Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine haftungsbegründende Pflichtverletzung des GmbH-Geschäftsführers bei Kontosperrung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter
Leitsatz (NV)
1. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt steht das Recht zu, den Schuldner an der Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu hindern.
2. Veranlasst ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt eine Kontosperrung, handelt der Geschäftsführer der insolventen GmbH nicht schuldhaft i.S. von § 69 AO, wenn er das Verhalten des Insolvenzverwalters nicht vorausschauend bedacht und für die Entrichtung der Lohnsteuer noch vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesorgt hat.
Normenkette
AO §§ 69, 34; InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2; EStG § 41a
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen er am 12. September 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragte. Ohne ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 der Insolvenzordnung (InsO) zu erlassen, bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 13. September 2001 einen vorläufigen Insolvenzverwalter, dessen Pflichten es wie folgt festlegte: "Der vorläufige Verwalter soll das vollstreckungsbefangene Vermögen der Schuldnerin in Verwaltung und Verwahrung nehmen, er soll Außenstände einziehen und sie, eingehende Gelder und vorhandene Barguthaben auf ein von ihm zu errichtendes Anderkonto einzahlen." Bis August 2001 hatte die GmbH Löhne und Gehälter in voller Höhe an die Arbeitnehmer ausbezahlt. Die Lohnsteueranmeldung für August 2001 war beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) am 7. September 2001 eingegangen. Am 19. September 2001 veranlasste der vorläufige Insolvenzverwalter eine Sperrung des Kontos, so dass der vom FA am selben Tag mittels einer von der GmbH zuvor erteilten Einzugsermächtigung vorgenommene Bankeinzug scheiterte. Am 1. November 2001 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Haftungsbescheid vom 2. April 2002 nahm das FA den Kläger hinsichtlich der für den Monat August 2001 nicht abgeführten Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschläge gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass das FA den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe. Als alleiniger Geschäftsführer der GmbH hätte dieser für eine fristgerechte Abführung der Lohnsteuer an das FA Sorge tragen müssen. Dieser Pflicht sei er grob fahrlässig nicht nachgekommen. Durch die Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters sei der Kläger aus seiner Pflichtenstellung nicht verdrängt worden; vielmehr sei er weiterhin verfügungsberechtigt gewesen. Für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme sei entscheidend, dass er am 10. September 2001 die fällige Lohnsteuer nicht an das FA abgeführt habe. Auf die erteilte Einzugsermächtigung habe er indes nicht vertrauen dürfen, denn er habe mit Verfügungsbeschränkungen durch das Insolvenzgericht oder den vorläufigen Insolvenzverwalter rechnen müssen. Dies gelte umso mehr, als er selbst im Hinblick auf § 64 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) von der rechtlichen Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit habe ausgehen müssen. Ursächlich für den entstandenen Vermögensschaden sei nicht die verweigerte Zustimmung des Insolvenzverwalters und auch nicht eine sich aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergebende Beschränkung seiner Befugnisse, sondern allein seine Untätigkeit.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, dass das FA ihn zu Unrecht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe. Wie der Bundesgerichtshof --BGH-- (Urteil vom 18. April 2005 II ZR 61/03, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2005, 1026) entschieden habe, sei die Pflicht des GmbH-Geschäftsführers zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung innerhalb der ersten drei Wochen nach Insolvenzreife suspendiert. Dies ergebe sich aus dem in § 64 Abs. 2 GmbHG verankerten Grundsatz der Massesicherung. Bei seiner Entscheidung habe das FG die Pflichtenkollision übersehen, die sich aus der Lohnsteuerentrichtungspflicht nach § 41a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und dem Gebot der Massesicherung aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergebe. Darüber hinaus sei dem FA eine Einzugsermächtigung erteilt worden, von der es auch Gebrauch gemacht habe. Der Lohnsteuereinzug sei letztlich daran gescheitert, dass der vorläufige Insolvenzverwalter ohne vorherige Abstimmung mit ihm, dem Kläger, eine Kontosperre veranlasst habe. Aus diesem Grund könne ihm der Vorwurf einer zumindest grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht gemacht werden. Vorausschauende Überlegungen in Bezug auf das Verhalten des Insolvenzverwalters habe er nicht anstellen müssen.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass eine tatsächlich erfolgte Lohnsteuerzahlung vom Insolvenzverwalter nach § 130 Abs. 1 InsO hätte angefochten werden können. Die Anfechtungsvoraussetzungen seien im Streitfall erfüllt gewesen, denn das FA habe aufgrund des gescheiterten Bankeinzugs von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH Kenntnis erlangt. Infolge der Anfechtungsmöglichkeit entfalle die für eine Haftung nach § 69 AO erforderliche Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden.
