Leitsatz (amtlich)
Ersetzt ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit der drohenden Enteignung einer Teilfläche seines Privatgrundstücks zur Vermeidung von Wertverlusten oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen auch die nicht unmittelbar von dem rechtlichen Veräußerungszwang betroffenen Grundstücksteile durch ein anderes Grundstück, handelt es sich insoweit um eine Anschaffung im Sinne von § 23 EStG.
Normenkette
EStG § 23
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Eigentümer zweier seit dem Jahre 1958 im Privatvermögen geführter, für gewerbliche Zwecke verpachteter Grundstükke in O. Im Jahre 1961 plante die Stadt O die Anlage einer Straße, die teilweise über diese Grundstücke verlaufen sollte. Für den Straßenbau wurden von dem Grundstück S (insgesamt 2 276 qm) 160 qm, von dem Grundstück W (insgesamt 6 707 qm) 5 607 qm benötigt. In der künftigen Baufluchtlinie war fast das gesamte - bereits mit einem Fabrikgebäude bebaute - Grundstück S als nicht bebaubare Fläche ausgewiesen.
Die Stadt O forderte den Kläger auf, ihr die betroffenen Grundstücksteile zu übereignen. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, auch die Restfläche des Grundstücks W zu erwerben. Sie wies den Kläger darauf hin, daß ein Abbruch oder eine Veränderung des Gebäudes auf dem Grundstück B zunächst nicht erforderlich sei, so daß Nutzung und Ertrag nicht beeinträchtigt würden. Lediglich Um- und Erweiterungsbauten seien nicht mehr möglich. Nach längeren Verkaufsverhandlungen im Anschluß an die Androhung, die für den Straßenbau benötigten Grundstücksteile zu enteignen, stimmte die Stadt einem entsprechenden Vorschlag des Klägers zu, auch das Gesamtgrundstück S zu erwerben. Die Vertragspartner einigten sich auf ein Gesamtentgelt in Höhe von 814 000 DM. Von diesem Betrag entfielen unstreitig 34,08 v. H. auf die von der Enteignung bedrohten Grundstücksteile. Die Stadt verpflichtete sich in dem notariell beurkundeten Kauf- und Tauschvertrag vom 24. September 1962, dem Kläger als Gegenleistung das 3 475 qm große unbebaute Grundstück L zum Werte von 139 000 DM zu übertragen und eine Zuzahlung in Höhe von 675 000 DM zu erbringen.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 16. Februar 1963 verkaufte der Kläger das Grundstück L zum Preise von 524 500 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte den Überschuß des Veräußerungserlöses über die Anschaffungskosten und Werbungskosten bei der Einkommensteuerveranlagung 1963 in vollem Umfang als Spekulationsgewinn (§ 23 EStG). Der gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegte Einspruch des Klägers und seiner Ehefrau blieb erfolglos.
Die zum FG erhobene Klage führte zur Herabsetzung der Einkommensteuer. Die Vorinstanz lehnte die Annahme einer "Anschaffung" im Sinne von § 23 EStG ab, soweit der Kläger das Grundstück L als Ersatz für die zur Abwendung der Enteignung der Grundstücke S und W veräußerten Grundstücksteile (34,08 v. H.) erhalten hatte. Die Abweisung der Klage im übrigen begründete das Gericht damit, daß der Kläger nicht gezwungen gewesen sei, die restlichen Flächen und Baulichkeiten zu veräußern. Durch die Verlegung der Baufluchtlinie habe der Kläger zwar keine Um- und Erweiterungsbauten mehr tätigen dürfen. Die bereits bebauten und verpachteten Grundstücksflächen seien dadurch jedoch nicht wertlos geworden. Die Stadt O habe bestätigt, daß Nutzung