Leitsatz (amtlich)
1. Eine uneingeschränkte Übertragung der für Erbfall und Erbauseinandersetzung maßgebenden Rechtsgrundsätze (Urteil des Senats vom 5. November 1974 VIII R 81/69, BFHE 114, 475, BStBl II 1975, 411) auf andere Fälle unentgeltlichen Erwerbs (vorweggenommene Erbfolge usw.) ist nicht gerechtfertigt.
2. Werden Miteigentumsanteile an einem Grundstück im Hinblick auf einen künftigen Erbfall unentgeltlich übertragen, so ist deren Überlassung gegen Abfindung an Mitberechtigte nicht mehr Teil der unentgeltlichen Erwerbsvorgänge.
3. Die Übernahme derart erworbener Miteigentumsanteile gegen Abfindung stellt eine Anschaffung dar. Als Zeitpunkt der Anschaffung i. S. von § 23 EStG ist grundsätzlich der des Abschlusses der entsprechenden notariellen Vereinbarungen zugrunde zu legen.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 a
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1970, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) einen Spekulationsgewinn durch Veräußerung eines im Privatvermögen geführten Hausgrundstücks innerhalb der Spekulationsfrist erzielt hat (§ 22 Nr. 2, § 23 EStG).
Der Kläger und seine beiden Geschwister wurden zu je einem ideellen Drittel Miteigentümer eines Grundstücks (Haus mit Grund und Boden), und zwar im Wege vorweggenommener Erbfolge nach ihrem Vater (notarieller Vertrag mit diesem vom 22. Oktober 1962). Sie vereinbarten formlos untereinander, daß der Kläger das Alleineigentum am Grundstück erhalten solle. Dieser zahlte im Jahre 1965 an seine beiden Geschwister je 4.000 DM als Abfindung für ihre Grundstücksanteile. Deren Übertragung wurde mit notariellem Vertrag vom 20. Januar 1970 unter Festsetzung des Wertes jeden Anteils auf 4.000 DM vollzogen. Am 1. September 1970 verkaufte der Kläger den Grundbesitz für einen Preis von 36.500 DM.
Bis dahin hatte der Kläger die laufenden Grundstückskosten einschließlich Zins- und Tilgungsleistungen für die auf dem Grundstück ruhende Grundschuld bestritten, ohne Miete an die Geschwister zu zahlen.
Er bewohnte das Haus bis 1965 mit seinem Vater, der sich ein lebenslängliches Wohnrecht in einem Zimmer vorbehalten hatte und mit einer Schwester, danach nur mit dem Vater, seit dessen Tod – 1967 – allein.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) bejahte aufgrund dieses Sachverhalts ein Spekulationsgeschäft des Klägers. Er ermittelte einen Spekulationsgewinn aus Anschaffung und Veräußerung der Grundstückanteile der Geschwister von 15.646 DM, den er der Einkommensteuerveranlagung 1970 des Klägers zugrunde legte.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger, die Einkommensteuer 1970 unter Streichung des Spekulationsgewinns auf 29.578 DM herabzusetzen, hilfsweise, sie entsprechend einem Spekulationsgewinn von 1.452 DM zu ermäßigen.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es hielt – wie das FA – die Voraussetzungen eines Spekulationsgeschäftes, auch hinsichtlich der für Grundbesitz geltenden Spekulationsfrist von nicht mehr als zwei Jahren zwischen Anschaffung und Veräußerung, für gegeben. Die Vorinstanz beurteilte im Umfange der dem Kläger überlassenen Grundstücksanteile der Geschwister den notariellen Vertrag vom 20. Januar 1970 als Anschaffung von Grundbesitz und den Verkauf am 1. September 1970 als Veräußerung i. S. von § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 a EStG. Ein Erwerb wirtschaftlichen Eigentums am Grundstück durch den Kläger vor dem 20. Januar 1970, so führte sie im einzelnen aus, sei zu verneinen. Den Ansatz der Anschaffungskosten von 8.000 DM bei Ermittlung des Spekulationsgewinns hielt das FG für rechtmäßig.