Der Kläger beantragt die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision als unbegründet. Es schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an. Die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Steuerzahlung entfalle nicht dadurch, dass sie möglicherweise mit einer Schadensersatzpflicht aus § 64 Abs. 2 GmbHG konkurriere. Auch nach der Rechtsprechung des BGH komme es hinsichtlich der Strafbarkeit aus § 266a des Strafgesetzbuchs auf diese Pflichtenkollision nicht an. Auch nach Stellung des Insolvenzantrags sei der GmbH-Geschäftsführer zur Abführung der Lohnsteuer verpflichtet, wenn ihm die Verfügungsbefugnis vom Insolvenzgericht belassen worden sei. Denn nach der Entscheidung des Insolvenzgerichts lebe die Pflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer wieder auf. Im Streitfall habe der Kläger im Vorfeld der Unternehmenskrise nicht die gebotene Sorgfalt obwalten lassen. Nach Antragstellung habe er mit Verfügungsbeschränkungen rechnen müssen. Schließlich könnten hypothetische Kausalverläufe im Rahmen der Haftung nach § 69 AO keine Berücksichtigung finden. Die Kausalität der Pflichtverletzung für den Schadenseintritt könne durch ein mögliches Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters nicht entfallen. Da Lohnsteuerzahlungen als Teil eines Bargeschäfts nach § 142 InsO angesehen werden müssten, käme eine Anfechtbarkeit nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 133 InsO in Betracht.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und ist daher aufzuheben. Entgegen der Rechtsansicht des FG und des FA in den angefochtenen und ebenfalls aufzuhebenden Verwaltungsentscheidungen hat der Kläger die ihm als GmbH-Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten nicht schuldhaft verletzt, indem er für die Entrichtung der für den Monat August 2001 geschuldeten Lohnsteuer keine Sorge getragen hat.
1. Grundsätzlich oblag dem Kläger als GmbH-Geschäftsführer und gesetzlichem Vertreter i.S. von § 34 AO die Pflicht zur Einbehaltung und fristgerechten Abführung der von der GmbH angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und § 41a EStG). An der ordnungsgemäßen Erfüllung dieser Pflicht ist er jedoch durch die vom vorläufigen Insolvenzverwalter getroffenen Maßnahmen gehindert worden.
a) Dem FA ist darin zuzustimmen, dass mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 2 InsO kein Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verbunden ist. Der Schuldner bleibt daher verfügungsbefugt und wird aus seiner Pflichtenstellung nicht verdrängt. In welchem Umfang sich die vom Insolvenzgericht angeordneten Maßnahmen auf die Pflichtenstellung des Schuldners auswirken, hängt entscheidend vom Inhalt des Beschlusses ab, mit dem das Eröffnungsverfahren eingeleitet wird.