und Ertrag bis auf weiteres nicht beeinträchtigt seien; im Stadtgebiet gebe es vielmehr eine große Zahl ähnlich betroffener Gebäude, an deren gegenwärtigem Status sich durch die auf lange Zeit geplante Baufluchtlinie nichts Wesentliches geändert habe; die Stadt habe sich vor allem deshalb bereit erklärt, die gesamten Grundstücksflächen zu erwerben, weil sie sich davon auf etwa 10 Jahre die Erzielung jährlicher Bruttomieteinnahmen von etwa 50 000 DM versprochen habe; durch den Bau der Verbindungsstraße sei auch der Verkehrswert der Grundstücke vom Jahre der Veräußerung bis zum Jahre 1967 von 45 DM auf 100 DM pro qm gestiegen. Das FG hat weiterhin festgestellt, daß das Grundstück L nicht ausschließlich als Entgelt für die von der Enteignung bedrohten Grundstücksteile gedacht gewesen sei. Aus dem Vertrag vom 24. September 1962 ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine derartige Annahme. Die Aufteilung sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers und seiner Ehefrau, die beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer ohne Ansatz eines Spekulationsgewinns auf 57 670 DM herabzusetzen. Das FG habe übersehen, daß es sich bei den nur teilweise von einer Enteignung bedrohten Grundstücken um wirtschaftliche Einheiten gehandelt habe. Die Stadt O habe zwar nur die für den Straßenbau benötigten Flächen enteignen wollen. Der Kläger habe jedoch auf Grund des Bauverbots nach dem Bundesbaugesetz (BBauG) verlangen können, daß die Stadt auch die restlichen Flächen gegen Zahlung einer Entschädigung übernehme. Der Kläger habe sogar die Möglichkeit gehabt, das Enteignungsverfahren gegen sich selbst zu beantragen. In der sich daraus für die Stadt ergebenden Verpflichtung, und nicht in dem vorgeschobenen Grund der Erzielung von Mieteinnahmen und der Wertsteigerung des Grundstücks, sei das tatsächliche Motiv für die Übernahme der Gesamtgrundstücke zu sehen. Die Absichten und Erklärungen der Stadt seien nicht maßgeblich. Dies habe das FG verkannt und daher gegen Bundesrecht verstoßen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Spekulationsgeschäfte sind Veräußerungsgeschäfte, bei denen - falls es sich um Grundstücke handelt - der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zwei Jahre beträgt (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 a EStG). Nach der Fassung des Gesetzes kommt es auf den Grund der Betätigung nicht an (vgl. Urteil des BFH vom 16. Januar 1973 VIII R 96/70, BFHE 108, 502, BStBl II 1973, 445, mit weiteren Hinweisen). Die Rechtsprechung hat das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur in den Fällen verneint, in denen Veräußerung und Anschaffung eines Ersatzgrundstücks das Bild einer Einheit im Wesen einer der freien Entschließung des Steuerpflichtigen entzogenen Auswechslung von Wirtschaftsgütern ergeben haben. Derartige unter Zwang vorgenommene "Anschaffungen" und "Veräußerungen" reichen nicht aus, eine für die Verwirklichung eines Spekulationsgewinns zu fordernde wirtschaftliche Betätigung anzunehmen (vgl. BFH-Urteile VIII R 96/70 zum Fall der "Veräußerung", vom 5. Mai 1961 VI 107/60 U, BFHE 73, 326, BStBl III 1961, 385, und vom 15. Januar 1974 VIII R 63/68, BFHE 112, 31, BStBl II 1974, 606, zum Fall der "Anschaffung"). Der Erwerb von Ersatzland im Zusammenhang mit der Veräußerung zur Abwendung einer Enteignung ist somit keine "Anschaffung" im Sinne von § 23 EStG.
