Leitsatz (amtlich)
Die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit kann in allen am 1. Januar 1966 noch schwebenden Verfahren ohne die zeitliche Einschränkung des durch § 162 Nr. 11 FGO aufgehobenen § 79 Abs. 2 AO a. F. geltend gemacht werden.
Normenkette
AO a.F. § 79 Abs. 2; FGO § 162 Nr. 11, § 184 Abs. 1
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Klägerin hatte durch Kaufvertrag vom 28. Dezember 1957 von der Beigeladenen Grundbesitz und den Betrieb erworben. Das FA erließ am 2. September 1960 einen Bescheid über den Übergang der KGA-Schuld nach § 185 LAG, wonach die gegen die Beigeladene unanfechtbar festgesetzten Vierteljahrsbeträge an KGA ab dem 1. Januar 1958 zunächst in Höhe von 686,25 DM und ab dem 1. Juli 1960 in Höhe von je 533,75 DM und die diesen Vierteljahrsbeträgen entsprechende KGA-Schuld auf die Klägerin übergingen. Der Bescheid wurde sowohl der Klägerin als auch der Beigeladenen zugestellt. Gegen ihn legte nur die Klägerin Einspruch ein. Sie hielt ihre Heranziehung nicht für gerechtfertigt, weil das FA, das früher zuständig gewesen sei, nach § 185 Abs. 1 Satz 2 LAG dem Verbleib der KGA-Schuld bei der Beigeladenen zugestimmt habe. Einspruch und Berufung waren im ersten Rechtsgang erfolglos. Der Senat hob durch Urteil III 203/65 vom 21. Februar 1969 das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Diesem wurde aufgegeben, von Amts wegen die Voreigentümerin beizuladen und sodann noch einmal unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin auch in der Revisionsinstanz sachlich zu entscheiden.
Im zweiten Rechtsgang lud das FG durch Beschluß vom 25. Juni 1969 die Voreigentümerin zum Verfahren bei. Die Klage wurde auch im zweiten Rechtsgang abgewiesen. Das FG führte im wesentlichen aus: Die von der Klägerin erhobene Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des beklagten FA zum Erlaß des angefochtenen Verwaltungsaktes sei unzulässig. In materieller Hinsicht sei es der Klägerin nicht gelungen, den Nachweis zu erbringen, daß der inzwischen verstorbene Vorsteher des früher zuständigen FA ihr oder der Beigeladenen den von § 185 LAG abweichenden Nichtübergang der KGA in rechtsverbindlicher Form zugesagt habe. Aus den Akten ergebe sich, daß die von ihm gemachte Zusicherung sich nicht auf den Übergang der KGA, sondern der KGA-Rückstände der Beigeladenen für 1957 bezogen habe. Es sei zwar richtig, daß das früher zuständige FA die KGA gegenüber der Beigeladenen am 9. Januar 1958 fällig gestellt und im Oktober 1958 gleich wieder verrentet habe. Die Klägerin weise auch zutreffend darauf hin, daß diese Maßnahmen nur verständlich seien, wenn man unterstelle, daß das FA vom Verbleib der KGA bei der Beigeladenen ausgegangen sei. Die Schlußfolgerung, die die Klägerin hieran knüpfe, greife jedoch nicht durch. Das FA habe offenbar damals keine Kenntnis von § 185 LAG und von seiner Rechtswirkung, nämlich von dem von Gesetzes wegen erfolgten Übergang der KGA, gehabt. Ein Handeln des FA, das auf Nichtkenntnis oder irriger Beurteilung der Rechtslage beruhe, erzeuge jedoch grundsätzlich keine vom Gesetz abweichende Rechtswirkung. Das Handeln des FA könne deshalb auch nicht als Genehmigung im Sinne des § 185 Abs. 1 Satz 2 LAG gewürdigt werden. Denn abgesehen davon, daß eine solche Genehmigung nur in Ausnahmefällen durch schlüssiges Verhalten, also ohne formellen Bescheid, denkbar sei, setze sie begrifflich die Kenntnis der Rechtslage und den Willen voraus, entsprechend dem erforderlichen gemeinsam gestellten Antrag - an dem es ebenfalls fehle - den Rechtszustand vom Gesetz abweichend zu gestalten. Gerade an diesem Willen habe es dem FA gefehlt. Die Handlungen des früher zuständigen FA hätten ausschließlich die Beigeladene betroffen und seien nicht geeignet, der Klägerin ein geschütztes Recht auf ein bestimmtes Tun des FA zu gewähren. Deshalb gehe auch der Einwand der Klägerin fehl, ihre Inanspruchnahme verstoße wegen dieser Handlungen des FA gegen Treu und Glauben.
