Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Hat das Finanzamt im Wege des vereinfachten Verfahrens (vgl. Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 4230 - 160 III vom 11. August 1942, RStBl 1942 S. 849) die Umsatzsteuer durch Verfügung auf der Umsatzsteuer-Erklärung festgesetzt, obwohl der Steuerpflichtige die auf dem amtlichen Formblatt vorgedruckte Erklärung des Verzichts auf einen schriftlichen Bescheid und auf Einlegung eines Rechtsmittels gestrichen hat, so ist diese innerdienstliche Steuerfestsetzung dann für das Finanzamt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bindend, wenn es durch besondere, nach außen in Erscheinung tretende Umstände den Anschein erweckt hat, es liege eine rechtswirksame Veranlagung vor.
Normenkette
AO § 210b Abs. 1-2, § 91 Abs. 1, § 92/1, § 94 Abs. 1, § 235; UStG § 18/1
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt für die Jahre 1954 und 1955 Umsatzsteuerbescheide noch erlassen konnte, nachdem es zunächst eine Steuerfestsetzung auf den Umsatzsteuer-Erklärungen vorgenommen und es unterlassen hatte, einen Bescheid zu erteilen, obwohl die Bfin. die vorgedruckte Verzichtserklärung gestrichen hatte.
Die Bfin. hat für die Jahre 1954 und 1955 Umsatzsteuer- Erklärungen abgegeben, in denen sie die in Abschnitt C des amtlichen Formblattes vorgedruckte Erklärung des Verzichts auf einen Umsatzsteuerbescheid und auf die Einlegung eines Rechtsmittels gestrichen hatte. Das Finanzamt hat dennoch zunächst keinen Umsatzsteuerbescheid erlassen, sondern lediglich die Umsatzsteuer entsprechend den Erklärungen kassenmäßig zum Soll gestellt, durch Veranlagungsverfügungen festgesetzt und über zuviel bezahlte Umsatzsteuer 1954 und 1955 auf den Einkommensteuerbescheiden für die betreffenden Jahre abgerechnet. Die zuviel bezahlte Umsatzsteuer wurde der Bfin. jeweils erstattet. Durch eine Geschäftsprüfung der Oberfinanzdirektion wurde festgestellt, daß in den Jahren 1954 und 1955 Entgelte für die Veräußerung des Lagers der Bfin. mit 1 v. H. an Stelle eines Steuersatzes von 4 v. H. versteuert worden waren. Daraufhin hat das Finanzamt für die Jahre 1954 und 1955 jeweils Umsatzsteuerbescheide erlassen, in denen die Umsatzsteuer entsprechend den Prüfungsfeststellungen der Oberfinanzdirektion festgesetzt wurde.
Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. Mit der Rb. machte die Bfin. wie bereits in der Berufung geltend, die Umsatzsteuerbescheide für 1954 und 1955 hätten nicht ergehen dürfen, weil die Abrechnung auf den Einkommensteuerbescheiden für die betreffenden Jahre bereits Steuerbescheide seien und die Voraussetzungen für eine änderung der Veranlagung weder nach § 94 Abs. 1 AO noch nach § 222 Abs. 1 AO vorlägen. Die Umsatzsteuerbescheide für 1954 und 1955 hätten aber auch deshalb nicht ergehen dürfen, weil das Finanzamt tatsächlich, wenn auch zu Unrecht, bei der Festsetzung der Umsatzsteuer das vereinfachte Verfahren nach § 210 b Abs. 2 AO angewendet habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidungen und der Umsatzsteuerbescheide für 1954 und 1955.