Der Versuch des Klägers, diese Rechtsgrundsätze auf den Streitfall zu übertragen, kann - soweit die Klage abgewiesen wurde - keinen Erfolg haben. Der erkennende Senat brauchte nicht zu entscheiden, ob dem Kläger nach dem Bundesbaugesetz ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen des behaupteten Wertverlusts der nicht unmittelbar für den Straßenbau benötigten Grundstücksteile zugestanden hätte, bzw. ob er selbst eine Erweiterung der Enteignung auf diese Grundstücksteile hätte durchsetzen können. Auch dann müßte das Vorliegen einer Zwangslage im Sinne der dargestellten Rechtsprechung verneint werden. Im Streitfall hatte die Stadt O nur die Enteignung der nicht mehr streitbefangenen Grundstücksteile angedroht. Entscheidet sich ein Steuerpflichtiger zur Vermeidung von Wertverlusten oder sonstigen finanziellen Nachteilen dafür, ein Grundstück durch ein anderes zu ersetzen, obwohl feststeht, daß er in unmittelbarer Zukunft aus Rechtsgründen nicht zu einem derartigen Vorgehen gezwungen werden kann oder daß von einer derartigen Möglichkeit kein Gebrauch gemacht werden soll, führt das Tauschgeschäft zu einer Veräußerung und einer Anschaffung im Sinne von § 23 EStG. Das gilt auch dann, wenn der Grundstückswechsel infolge eines geplanten Straßenbaues und der dadurch bedingten Beschränkungen als einzig zweckmäßige, möglicherweise sogar wirtschaftlich gebotene Maßnahme erscheinen mag. So liegt die Sache im Streitfall. Die Veräußerung beruht auf freier Willensentschließung des Klägers. Die Stadt O hatte weder die Absicht noch die rechtlichen Möglichkeiten, die Übereignung weiterer, nicht für den Straßenbau benötigter Flächen gegen den Willen des Klägers durchzusetzen. Der Kläger hätte auf seinem Eigentumsrecht bestehen und etwaige Wertverluste in einem Entschädigungsverfahren geltend machen können.
Es ist richtig, daß die Rechtsprechung bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung zur Vermeidung einer Gewinnverwirklichung auch dann anerkennt, wenn der behördliche Eingriff nur einem Teil zusammenhängender Grundstücke droht, falls die Restgrundstücke nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden können. Von der Aufdeckung der stillen Reserven kann jedoch nur dann abgesehen werden, wenn die nicht betroffenen Grundstücksteile eine rentable Fortführung des Betriebes in Frage stellen (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1975 I R 134/73, BFHE 117, 441, BStBl II 1976, 186). Im Falle der Ersetzung eines Grundstücks im Betriebsvermögen wegen eines längerfristigen Bauverbots kann die Übertragung der stillen Reserven gerechtfertigt sein (vgl. BFH-Urteile vom 22. September 1959 I 51/59 U, BFHE 72, 1, BStBl III 1961, 1, und vom 14. Mai 1969 I R 133/66, BFHE 95, 440, BStBl II 1969, 488, vgl. auch I R 134/73). Voraussetzung ist jedoch, daß es sich um ein betriebsnotwendiges Grundstück handelt, das zwangsläufig aus betrieblichen Gründen ersetzt werden muß. Ein derartiger Ersetzungszwang entfällt bei der Veräußerung von Privatvermögen im Streitfall. Im Rahmen des § 23 EStG ist auch deshalb die Anlegung eines strengeren Beurteilungsmaßstabes geboten, weil - anders als bei der Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter im Betriebsbereich - die Möglichkeit endgültiger Besteuerungsverluste besteht (ebenso BFH-Urteil VIII R 96/70). Wirtschaftliche Gründe reichen nicht aus, um eine der freien Entschließung des Steuerpflichtigen entzogene Auswechslung von Wirtschaftsgütern anzunehmen und von einer Besteuerung nach § 23 EStG abzusehen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sich nicht aus der Tatsache der alsbaldigen Weiterveräußerung des Grundstücks ergibt, daß der Kläger eine dauerhafte Vermögensanlage und damit eine begünstigte Ersatzbeschaffung gar nicht beabsichtigt hatte.
Ohne Rechtsverstoß hat das FG festgestellt, daß das Tauschgrundstück L nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht ausschließlich als Gegenleistung für die von der Enteignung bedrohten Grundstücksteile angesehen werden kann. Selbst wenn die Vertragsparteien die Möglichkeit gehabt hätten, den Vertrag bürgerlichrechtlich in einer für den Kläger steuerrechtlich günstigeren Weise zu gestalten, bleibt der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO an diese Tatsachenfeststellung gebunden.
Fundstellen
Haufe-Index 72193 |
BStBl II 1977, 209 |
BFHE 1977, 531 |