Mit der Revision wird beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Bescheid über den Übergang der KGA vom 2. September 1960 aufzuheben. Es wird unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Das FG habe festgestellt, daß die Maßnahmen des früher zuständigen FA nur verständlich seien, wenn man unterstelle, daß das FA vom Verbleib der KGA bei der Beigeladenen ausgegangen sei. Diese Feststellung hätte das FG veranlassen müssen, die Voraussetzung des § 185 Abs. 1 Satz 2 LAG als erfüllt anzusehen. Die Auffassung des FG, daß das FA offenbar keine Kenntnis von § 185 LAG und seiner Rechtswirkung gehabt habe, könne das Verhalten der Verwaltung nicht decken. Eine irrige Beurteilung der Rechtslage könne nicht zum Nachteil der anderen Parteil ausgelegt werden. Die Maßnahmen des früher zuständigen FA schlössen eindeutig aus, daß es in Nichtkenntnis oder in irriger Beurteilung der Rechtslage gehandelt haben könne. In § 185 LAG werde kein gemeinsamer schriftlicher Antrag verlangt. Der damalige Steuerberater sei von beiden Parteien beauftragt gewesen, den Willen der Parteien, daß die KGA bei der Veräußerin verbleiben sollte, durchzusetzen. Aus der Tatsache, daß die KGA im Oktober 1958 wieder verrentet worden sei, lasse sich nur die Genehmigung des gemeinsamen Antrags auf Verbleib der KGA der Beigeladenen herleiten.
Das FA hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es ist der Auffassung, daß dem früher zuständigen FA - wie auch den damaligen Beratern der Klägerin - die Rechtslage nach § 185 LAG unbekannt gewesen sei und daß es ihm an dem Willen gefehlt habe, stillschweigend den Verbleib der KGA bei der Beigeladenen zu genehmigen.
Die Beigeladene hat sich den Ausführungen des FA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der angefochtene Bescheid kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil er von einem örtlich unzuständigen FA ergangen ist und dies von der Klägerin gerügt worden ist. Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß diese Rüge nicht zu beachten sei, weil sie nicht innerhalb der in § 79 Abs. 2 AO a. F. vorgesehenen Frist erhoben worden sei. § 79 Abs. 2 AO a. F. ist durch § 162 Nr. 11 FGO aufgehoben worden. Diese Vorschrift ist nach § 184 Abs. 1 FGO am 1. Januar 1966 in Kraft getreten. Von diesem Zeitpunkt an konnte die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit in allen noch schwebenden Verfahren ohne die zeitliche Einschränkung des § 79 Abs. 2 AO a. F. erhoben werden. Diese aus dem Gesetz sich klar ergebende Rechtsfolge kann nicht mit der Begründung des FG beiseite geschoben werden, daß die Feststellung der Unzuständigkeit eines FA im Ergebnis nicht von der Zufälligkeit der Dauer eines Steuerprozesses abhängig sein dürfe. Daß das beklagte FA für den Erlaß des angefochtenen Bescheids örtlich unzuständig war, ist vom FG selbst festgestellt worden. Die Unzuständigkeit ergibt sich aus § 14 Abs. 3 der 8. AbgabenDV-LA vom 28. Juni 1954, nach der für den Bescheid nach § 185 LAG das für die Abgabenschuld bisher zuständige Betriebsfinanzamt zuständig ist. Es ist auch unerheblich, daß die Klägerin in der Revision sich nicht dagegen gewandt hat, daß das FG ihre Rüge der örtlichen Unzuständigkeit rechtsirrtümlich nicht berücksichtigt hat. Denn der Senat ist, weil die Revision nicht auf Verfahrensmängel gestützt wird, nach § 118 Abs. 3 Satz 2 FGO nicht an die geltend gemachten Revisionsgründe gebunden.
Die Vorentscheidung war, weil sie von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Es waren auch die Einspruchsentscheidung des FA vom 23. April 1965 und der Bescheid des FA über den Übergang der KGA-Schuld nach § 185 LAG vom 2. September 1960 aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 69144 |
BStBl II 1970, 794 |
BFHE 1971, 69 |