Entscheidungsstichwort (Thema)
Korrektur desVorsteuerabzugs; Korrektur des Steuerbescheids; Tatbestandsverwirklichung
Leitsatz (NV)
1. Der Rückforderungsanspruch entsteht in Fällen des § 15a UStG mit Ablauf des Besteuerungszeitraums, in dem sich die für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse geändert haben.
2. Die Korrekturvorschrift des § 174 Abs. 4 AO 1977 setzt voraus, daß sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts (Sachverhaltskomplexes) im Ergebnis nachträglich als rechtsirrig erweist. Ob der Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt, ist unerheblich.
3. Im Regelungsbereich des § 174 Abs. 3 AO 1977 kommt es nur darauf an, daß ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, er sei in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen, nicht darauf, warum es dazu kam.
Normenkette
AO 1977 §§ 37, 174 Abs. 3-4; EGAO Art.97 § 10; UStG § 15a
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Jahre 1973 hatte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) das in A gelegene Hotelgrundstück zur Ausführung von Umsätzen in sein Betriebsvermögen ,,eingebracht" und Vorsteuerbeträge in Anspruch genommen.
Am 18. Mai 1978 wurde das Hotelgrundstück mit Wirkung ab 1. Juli 1978 zum Kaufpreis von 2330000 DM veräußert, und zwar gemäß § 4 Nr.9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) umsatzsteuerfrei.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung für 1978 die Besteuerungsgrundlagen für diesen Veranlagungszeitraum und setzte die Umsatzsteuerschuld auf 63107 DM fest. Im Einspruchsverfahren reichte der Kläger die Umsatzsteuererklärung 1978 nach. Im Verlauf des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens prüfte das FA u.a. die umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen des Grundstücksverkaufs und kam zu dem Ergebnis, daß insoweit Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 61845 DM zu Unrecht in Anspruch genommen worden seien, die nunmehr zurückgefordert werden müßten, und zwar gemäß § 15a Abs. 6 UStG auf die einzelnen Jahre wie folgt verteilt:
- für 1978 in Höhe von 6 184 DM,
- für 1979 bis 1982 in Höhe von je 12 369 DM
und
- für 1983 mit 6 185 DM.
Demgemäß kürzte das FA im Bescheid vom 18. August 1983 die erklärten Vorsteuern (29842,43 DM) um 6184 DM (auf 23658,43 DM) und setzte die Umsatzsteuerschuld für 1978 auf 69339,60 DM fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Außerdem änderte das FA am 28. Februar 1984 unter Berufung auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1979 bis 1981, indem es Vorsteuerkürzung von jeweils 12369 DM vornahm. Hiergegen legte der Kläger mit der Begründung Einspruch ein, der zu Unrecht in Anspruch genommene Vorsteuerabzugsbetrag von 61845 DM dürfe nicht auf die einzelnen Jahre verteilt, sondern müsse in einem Betrag im Jahr der Veräußerung des Hotelgrundstücks, also 1978, zurückgefordert werden. Das FA schloß sich dieser Ansicht an, entsprach dem Einspruchsbegehren und änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1979 bis 1981 entsprechend.
Ferner änderte es mit Bescheid vom 16. Mai 1984 unter Berufung auf § 174 Abs. 4 AO 1977 die Umsatzsteuerveranlagung für 1978, indem es die Bemessungsgrundlage um 37107 DM (3x12369 DM) erhöhte und die Umsatzsteuerschuld für 1978 nunmehr auf 106446 DM festsetzte.
Der Einspruch, mit dem sich der Kläger unter Berufung auf die Bestandskraft des Bescheides vom 18. August 1983 gegen die vorgenommene Änderung wandte, hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 1984 erhöhte das FA vielmehr (nach entsprechender vorheriger Ankündigung - § 367 Abs. 2 AO 1977 -) die Steuerfestsetzung für 1978 abermals, indem es nunmehr auch die ursprünglich für 1982 und 1983 vorgesehenen Rückforderungen (12369 DM und 6185 DM) dem Streitjahr 1978 zuordnete und die Umsatzsteuerschuld für diesen Veranlagungszeitraum nunmehr auf 125000 DM festsetzte.
Die hiergegen erhobene Klage wies das FG mit der Begründung ab, die vorgenommenen Änderungen seien nach § 174 Abs. 3 und 4 AO 1977 gerechtfertigt. Die ratenweise Rückforderung des Kürzungsbetrags sei falsch gewesen. Diesen Fehler habe das FA auf Betreiben des Klägers gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 korrigieren dürfen. Die Einbeziehung der in der Einspruchsentscheidung vorgenommenen weiteren Änderungen rechtfertige sich aus § 367 Abs. 2 AO 1977 sowie aus § 174 Abs. 3 AO 1977.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er trägt vor, das FA habe im Streitfall nicht über die Beurteilung eines Sachverhalts geirrt, wie dies § 174 Abs. 4 AO 1977 verlange. Vielmehr sei das FA aufgrund ,,mangelnder Gesetzeskenntnisse" nicht in der Lage gewesen, ,,den richtigen Schluß zu ziehen". Dies rechtfertige weder nach § 174 Abs. 4 AO 1977 noch nach § 174 Abs. 3 AO 1977 eine Korrektur.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die ursprüngliche Fassung des Revisionsantrags steht in offensichtlichem Widerspruch zum sonstigen Inhalt der Revisionsschrift. Die verunglückte Formulierung ist unschädlich.