b) Vorliegend hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, ohne der Schuldnerin nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausdrücklich ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder einen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen. Es hat jedoch gemäß § 22 Abs. 2 InsO bestimmt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter u.a. das vollstreckungsbefangene Vermögen der Schuldnerin in Verwaltung zu nehmen und vorhandene Barguthaben auf ein von ihm zu errichtendes Anderkonto einzuzahlen habe. Darüber hinaus ist der vorläufige Insolvenzverwalter zur Fortführung des Betriebes ermächtigt worden. Damit hat das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Stellung eingeräumt, die diesen in die Lage versetzte, die Zugriffsmöglichkeiten des Schuldners auf noch vorhandene Mittel wesentlich einzuschränken. In der BGH-Rechtsprechung ist anerkannt, dass zumindest der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt berechtigt ist, die Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern (BGH-Urteil vom 4. November 2004 IX ZR 22/03, Neue Juristische Wochenschrift 2005, 675). Denn er hat ein rechtlich geschütztes Interesse daran, das noch vorhandene Schuldnervermögen zu sichern und zu erhalten und sich einen genauen Überblick über die wirtschaftliche Lage zu verschaffen. Im Rahmen dieser Aufgabenstellung kann es ihm nicht verwehrt werden, Veränderungen der vorgefundenen Verhältnisse zu unterbinden.
Im Streitfall hat der vorläufige Insolvenzverwalter von den ihm eingeräumten Befugnissen Gebrauch gemacht und eine Kontosperrung veranlasst. Dies hat dazu geführt, dass die für den Monat August 2001 geschuldete Lohnsteuer nicht an das FA entrichtet werden konnte. Bis zur Stellung des Insolvenzantrags am 12. September 2001 konnte der Kläger noch davon ausgehen, dass das FA von der ihm erteilten Einzugsermächtigung Gebrauch machen und die geschuldeten Steuerbeträge einziehen werde. Nach dem Vortrag des Klägers und den Feststellungen des FG waren auf dem Konto der GmbH auch noch Geldmittel vorhanden, die zur Tilgung der Lohnsteuerverbindlichkeiten ausgereicht hätten. Entgegen der Rechtsauffassung des FG kann dem Kläger in dieser Situation nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe es grob fahrlässig und damit pflichtwidrig unterlassen, für eine Abführung der Lohnsteuer noch vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu sorgen. Denn es hieße die Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers zu überspannen, wolle man von ihm verlangen, den zu erwartenden Maßnahmen des Insolvenzgerichts vorausschauend entgegenzuwirken und einer etwaigen Verfügungsbeschränkung zuvorzukommen.
Wie der Senat entschieden hat, kann einem Schuldner, der eine durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ausgesprochene Zustimmungsverweigerung zunächst akzeptiert und dagegen nicht unverzüglich rechtliche Schritte einleitet, nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe die gebotene Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt und das außer Acht gelassen, was jedem hätte sofort einleuchten müssen (Senatsbeschluss vom 3. Dezember 2004 VII B 178/04, BFH/NV 2005, 661). Da der Kläger nicht schuldhaft i.S. von § 69 AO gehandelt hat, kommt eine Haftung für die für den Monat August 2001 geschuldete Lohnsteuer nebst steuerlichen Nebenleistungen nicht in Betracht.
2. Entgegen der Ansicht des FA kann dem Kläger auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe nach Stellung des Eröffnungsantrags die Entrichtung der Abzugsbeträge pflichtwidrig unterlassen. Denn zu diesem Zeitpunkt verfügte er aufgrund der vom vorläufigen Insolvenzverwalter veranlassten Kontosperrung nicht mehr über die hierzu erforderlichen Mittel. Auch ist zu berücksichtigen, dass nach den Anordnungen des Eröffnungsbeschlusses die Verwaltung des vollstreckungsbefangenen Vermögens nunmehr dem vorläufigen Insolvenzverwalter oblag.
3. Da bereits aus den vorgenannten Gründen von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers nicht ausgegangen werden kann, bedarf es keiner Entscheidung über die anderen von der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer etwaigen Pflichtenkollision aus § 41a EStG und § 64 Abs. 2 GmbHG und der Berücksichtigung einer möglichen Anfechtung gedachter Lohnsteuerzahlungen nach § 130 Abs. 1 InsO.
Fundstellen
Haufe-Index 1818366 |
BFH/NV 2007, 2225 |
DStRE 2008, 44 |
HFR 2008, 105 |