Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliches Einlagekonto; Einlagenrückgewähr
Leitsatz (NV)
1. Das steuerliche Einlagekonto des § 27 KStG 1999 n.F. dient mit Blick auf die Besteuerung des Anteilseigners dazu, die nicht steuerpflichtige Auskehrung von Einlagen (“Einlagenrückgewähr”) zu identifizieren bzw. von grds. steuerpflichtigen Gewinnausschüttungen zu separieren. Um dies zu gewährleisten, werden die nicht in das Nennkapital geleisteten (verdeckten) Einlagen auf einem besonderen Konto erfasst und bei Rückgewähr entsprechend bescheinigt, damit die Ausschüttung insoweit nicht der Halb- bzw. Teileinkünftebesteuerung auf der Anteilseignerebene unterliegt. Nach dem eindeutigen Wortlaut der § 39 Abs. 1 KStG 1999 n.F. bzw. § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 n.F. sind Differenzen zwischen dem Eigenkapital nach Handels- und Steuerbilanz weder bei der erstmaligen Bildung des Einlagekontos noch bei der jährlichen Fortschreibung des Einlagekontos zu erfassen. Denn diese Differenzen sind weder Einlagen i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999 a.F. noch sind sie nicht in das Nennkapital geleistete Einlagen i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 n.F. bzw. diesem Begriff zuzuordnende und auf das jeweilige Feststellungsjahr bezogene Zu- und Abgänge.
2. Eine Ausschüttung, die den ausschüttbaren Gewinn des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG 1999 n.F. und den Bestand des Einlagekontos übersteigt, gilt nicht als aus dem Einlagekonto gespeist und führt daher nicht zu einem gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1997/2002 steuerfreien Vermögenszugang; es handelt sich dabei um kapitalertragsteuerpflichtige Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 1997/2002 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 EStG 1997/2002.
Normenkette
KStG 1999 § 27 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 39 Abs. 1, § 30 Abs. 2 Nr. 4; EStG 1997 § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1, 3, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStG 2002 § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1, 3, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
A. Streitig sind die Höhe des sog. steuerlichen Einlagekontos (Feststellungszeitpunkte 31. Dezember 2001 bis 31. Dezember 2003) und die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids für Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag 08/2004 (Ausschüttung für das Wirtschaftsjahr 2003).
Unternehmensgegenstand der Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, war in den Streitjahren u.a. das Halten von Beteiligungen an Personengesellschaften. Die Gesellschafter der Klägerin waren teilweise im Ausland (Großbritannien) ansässig.
Nach einem Gewinnverwendungsbeschluss vom 20. August 2004 sollte für das zum 31. Dezember 2003 endende Geschäftsjahr aus dem Bilanzgewinn von 7.966.369,07 € neben der bereits beschlossenen und in einer gesonderten Kapitalertragsteueranmeldung erfassten Dividende in Höhe von 600.000 € eine weitere Dividende in Höhe von 7.346.938,78 € an die Gesellschafter ausgeschüttet werden. Die Kapitalertragsteueranmeldung vom 9. September 2004 bezog sich auf Gewinnanteile von 3.235.483 € und hierauf nach Berücksichtigung von Freistellungen entfallende Kapitalertragsteuer von 551.973,40 € zzgl. Solidaritätszuschlag. Da Steuerbilanzen nicht erstellt worden waren, hatte die Klägerin den steuerlich ausschüttbaren Gewinn anhand der aufsummierten Steuerbilanzgewinne gemäß den Körperschaftsteuerbescheiden für 1996 bis 2003 abzüglich der erfolgten Ausschüttungen mit 3.235.483 € berechnet. Diese Berechnung fügte sie der Steueranmeldung bei; darüber hinaus teilte sie mit, dass nach ihrer Ansicht die über diesen Betrag hinausgehende Ausschüttung von 4.111.455,78 € gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3, § 43 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997/2002 (EStG 1997/2002) nicht kapitalertragsteuerpflichtig sei. Insoweit werde das steuerliche Einlagekonto gemindert, da die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteige.
Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Endbestände gemäß § 36 Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes 1999 (i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts [Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz] vom 20. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35 --KStG 1999 n.F.--) in Verbindung mit einem Bescheid zum 31. Dezember 2001 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 KStG 1999 n.F., der später aus hier nicht streitigen Gründen geändert wurde. Hierin ist u.a. ein Endbestand aus Einlagen gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999 i.d.F. vor Einführung des sog. Halbeinkünfteverfahrens --KStG 1999 a.F.-- (sog. EK 04) in Höhe von 1.779.569 DM (entsprechend 909.879 €) aufgeführt und ein steuerliches Einlagekonto in entsprechender Höhe festgestellt. Darüber hinaus ergingen jeweils ein Bescheid zum 31. Dezember 2002 und zum 31. Dezember 2003 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3, § 37 Abs. 2 und § 38 Abs. 1 KStG 1999 n.F., in denen das steuerliche Einlagekonto gemäß § 27 Abs. 2 KStG 1999 n.F. unverändert mit 909.879 € festgestellt wurde. Der Betrag von 909.879 € ergab sich aus dem Bestand des EK 04 zum 31. Dezember 2000 abzüglich der Ausschüttung des Folgejahres.
Das Begehren der Klägerin, das steuerliche Einlagekonto unter Berücksichtigung handelsrechtlich zulässiger Eigenkapitalzuführungen zum 31. Dezember 2002 mit einem Bestand von 6.529.810 € festzustellen und dabei den steuerlich ausschüttbaren Gewinn zum 31. Dezember 2002 unter Berücksichtigung der erwähnten Eigenkapitalzuführungen nach Abzug des Nennkapitals und des steuerlichen Einlagekontos mit 643.761 € anzusetzen sowie das steuerliche Einlagekonto zum 31. Dezember 2003 auf 5.926.338 € festzustellen, blieb erfolglos. Unter dem 12. September 2005 hatte das FA zwischenzeitlich einen Haftungsbescheid erlassen. Hierin legte es --ausgehend von der Gewinnausschüttung (7.346.938,78 €) nach Abzug eines als "freigestellt" bezeichneten Betrages (946.247,78 €) und dem festgestellten Einlagekonto (909.879 €)-- einen kapitalertragsteuerpflichtigen Betrag von 5.490.812 € zugrunde und berechnete hierauf Kapitalertragsteuer gemäß § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG 1997/2002 von 20 % sowie Solidaritätszuschlag. Abzüglich des schon von der Klägerin angemeldeten Betrages verblieben als Gegenstand der Haftung Kapitalertragsteuer von 546.189 € und Solidaritätszuschlag von 30.040,40 €.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage gegen den Haftungsbescheid statt; das auf eine geänderte Feststellung des Einlagekontos gerichtete Begehren blieb erfolglos (FG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2008 2 K 239/06, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 491).
Mit ihren Revisionen rügen die Beteiligten die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und unter Aufhebung bzw. Abänderung der angefochtenen Bescheide das steuerliche Einlagekonto gemäß § 27 Abs. 2 KStG 1999 n.F. auf 7.960.206 € (31. Dezember 2001), 6.529.810 € (31. Dezember 2002) bzw. 5.926.337 € (31. Dezember 2003) festzustellen, hilfsweise, festzustellen, dass die streitgegenständliche Gewinnausschüttung einen Abgang aus dem steuerlichen Einlagekonto darstelle, soweit die Ausschüttung den ausschüttbaren Gewinn zum 31. Dezember 2003 übersteigt.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Beide Beteiligten beantragen wechselseitig, die Revision des jeweils anderen Beteiligten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Revision des FA ist begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), die der Klägerin unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat; die Klage ist vollen Umfangs abzuweisen. Das FA hat das steuerliche Einlagekonto in zutreffender Höhe festgestellt und das Änderungsbegehren der Klägerin zu Recht abgelehnt (I.); die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin erfolgte ohne Rechtsfehler (II.).