2. Das FG hat den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid in der Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung zu Recht nicht beanstandet. Das gilt sowohl für die Änderung im Bescheid vom 16. Mai 1984 als auch für die weitere Korrektur in der Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 1984.
a) Die Änderungsbefugnis richtet sich gemäß Art.97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) nach neuem Recht. Das gilt auch hinsichtlich der Verjährung des im angefochtenen Bescheid geltend gemachten Rückforderungsanspruchs, für die es gemäß Art.97 § 10 Abs. 1 Satz 1 EGAO 1977 auf den Entstehungszeitpunkt des Anspruchs ankommt. Dieser liegt hier ebenfalls nach dem 31. Dezember 1976, weil sich die Verhältnisse (§ 15a Abs. 1 UStG) erst mit der Veräußerung des Hotelgrundstücks zum 1. Juli 1978 geändert haben und der hierdurch begründete Rückforderungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 13 UStG mit Ablauf dieses Besteuerungszeitraums entstanden ist (vgl. dazu allgemein Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. April 1987 V R 23/890, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527, und vom 24. Februar 1988 X R 67/82, BFHE 152, 564, BStBl II 1988, 622). Wann jeweils der ursprüngliche Vorsteueranspruch entstanden ist, ist unerheblich.
b) Die im angefochtenen Bescheid vorgenommenen Änderungen sind durch § 174 Abs. 4 AO 1977 gedeckt.
Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichti-gen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, können aus dem Sachverhalt die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (Satz 1).
Die Vorschrift stellt darauf ab, daß sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts (Sachverhaltskomplexes) im Ergebnis nachträglich als rechtsirrig erweist (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 V R 47/80, BFHE 143, 9, BStBl II 1985, 282). Sachverhalt ist dabei der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft (BFH-Urteile vom 22.August 1990 I R 42/88, BFHE 162, 470, BStBl II 1991, 387, und vom 17. Oktober 1990 I R 9/89, BFH/NV 1991, 354, 355 jeweils m.w.N.). Ob der Fehler in der Beurteilung eines Sachverhalts im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt, ist unerheblich. Auch das Übersehen einer möglichen Rechtsfolge erlaubt eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 (BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1990 VI B 98/88, BFH/NV 1991, 503). Entscheidend ist, daß das FA in dem zu ändernden Bescheid steuerrechtliche Folgerungen gezogen hat, die sich nachträglich als unzutreffend erweisen (BFH-Urteil vom 28. Juni 1990 V R 93/85, BFH/NV 1991, 210, 211).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die durch die Veräußerung des Betriebsgrundstücks verursachte Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse hätte gemäß § 15a Abs. 1, Abs. 6 und Abs. 7 UStG i.V.m. der für den Streitfall maßgebenden Zehnten Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (10. UStDV), die mit dem nunmehr geltenden § 44 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) wörtlich übereinstimmt, nicht auf die Jahre 1978 bis 1983 verteilt, sondern in einem Betrag im Jahre 1978, dem Jahr der Veräußerung, berücksichtigt werden müssen. Daß eine solche Korrektur des Vorsteuerabzugs allein der materiellen Rechtslage entspricht, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keiner weiteren Erörterung.
Ebenso unbestritten ist, daß die fehlerhafte Beurteilung auf Betreiben des Klägers, durch sein Vorbringen im Einspruchsverfahren gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1979 bis 1981, entdeckt wurde und zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 1978 im angefochtenen Bescheid führte. Auf die weiteren Begleitumstände kommt es nicht an: weder darauf, worauf die fehlerhafte Beurteilung im Erstbescheid beruhte, noch darauf, daß der Fehler nicht sogleich in vollem Umfang richtiggestellt wurde.
Der Ablauf der Festsetzungsfrist stand der Änderung nicht entgegen: Die allgemeine Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Nr.2 AO 1977) hatte mit Ablauf des Jahres 1981 begonnen und war noch nicht abgelaufen, als der zweite Änderungsbescheid vom 16. Mai 1984 erging. Auch die einjährige Frist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 war noch nicht verstrichen.
c) Die ergänzende Korrektur in der Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 1984 ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht (was die Berücksichtigung im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren angeht) nach § 367 Abs. 2 AO 1977 gerechtfertigt und, was die Änderungsbefugnis des FA betrifft, nach § 174 Abs. 3 AO 1977. Nach dieser Vorschrift kann, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, daß er in einem anderen Bescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt, die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist, insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden (Satz 1).
Diese Voraussetzungen sind hier hinsichtlich des im Einspruchsverfahren abermals geänderten Bescheids vom 16. Mai 1984 erfüllt: Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, daß die Rückforderung der übrigen Vorsteuerbeträge nur deshalb nicht im Änderungsbescheid für 1978 berücksichtigt wurde, weil sie im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagungen für 1982 und 1983 nachgeholt werden sollte. Worin dies begründet lag, ist unbeachtlich. Auch § 174 Abs. 3 AO 1977 stellt insoweit nur auf den erkennbaren äußeren Ablauf der Steuerfestsetzung, nicht auf Motive, Verschulden oder sonstige Begleitumstände ab. Eine zeitliche Grenze für die Nachholung, Aufhebung oder Änderung ist nur insofern gezogen, als diese nur bis zum Ablauf der für die andere Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist, d.h. in diesem Fall für die Umsatzsteuerveranlagungen 1982 und 1983, zulässig ist (§ 174 Abs. 3 Satz 2 AO 1977).
Fundstellen
BFH/NV 1993, 406 |
BFH/NV 1993, 407 |