Die Revision, mit welcher der Kläger Aufhebung der Vorentscheidung und Festsetzung der Einkommensteuer entsprechend seinem Klagebegehren erstrebt, rügt Verletzung materiellen Rechts (§§ 22, 23 EStG, § 1, § 5 Abs. 3 StAnpG).
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision ist nicht begründet. Das Ergebnis der Vorentscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
II.
Spekulationsgeschäfte sind Veräußerungsgeschäfte, bei denen – falls es sich um Grundbesitz handelt – der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre beträgt (§ 2 Abs. 3 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 a EStG). Eine Anschaffung liegt nach der Rechtsprechung des BFH nur vor, wenn der Grundbesitz entgeltlich erworben wird (vgl. Urteil vom 5. Mai 1961 VI 107/60, BFHE 73, 326, BStBl III 1961, 385).
Als Anschaffung in diesem Sinne ist deshalb nicht der Erwerb im Wege der Erbfolge zu beurteilen, zu dem die Erbauseinandersetzung entsprechend den tatsächlichen Werten der Erbanteile unter Zuweisung von Nachlaßgegenständen mit angemessenem Wertausgleich gehört (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 5. November 1974 VIII R 81/69, BFHE 114, 475, BStBl II 1975, 411, mit Nachweisen). Die uneingeschränkte Übertragung der für Erbfall und Erbauseinandersetzung nach der Entscheidung VIII R 81/69 maßgebenden Rechtsgesichtspunkte auf andere Fälle unentgeltlichen Erwerbs ist indes nicht gerechtfertigt. Das gilt insbesondere für den Erwerb von Vermögensgegenständen im Hinblick auf einen künftigen Erbfall unter späterer Überlassung der in dieser Weise erworbenen Werte gegen Abfindung an andere. Die Vorgänge bei Erbfall und Erbauseinandersetzung unterscheiden sich wesentlich von denen einer vorweggenommenen Erbfolge, wie sie hier vorliegt. Insofern ist der Ansicht des Klägers, das Urteil VIII R 81/69 treffe nicht den vorliegenden Sachverhalt, beizupflichten.
Während Erben kraft Gesamtrechtsnachfolge die geerbten Gegenstände unter Gesamthandsberechtigung und -bindung erwerben (§§ 1922, 2032, 2033 Abs. 2, 2038 f., 2040, 2042 BGB; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 34. Aufl., 1975, Überblick vor § 903 Anm. 5 c, § 2032 Anm. 1 a, b, § 2033 Anm. 4), handelt es sich bei Zuwendungen in Vorwegnahme eines Erbfalls um Einzelrechtsnachfolgen in die überlassenen Gegenstände (vgl. BFH-Urteil vom 21. August 1962 I 82/60 U, BFHE 76, 482, BStBl III 1963, 178; Urteil des RG vom 7. März 1905, RGZ 60, 238; Palandt, a. a. O., Überblick vor § 2274 Anm. 7 b). Nichts anderes gilt für im Hinblick auf den künftigen Erbfall vorgenommene unentgeltliche Übertragungen von Miteigentumsanteilen an einem Grundstück, welche die Entscheidung von Gesamthandsberechtigungen und -bindungen hinsichtlich der einzelnen Miteigentumsanteile nicht unmittelbar bewirken (Palandt, a. a. O., Überblick vor § 903 Anm. 5 c). Denn jeder Inhaber eines in dieser
Weise erworbenen Miteigentumsanteils ist mangels Entgegenstehens besonderer Umstände, die hier nicht gegeben sind, berechtigt, über den derart von ihm erworbenen Anteil rechtsverbindlich allein und unabhängig von der Mitwirkung der Mitberechtigten zu verfügen (§§ 1008 f., 741 f., 747 Satz 1 BGB; Palandt, a. a. O., Einführung vor § 1008 Anm. 2, 3 b und c). Einer Auseinandersetzung unter den Mitbedachten, wie sie zwischen Miterben wegen ihrer Gesamthandsberechtigung und -bindung hinsichtlich der einzelnen Nachlaßgegenstände erforderlich ist, bedarf es nicht.