I. Revision der Klägerin
1. Unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften haben die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen am Schluss jedes Wirtschaftsjahres auf einem besonderen Konto (steuerliches Einlagekonto) auszuweisen. Das steuerliche Einlagekonto ist ausgehend von dem Bestand des vorangegangenen Wirtschaftsjahres um die jeweiligen Zu- und Abgänge des Wirtschaftsjahres fortzuschreiben und zum Schluss eines jeden Wirtschaftsjahres gesondert festzustellen (§ 27 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 n.F.). Der Feststellungsbescheid ist Grundlagenbescheid für den Bescheid über die gesonderte Feststellung zum folgenden Feststellungszeitpunkt (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG 1999 n.F.). Die gesonderte Feststellung erfolgt nach § 34 Abs. 2a KStG 1999 n.F. bei Kapitalgesellschaften, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, erstmals auf den 31. Dezember 2001. Ausgangspunkt für die erstmalige Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos ist bei Kapitalgesellschaften gemäß § 39 Abs. 1 KStG 1999 n.F. der nach § 36 Abs. 7 KStG 1999 n.F. festgestellte positive Betrag an Einlagen der Anteilseigner, die das Eigenkapital in nach dem 31. Dezember 1976 abgelaufenen Wirtschaftsjahren erhöht haben (§ 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999 a.F.).
Das steuerliche Einlagekonto dient mit Blick auf die Besteuerung des Anteilseigners dazu, die nicht steuerpflichtige Auskehrung von Einlagen, die von § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 (i.d.F. des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften --SEStEG-- vom 7. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2782, BStBl I 2007, 4) als Einlagenrückgewähr bezeichnet wird, zu identifizieren bzw. von grundsätzlich steuerpflichtigen Gewinnausschüttungen zu separieren. Um dies zu gewährleisten, werden die nicht in das Nennkapital geleisteten (verdeckten) Einlagen auf einem besonderen Konto erfasst und bei Rückgewähr entsprechend bescheinigt, damit die Ausschüttung insoweit nicht der Halb- bzw. Teileinkünftebesteuerung auf der Anteilseignerebene unterliegt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 14/2683, S. 125; s. auch Senatsurteil vom 21. August 2007 I R 78/06, BFHE 218, 515, BStBl II 2008, 317 zu II.2.c aa; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 4. Juni 2003, BStBl I 2003, 366, Tz. 1). Insoweit wird bezogen auf das EK 04 die Gliederungsrechnung des Körperschaftsteuersystems des KStG 1977 fortgeführt, um "die steuerliche Behandlung der Rückgewähr von Einlagen … gegenüber der derzeitigen Praxis nicht (zu) ändern" (so BTDrucks 14/2683, S. 125).
2. Nach dem eindeutigen Wortlaut der § 39 Abs. 1 KStG 1999 n.F. bzw. § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 n.F. sind Differenzen zwischen dem Eigenkapital nach Handels- und Steuerbilanz weder bei der erstmaligen Bildung noch bei der jährlichen Fortschreibung des Einlagekontos zu erfassen. Denn diese Differenzen sind weder Einlagen i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG 1999 a.F. noch sind sie nicht in das Nennkapital geleistete Einlagen i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 n.F. bzw. diesem Begriff zuzuordnende und auf das jeweilige Feststellungsjahr bezogene Zu- und Abgänge. Darüber hinaus schließt der Zweck der Regelung eine Erfassung sogar aus. Eine positive Differenz zwischen dem Eigenkapital nach Handels- und Steuerbilanz ist nicht auf das Gesellschaftsverhältnis zurückzuführen und daher im Fall der Auskehrung beim Anteilseigner nicht als Rückgewähr von Einlagen von einer Besteuerung auszuschließen. Das steuerliche Einlagekonto kann damit --auch wenn sein Gegenstand über den handelsrechtlichen Bereich der Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs) hinausreicht (Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 27 KStG Rz 13; Binnewies in Streck, KStG, 7. Aufl., § 27 Rz 12)-- entgegen der Ansicht der Klägerin nicht als (allgemeines) "Auffangkonto für Vermögensmehrungen und Vermögensminderungen, die nicht aus den Steuerbilanzen resultieren", angesehen werden. Auch die Literatur führt als Zu- und Abgänge i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 2 KStG 1999 n.F. ausschließlich gesellschaftlich veranlasste Vermögensänderungen an, z.B. die nicht in das offene Nennkapital geleisteten offenen und verdeckten Einlagen der Gesellschafter bzw. Leistungen der Kapitalgesellschaft, die zu einer Rückgewähr von Einlagen führen, oder Zu- und Abgänge aufgrund von gesellschaftlichen Umstrukturierungen i.S. der §§ 28 f. KStG 1999 n.F. bzw. Kapitalherabsetzungen mit Einstellung des Herabsetzungsbetrags in die Rücklagen oder Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln (s. z.B. E. Dötsch in Dötsch/Jost/ Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 27 KStG Rz 35, 39; Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 27 KStG Rz 17 f.; Lornsen-Veit/Odenbach in Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, 2. Aufl., § 27 KStG Rz 39; Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 27 Rz 16, 18; Binnewies in Streck, a.a.O., § 27 Rz 13).
