkung als steuerpflichtiger Umsatz behandelt werden sollte. Wegen der insoweit gegebenen Hemmung der Festsetzungsfrist (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) ergäbe sich eine Rechtsunsicherheit, die ggf. bis zum Ende der Verjährung des Rechnungserteilungsanspruchs von 30 Jahren (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 1992 VIII ZR 50/92, UR 1993, 84) anhalten könnte. Vielmehr ist mangels ausdrücklicher anderweitiger Regelung in § 9 Abs. 1 UStG 1980 --mit der herrschenden Meinung (vgl. Abschn. 148 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1996; Widmann in Malitzky/Plückebaum, Umsatzsteuergesetz, 10. Aufl., § 9 Rz. 24)-- davon auszugehen, daß der Unternehmer die der bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrundeliegende Wahl für die Steuerfreiheit oder Steuerpflicht der Grundstückslieferung nicht mit Rückwirkung (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) durch Ausgabe einer Rechnung mit Steuerausweis ändern kann.
d) Wegen der getroffenen Wahl für die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung kann die nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Lieferung mit Steuerausweis ausgegebene Rechnung auch nicht zu einer rückwirkenden Änderung der Steuerfestsetzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 führen (vgl. zur nicht mehr zugelassenen Änderung von Wahlrechten nach bestandskräftiger Veranlagung BFH-Urteil vom 13. Februar 1997 IV R 95/95, BFH/NV 1997, 635 zu II. 2. c, m.w.N.).
5. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Es hat nicht geprüft, ob in der von der Klägerin zum Vorsteuerabzug vorgelegten Rechnung eine Steuer ausgewiesen worden ist, die für die abgerechnete Grundstückslieferung nicht geschuldet wird. Diese Lieferung ist nicht steuerpflichtig ausgeführt worden, wenn der Verzicht der A-KG auf die Steuerbefreiung unwirksam ist. Dies hat das FG unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 67172 |
BFH/NV 1998, 1438 |
BFH/NV 1998, 1438-1440 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 695 |
BFHE 185, 536 |
BFHE 1998, 536 |
BB 1998, 1728 |
DB 1998, 1801 |
DStR 1998, 1261 |
DStRE 1998, 641 |
DStRE 1998, 641 (Leitsatz) |
DStZ 1998, 808 |
HFR 1998, 1011 |
UR 1998, 349 |