Leitsatz (amtlich)

Ausgleichszahlungen einer Gesellschafterin A an die außenstehenden Aktionäre der Kapitalgesellschaft B auf Grund eines zwischen A und B geschlossenen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrags (sog. Dividendengarantie) unterliegen nicht der Gesellschaftsteuer.

 

Normenkette

KVStG 1934/1955 § 2 Nrn. 2-4, § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 2 S. 1; AktG § 304

 

Tatbestand

Die bisherige Klägerin (B) hat im Jahre 1971 ihr Vermögen auf die A-Aktiengesellschaft übertragen; die Verschmelzung wurde am... 1971 in das Handelsregister des Sitzes der B eingetragen. Die A-Aktiengesellschaft firmiert seit... 1972 als X-AG (fortan Revisionsklägerin).

Am Grundkapital der B waren die A mit 36,53 v. H., die Z mit 19,59 v. H. beteiligt, die restlichen Anteile gehörten außenstehenden Aktionären. Die A war von Z ermächtigt, deren Aktienrechte auszuüben. Durch einen schriftlichen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag vom 5. April 1955 verpflichtete sich die A gegenüber der B für die Dauer von 20 Jahren deren Verluste zu übernehmen und an deren außenstehende Aktionäre jährlich eine Entschädigung in Höhe der halben, von der Hauptversammlung der A beschlossenen Dividende zu zahlen. Auf Grund dieser Verpflichtung zahlte sie in den Jahren 1955 bis 1958 insgesamt 1 612 262 DM an die außenstehenden Aktionäre der B.

Der Beklagte, das FA, war der Ansicht, bei diesen Zahlungen handele es sich um Leistungen, welche die A auf Grund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt habe. Die Zahlungen seien - ebenso wie die Verlustübernahme - als gesellschaftsteuerpflichtig nach § 2 Nr. 2 Satz 1 KVStG zu beurteilen. Er hat durch Bescheid vom 27. Juni 1961 die Gesellschaftsteuer für die B auf 48 367,86 DM festgesetzt; den Einspruch hat er als unbegründet zurückgewiesen. Dabei ging er davon aus, daß die A die bezeichneten Zahlungen letzten Endes "im Interesse" der B bewirkt habe, nämlich "zur Abwendung möglicher Schadenersatzansprüche" der außenstehenden Aktionäre. Denn da die A nur über eine knappe Mehrheit am Grundkapital der B habe verfügen können, seien - falls ein Ergebnisabführungsvertrag ohne Entschädigung für die außenstehenden Aktionäre vereinbart worden wäre - "mit großer Wahrscheinlichkeit Schadenersatzansprüche dieser recht erheblichen Minderheit zu erwarten gewesen". Diese Ansprüche hätten die außenstehenden Aktionäre aber nur gegen die B oder deren Organe, nicht gegen die A geltend machen können.

Mit der Berufung machte die B im wesentlichen geltend, die A habe nicht an sie, sondern an Dritte (an die außenstehenden Aktionäre) geleistet. Das FG hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Revision rügt die Revisionsklägerin unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 2 Satz 1 KVStG.

Die Revisionsklägerin beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Gesellschaftsteuerbescheid ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es auf unrichtiger Anwendung des § 2 Nr. 2 Satz 1 KVStG beruht. Nach dieser Vorschrift unterliegen der Gesellschaftsteuer auch "Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft auf Grund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden (Beispiele: weitere Einzahlungen, Nachschüsse, Zubußen)". Das Finanzgericht hat diese Vorschrift insofern unrichtig angewendet, als es angenommen hat, der Begriff "Leistungen" erfordere nicht, daß durch die Leistung das Vermögen der Kapitalgesellschaft erhöht werde. Demgegenüber hat der erkennende Senat schon frühzeitig betont, daß eine Leistung im Sinne der angeführten Vorschrift nur dann vorliegt, wenn durch sie der Kapitalgesellschaft neue Vermögenswerte unmittelbar zugeführt werden (Urteil des BFH vom 1. April 1953 II 256/52 U, BFHE 57, 369, BStBl III 1953, 145). Eine dahingehende Auslegung des Merkmals "Leistungen" folgt insbesondere aus dem Zweck der Vorschrift, die Zuführung von Kapital durch die Gesellschafter an ihre Kapitalgesellschaft zu besteuern (Urteil des BFH vom 8. November 1967 II 176/61, BFHE 91, 172, 176 ff., BStBl II 1968, 213 mit weiteren Nachweisen).

Durch die Entschädigungszahlungen der A an die außenstehenden Aktionäre der B wurden der B keine neuen Vermögenswerte zugeführt. Die Zahlungen sollten vielmehr die außenstehenden Aktionäre für Nachteile entschädigen, welche ihnen der Vertrag vom 5. April 1955 brachte, insbesondere dafür, daß sie während der Dauer des Vertrags keine Dividende mehr von der B erhalten und keinen Einfluß auf die Unternehmenspolitik der B mehr nehmen konnten. Den außenstehenden Aktionären der B waren ihre Rechte gewissermaßen von der A "abgekauft" worden (ein Bild freilich, das unter dem jetzt geltenden § 304 des Aktiengesetzes 1965 nicht mehr zutrifft). Die durch die Entschädigungszahlungen auszugleichenden Vor- und Nachteile bestanden nicht im Verhältnis zwischen der B und ihren außenstehenden Aktionären, sondern zwischen der A und den außenstehenden Aktionären der B.

Darin liegt der entscheidende Unterschied zur Steuerpflicht der in einer sog. Verlustübernahme bestehenden Leistung (vgl. zu dieser die Urteile der BFH vom 8. November 1967 II 176/61, BFHE 91, 172, BStBl II 1968, 213, und vom 11. Juli 1973 II R 148/72, BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855, sowie § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972). Bei dieser muß die ergebnisabführungsberechtigte Gesellschafterin (A) ihre Leistungen nicht so sehr deshalb erbringen, weil die außenstehenden Aktionäre der Kapitalgesellschaft (B) durch den Ergebnisabführungsvertrag geschädigt sind, sondern deshalb, weil die ergebnisabführungsverpflichtete Kapitalgesellschaft (B) selbst unmittelbar geschädigt ist. Die von der A zu erbringende Leistung kommt der B selbst zu, und zwar nicht nur im Interesse ihrer außenstehenden Aktionäre, sondern auch in ihrem eigenen und im Interesse ihrer Gläubiger, ja selbst im Interesse der leistenden Gesellschafterin A.

Da die A keine Leistungen an die B erbracht hat, scheidet auch eine Steuerpflicht nach den Nrn. 3 und 4 des § 2 KVStG aus.

Der BFH entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Der angefochtene Gesellschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung sind aufzuheben, weil die Steuerfestsetzung aus den dargelegten Gründen rechtswidrig ist und die Revisionsklägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71357

BStBl II 1975, 453

BFHE 1975, 289

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