3. Die streitgegenständliche Ausschüttung führt zu kapitalertragsteuerpflichtigen Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 1997/2002 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 EStG 1997/2002. Die Ausschüttung ist zwar als "Leistung der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital" i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 1999 n.F. anzusehen. Sie gilt aber, soweit sie den ausschüttbaren Gewinn des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG 1999 n.F. und den Bestand des Einlagekontos übersteigt, nicht als aus dem Einlagekonto gespeist und führt daher nicht zu einem gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1997/2002 steuerfreien Vermögenszugang.
a) Leistungen i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 1999 n.F. sind alle Auskehrungen, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben (allg. M., z.B. BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 366, Tz. 11), damit auch offene Gewinnausschüttungen. Das Gesetz regelt in diesem Satz 3 auch, welche Leistungen als Einlagerückgewähr unter Verminderung des Einlagekontos anzusehen sind. Dabei wird eine Verwendungsreihenfolge bestimmt, die fiktiv einen Zusammenhang zwischen einzelnen Bestandteilen der Rücklagen und der Auskehrung herstellt (Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 27 KStG Rz 19). Dass die Ausschüttung den ausschüttbaren Gewinn i.S. des § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG 1999 n.F. übersteigt und damit den Bestand des Einlagekontos mindert, ist zwischen den Beteiligten ebenso wenig im Streit wie der Umstand, dass der Bestand des Einlagekontos die Ausschüttung nicht abdeckt.
b) Ob die nach Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 1999 n.F. praktizierte Minderung des Einlagekontos durch die Leistungen dazu führen kann, dass das Einlagekonto negativ wird, ist umstritten. So wird einerseits darauf hingewiesen, dass der Wortlaut das Entstehen eines Negativbestandes bis zur gesetzlichen Ergänzung des § 27 Abs. 1 KStG 2002 (durch Satz 4 Halbsatz 1 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG) nicht ausdrücklich ausschließe (z.B. Förster/van Lishaut, Finanz-Rundschau --FR-- 2002, 1205, 1210 f.). Andererseits wird die Verringerung des Einlagekontos unter Hinweis auf den Wortlaut ("Minderung") und die Existenz des sog. Sonderausweises (§ 28 Abs. 1 KStG 1999 n.F.) auf den positiven Bestand beschränkt und werden von diesem Grundsatz nur in besonderen Fallkonstellationen (sog. Direktzugriffe, grundsätzlich nur bis Veranlagungszeitraum 2005) Ausnahmen gemacht (so im Ergebnis: BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 366, Tz. 10; E. Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 27 KStG Rz 52 [Fall C], 58; Antweiler in Ernst & Young, KStG, § 27 Rz 67; Lornsen-Veit/Odenbach in Erle/Sauter, a.a.O., § 27 KStG Rz 65; Heger in Gosch, a.a.O., § 27 Rz 20; Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 27 KStG Rz 33, 37; Christochowitz/Leib in Seeger/Mössner, KStG, § 27 Rz 111; Binnewies in Streck, a.a.O., § 27 Rz 30 a.E., 34; Förster/ van Lishaut, FR 2002, 1205, 1210; Franz, GmbH-Rundschau --GmbHR-- 2003, 818, 822). Für eine solche Deutung spricht auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 16/2710, S. 32) nach der der Einfügung des Satzes 4 Halbsatz 1 in § 27 Abs. 1 KStG 2002 (Ausschluss des Negativausweises) nur deklaratorische Bedeutung zukommt.
Der Senat folgert aus dem Zweck des Einlagekontos, dass dieses Konto jedenfalls nicht durch Ausschüttungen negativ werden kann. Wenn es infolge unterschiedlicher handelsrechtlicher und steuerrechtlicher Gewinnermittlung zu einer Auskehrung von handelsrechtlichen Gewinnen kommt, denen steuerrechtlich kein ausschüttbarer Gewinn gegenübersteht, kann man dies nicht unter Hinweis auf § 30 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit der Rückzahlung von "materiellem Nennkapital", die eine Erfassung auf dem Einlagekonto nahelegen würde, vergleichen (so aber Frotscher in Frotscher/ Maas, a.a.O., § 27 KStG Rz 33). Vielmehr handelt es sich um die Auskehrung einer eigenständig erwirtschafteten Vermögensmehrung der Kapitalgesellschaft, die die steuerrechtliche Folge einer Auskehrung aus dem Einlagekonto (Ausnahme von der Besteuerung auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1997/2002) nicht rechtfertigt.