Das bedeutet – auch bei wirtschaftlicher Betrachtung (§ 1 StAnpG) –, daß der Vorgang unentgeltlichen Erwerbs, soweit er in der Zuwendung von Miteigentumsanteilen an einem Grundstück im Wege vorweggenommener Erbfolge an die Bedachten besteht, sich hierin erschöpft und sich nicht auf Weiterüberlassungen der zugewendeten Gegenstände an andere erstreckt: Der unentgeltliche Erwerbsvorgang ist also mit dem Übergang der einzelnen ideellen Miteigentumsanteile am Grundstück auf die bedachten Miteigentümer abgeschlossen und umfaßt (anders als bei Erbfällen) nicht eine spätere „Auseinandersetzung” durch die Mitberechtigten unter Zuweisung bestimmter Gegenstände mit Wertausgleich. Eine Überlassung des zugewendeten Gegenstandes an andere ist nicht mehr Teil des unentgeltlichen Erwerbs, sondern – bei Übertragung gegen Entgelt – als selbständiges Veräußerungsgeschäft bzw. beim Erwerber als selbständiges Anschaffungsgeschäft zu beurteilen. Soweit den Ausführungen des Urteils des BFH vom 5. Oktober 1966 VI 309/64 (BFHE 87, 146, BStBl III 1967, 74) etwas anderes zu entnehmen wäre, könnte dem der Senat nicht folgen.
III.
a) Bei Beachtung dieser Rechtslage ist das materiellrechtliche Ergebnis der Vorentscheidung, die das Vorliegen eines Anschaffungsgeschäftes des Klägers in Gestalt der notariellen Vereinbarungen mit seinen Geschwistern vom 20. Januar 1970 aus anderen Gründen bejaht hat, nicht zu beanstanden.
Die diese Rechtsbeurteilung tragenden Feststellungen der Vorinstanz sind ohne Verletzung geltenden Rechtes zustande gekommen, tatsächlich möglich und deshalb für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Der Vater hat hiernach dem Kläger und seinen Geschwistern durch notariellen Vertrag vom 22. Oktober 1962 ideelle Miteigentumsanteile von je 1/2 am Grundstück (Haus mit Grund und Boden) im Hinblick auf den künftigen Erbfall unentgeltlich überlassen. Der Kläger hat sodann die Miteigentumsanteile der Geschwister gegen Abfindungen von insgesamt 8.000 DM übernommen. Da der unentgeltliche Rechtsvorgang der Zuwendung der Miteigentumsanteile durch den Vater an den Kläger und seine Geschwister mit der abgeschlossenen Einzelrechtsnachfolge der Geschwister in die Miteigentumsanteile rechtlich und wirtschaftlich als anzusehen ist, stellt die spätere Überlassung der so erworbenen Miteigentumsanteile durch die Geschwister an den Kläger gegen Abfindung auf seiten der Geschwister eine Veräußerung, auf seiten des Klägers einen Anschaffungsvorgang dar, der nicht mehr Teil eines unentgeltlichen Erwerbs ist. Die Auffassung der Vorinstanz, die notariellen Vereinbarungen vom 20. Januar 1970, durch welche die Geschwister ihre Miteigentumsanteile auf den Kläger gegen Abfindungen von insgesamt 8.000 DM übertrugen, sei als obligatorischer Anschaffungsvertrag des Klägers aufzufassen, ist deshalb im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu bemängeln.
b) Die Vorentscheidung begegnet auch sonst keinen Bedenken.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist zur Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung in aller Regel von den Zeitpunkten der Abschlüsse der obligatorischen Verträge auszugehen (vgl. Urteile vom 22. November 1963 VI 120/62, HFR 1964, 157; vom 19. Oktober 1971 VIII R 84/71, BFHE 104, 513, BStBl II 1972, 452; vom 7. August 1970 VI R 166/67, BFHE 100, 93, BStBl II 1970, 806; vom 15. Januar 1974 VIII R 63/68, BFHE 112, 31, BStBl II 1974, 606). Als Zeitpunkt der Anschaffung ist demgemäß bei Erwerb eines Grundstücks oder von Miteigentumsanteilen an einem Grundstück grundsätzlich der Zeitpunkt des Abschlusses des zugrunde liegenden obligatorischen Anschaffungsvertrages maßgebend. Etwas anderes gilt zwar dann, wenn die Vertragspartner vor Abschluß der schuldrechtlichen Vereinbarungen Verhältnisse geschaffen haben, die deren Ergebnis bei wirtschaftlicher Betrachtung (§ 1 StAnpG) vorwegnehmen. Das kann u. a. dadurch geschehen, daß vorher wirtschaftlich gleichzustellende Abmachungen getroffen wurden oder zuvor das dingliche Rechtsgeschäft vollzogen war (vgl. BFH-Urteil VI R 166/67). Beides ist jedoch nach den auch insoweit einwandfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht geschehen.