über die Veranlagung zur Umsatzsteuer gemäß § 13 Abs. 3 UStG erhält der Unternehmer einen schriftlichen Steuerbescheid (§ 210 b Abs. 1 AO). Ein schriftlicher Steuerbescheid ergeht lediglich dann nicht, wenn der Steuerpflichtige auf die Erteilung eines solchen und auf die Einlegung eines Rechtsmittels für den Fall verzichtet, daß die Umsatzsteuer entsprechend der vom Steuerpflichtigen abgegebenen Umsatzsteuer-Erklärung festgesetzt wird (vgl. Erlaß des Reichsministers der Finanzen S. 4230 - 160 III vom 11. August 1942, RStBl 1942 S. 849). Diese Verzichtserklärung hat zur Folge, daß die Festsetzung der Umsatzsteuer auch ohne Bekanntgabe wirksam und wegen des Rechtsmittelverzichts auch rechtskräftig wird (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs V 159/53 vom 22. Dezember 1953, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Umsatzsteuergesetz, § 13, Rechtsspruch 6, und V 79/60 U vom 22. November 1962, BStBl 1963 III S. 51, Slg. Bd. 76 S. 141); denn die für Steuerverwaltungsakte sonst zu ihrer Wirksamkeit erforderliche Bekanntgabe (§ 91 Abs. 1 AO) wird durch die Verzichtserklärung des Steuerpflichtigen ersetzt (Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 46/51 vom 3. August 1951, Deutsche Steuer-Rundschau 1951 S. 383; Plückebaum-Malitzky, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 8. Auflage, Tz. 5658). Ist diese Verzichtserklärung unterblieben, so bedarf der Steuerbescheid zu seiner Wirksamkeit der Bekanntgabe. Unterbleibt diese, so wird die Steuerfestsetzung weder wirksam noch erwächst sie in Rechtskraft (Tipke, Umsatzsteuer-Rundschau 1957 S. 173).
Der Senat hält insoweit an seiner bereits im Urteil V 191/59 vom 20. September 1961 (StRK, Umsatzsteuergesetz, § 13, Rechtsspruch 11) dargelegten Auffassung fest, als eine Steuerfestsetzung, solange sie ein innerdienstlicher Vorgang bleibt, weder für das Finanzamt noch für den Steuerpflichtigen bindend ist. Die Nachholung von Umsatzsteuer durch eine rechtswirksame Umsatzsteuerveranlagung ist dann noch möglich. Jedoch gibt es Ausnahmen. Wenn z. B. das Finanzamt durch besondere, nach außen in Erscheinung tretende Umstände den Anschein erweckt hat, daß eine rechtswirksame Steuerfestsetzung bereits durchgeführt ist, steht eine spätere Nachholung im Widerspruch zum eigenen Verhalten des Finanzamts und verletzt deshalb die Grundsätze von Treu und Glauben. Ein solcher Fall liegt nach Auffassung des Senats hier vor.
Das Finanzamt hat nicht nur eine innerdienstliche Steuerfestsetzung durchgeführt und den Erlaß der Steuerbescheide versäumt, sondern auch auf den Einkommensteuerbescheiden der betreffenden Jahre jeweils über zuviel bezahlte Umsatzsteuer für diese Jahre abgerechnet und diese Beträge sogar erstattet. Durch diese beiden Umstände hat die sonst unwirksame innerdienstliche Steuerfestsetzung sichtbare Auswirkung erlangt. Das Finanzamt hat dadurch den Anschein erweckt, die Veranlagungen zur Umsatzsteuer 1954 und 1955 seien rechtswirksam abgeschlossen. An dieses Verhalten ist es nach Treu und Glauben gebunden. In diesem Zusammenhang ist ohne Bedeutung, ob die Abrechnung über zuviel bezahlte Umsatzsteuer und die Erstattung dieser Beträge nicht dem Steuerfestsetzungsverfahren, sondern dem Steuererhebungsverfahren zuzuordnen sind. Es kann dem Steuerpflichtigen nicht zugemutet werden, das Verhalten des Finanzamts unterschiedlich danach zu beurteilen, in welchem Verfahren es tätig wird. Der Steuerpflichtige wird vielmehr im Rechtsverkehr mit dem Finanzamt einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Verfahren sehen. Der Umstand, daß die Abrechnung üblicherweise an die Bescheide angefügt wird, zeigt auch deutlich die enge Verbindung beider Verfahren. Eine Unterscheidung zwischen Steuerfestsetzung und Steuererhebung ist im übrigen selbst dem steuerlich Vorgebildeten nicht immer leicht möglich.
Da somit der Nachholung von Umsatzsteuer für die Jahre 1954 und 1955 die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen, sind die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidungen des Finanzamts und die Umsatzsteuerbescheide ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 411010 |
BStBl III 1964, 37 |
BFHE 1964, 99 |
BFHE 78, 99 |