4. Im Ergebnis ist daher die Ausschüttung nur insoweit von einer Besteuerung beim Empfänger ausgenommen, als sie durch den Bestand des steuerlichen Einlagekontos abgedeckt ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 1997/2002). In Höhe der übersteigenden Einnahmen liegen steuerpflichtige Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 1997/2002 vor (s. insoweit auch E. Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 27 KStG Rz 52 [Fall C]; Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 27 Rz 34; Danelsing in Blümich, a.a.O., § 27 KStG Rz 33, 37; Heger in Gosch, a.a.O., § 27 Rz 25 a.E.; Christochowitz/Leib in Seeger/Mössner, a.a.O., § 27 Rz 78 a.E.; Franz, GmbHR 2003, 818, 822). Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. April 1999 VIII R 44/96 (BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698) zu einer Ausschüttung, die vollen Umfangs aus dem sog. EK 04 finanziert wurde, ergibt sich nichts Abweichendes. Da somit den Ausschüttungsempfängern im Zeitpunkt der Ausschüttung ein Beteiligungsertrag i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG 1997/2002 zugeflossen ist, war seitens der Klägerin gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 EStG 1997/2002 Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen.
II. Revision des FA
Das FA durfte die Klägerin im Wege der Haftung gemäß § 191 der Abgabenordnung i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997/2002 in Anspruch nehmen, nachdem diese ihrer Steuerabzugspflicht nicht nachgekommen war.
1. Zwar kann nach § 44 Abs. 5 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997/2002 die Haftung des Schuldners der Kapitalerträge entfallen, wenn dieser nachweist, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Ein solcher Entlastungsnachweis ist im Streitfall aber nicht gelungen. Gerade bei bestehenden Ungewissheiten wäre es allein pflichtgerecht gewesen, wenn die Klägerin zur Vermeidung von Haftungsfolgen diesen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen wäre. Der bewusste Verzicht auf einen Steuerabzug ist als grob fahrlässige Pflichtverletzung anzusehen. Im Zeitpunkt der Abgabe der Kapitalertragsteueranmeldung (9. September 2004) war die entgegenstehende Rechtsauffassung der Finanzverwaltung bekannt (das BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 366, datiert vom 4. Juni 2003). Das Eintreten für ein abweichendes Rechtsverständnis --dargelegt in einer Erläuterung zur Kapitalertragsteueranmeldung vom 9. September 2004-- führt nicht zu einer Exkulpation i.S. des § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 1997/2002 (s. auch Senatsurteile vom 20. August 2008 I R 29/07, BFHE 222, 500; vom 18. März 2009 I R 13/08, BFH/NV 2009, 1613); ein abweichendes Rechtsverständnis zur Kapitalertragsteuerpflicht wäre in einem Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen gewesen.
Im Übrigen hat das FA den im Tenor des Haftungsbescheids ausgewiesenen Haftungsbetrag zutreffend unter Berücksichtigung der bereits angemeldeten und abgeführten Beträge berechnet und für seine Ermessensausübung darauf verwiesen, dass die Ausschüttungsempfänger teilweise im (europäischen) Ausland ansässig sind. Die mit der Gefahr einer möglicherweise anderweitigen Qualifizierung der Ausschüttungen als Einlagerückgewähr unter Ausschluss einer Quellensteueranrechnung durch die ausländischen Steuerbehörden begründeten gemeinschaftsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen eine Inhaftungnahme berühren ihre Haftungsschuld nicht (s. auch Senatsurteil vom 20. Dezember 2006 I R 13/06, BFHE 216, 259, BStBl II 2007, 616).
2. Da die Vorinstanz in diesem Punkt eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, war ihr Urteil insoweit aufzuheben. Die Klage war auch im Hinblick auf den Haftungsbescheid abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2266559 |
BFH/NV 2010, 248 |
GmbHR 2010, 160 |
StX 2010, 282 |
GmbH-Stpr 2010, 107 |