Insbesondere hat die Vorinstanz nach den Gegebenheiten der Sache einen entgegenstehenden Eigenbesitz des Klägers am Grundstück vor Abschluß des notariellen Vertrages vom 20. Januar 1970 mit Recht verneint. Der Umstand, daß der Kläger den Grundbesitz als Einkunftsquelle benutzen konnte, steht der Annahme, daß er nicht wie ein Eigentümer über die Grundlagen dieser Quelle im Unfange der dinglichen Berechtigungen seiner Geschwister verfügen konnte und einen Eigenbesitz insoweit nicht hatte, nicht entgegen. Das gilt auch dann, wenn die Geschwister ihre aus den Miteigentumsanteilen fließenden Rechte hinsichtlich der Erzielung von Nutzungen aus dem Grundbesitz durch den Kläger nicht geltend gemacht haben, wie dieser einwendet. Entsprechendes gilt für seine Einlassung, die beiden Geschwister hätten ab 1965 das Haus weder bewohnt noch Mietzahlungen erhalten. Eine Verkennung der maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Vorinstanz ist nicht zu ersehen und nicht dargetan worden. Für die Ansicht des Klägers, die Geschwister seien in der Zeit vor Abschluß des notariellen Vertrages vom 20. Januar 1970 auf Dauer von der Einwirkung auf das Grundstück ausgeschlossen gewesen, fehlt es an der Feststellung entsprechender Anhaltspunkte. Die Tatsache, daß die Abfindung bereits vor Abschluß des notariellen Vertrages erbracht wurde, führt zu keiner abweichenden Beurteilung, weil darin weder allein noch im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen eine Vorwegnahme des notariellen Vertrages vom 20. Januar 1970 im wirtschaftlichen Ergebnis zu finden ist, insbesondere nicht in Gestalt der Begründung eines Eigenbesitzes. Umstände, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind auch sonst nicht zu erkennen.
Demgemäß sind für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung der vom Kläger entgeltlich erworbene Grundstücksanteile die Zeitpunkte der Abschlüsse der notariellen Verträge vom 20. Januar und 1. September 1970 maßgebend. Da dieser Zeitraum weniger als zwei Jahre beträgt, sind die Voraussetzungen eines Spekulationsgeschäfts des Klägers i. S. von § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 a EStG verwirklicht.
(2) Die vorgenommene Gewinnermittlung ist ebenfalls zutreffend. Das gilt insbesondere für den Ansatz der Anschaffungskosten für die Grundstücksanteile der Geschwister mit 8.000 DM, die effektiv vereinbart und entrichtet worden sind. Der Kläger kann nicht unter dem Gesichtspunkt der Geldentwertung einen höheren Ansatz verlangen. Entgegen seiner Ansicht führte die Geldentwertung vorliegend nicht zu einem wesentlichen, mit der Eigentumsgarantie der Verfassung unvereinbaren Eingriff in die Vermögenssubstanz. Nach den Ausführungen des BFH in den Entscheidungen vom 27. Juli 1967 IV 300/64 (BFHE 89, 422, BStBl III 1967, 690); vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72 (BFHE 112, 546, BStBl II 1974, 572), und VIII R 162/73 (BFHE 112, 567, BStBl II 1974, 582) kann die bis einschließlich 1970 eingetretene Geldentwertung bei der Einkommensbesteuerung nicht berücksichtigt werden. Schon deshalb kann der Hilfsantrag nicht durchdringen.
Fundstellen
Haufe-Index 72265 |
BStBl II 1977, 382 |
BFHE 1977, 42 |