Leitsatz (amtlich)

Eine unterrichtende Tätigkeit ist nicht ohne Rücksicht auf die Art des dargebotenen Stoffes schon deshalb wissenschaftlich im Sinne von § 34 Abs. 4 EStG, weil sie besondere wissenschaftliche Kenntnisse in Pädagogik und Didaktik erfordert.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Streitig ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 4 EStG auf Nebeneinkünfte aus einer Tätigkeit als nebenamtlicher Berufsschullehrer.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Taubstummenlehrer. Im Rahmen seiner Berufsausbildung hatte er vier Semester Medizin, vier Semester an der pädagogischen Hochschule und vier Semester an der Universität, Lehramt für gestörte Kinder, studiert. Im Hauptberuf ist der Kläger Leiter einer Sonderschule für Taubstumme, nebenamtlich ist er als Berufsschullehrer für Gehörlose tätig. Als solcher unterrichtete er angehende Zahntechniker, Stahl- und Karosseriebauer, Polsterer und Tischler. Aus der nebenamtlichen Tätigkeit erzielte er im Streitjahr 1967 Einkünfte von ... DM, für die er - erstmals mit der Sprungklage gegen den Einkommensteuerbescheid vom 18. März 1970 - die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG beantragte. Er vertrat die Auffassung, daß die Wissenschaftlichkeit einer Unterrichtstätigkeit auch dann zu bejahen sei, wenn zwar nicht der zu unterrichtende Stoff wissenschaftlicher Natur sei, aber die Unterrichtsform für jede zu unterrichtende Stunde eine intensive Vorbereitung auf Grund wissenschaftlicher, didaktischer und pädagogischer Kenntnisse erfordere. Zwar sei nicht jede Unterrichtstätigkeit wissenschaftlich. Die des Klägers erreiche aber einen Schwierigkeitsgrad, bei dem die Wissenschaftlichkeit nicht verneint werden dürfe, weil sonst die Wissenschaftlichkeit der Pädagogik und Didaktik überhaupt vom Steuerrecht geleugnet würde.

Das FG wies die Klage ab.

Zur Begründung führte es aus, bei unterrichtender Tätigkeit, die im Gegensatz zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in § 34 Abs. 4 EStG nicht besonders aufgeführt und daher nicht von vornherein als wissenschaftlich anerkannt sei, müßten an die Wissenschaftlichkeit erhöhte Anforderungen gestellt werden (Hinweis auf das Urteil des BFH vom 14. Dezember 1967 IV R 149/67, BFHE 91, 51, BStBl II 1968, 273). Entscheidend sei, ob der Unterrichtsstoff wissenschaftlich, d. h. ein solcher sei, wie er auch an Hochschulen gelehrt werde, und ob die Vortragsform wissenschaftlich sei, d. h. der Unterricht in einer wissenschaftlichen Vorträgen angemessenen und qualifizierten Form abgehalten werde (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 24. April 1959 VI 29/59 S, BFHE 68, 504, BStBl III 1959, 193). Demgegenüber komme es auf die Frage, ob der Unterrichtende akademisch vorgebildet sei, nicht entscheidend an. Der Berufsschulunterricht trage, wie der Kläger selbst einräume, nach Stoff und Form der Darbietung keinen wissenschaftlichen Charakter. Der Unterricht werde auch nicht dadurch wissenschaftlich, daß er einer intensiven wissenschaftlichen Vorbereitung bedürfe. Es könne nicht darauf abgestellt werden, daß der Unterricht pädagogisch-didaktische und in gewissem Umfange auch fachlich-wissenschaftliche Kenntnisse erfordere, weil sonst jede unterrichtende Tätigkeit als wissenschaftlich bezeichnet werden müßte. Die besonderen Schwierigkeiten und Anforderungen, die bei der Unterweisung Taubstummer gegeben seien, verkenne das FG nicht. Sie seien jedoch kein Gradmesser für die Wissenschaftlichkeit.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG. Eine wissenschaftliche Tätigkeit sei gegeben, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Fälle systematisch in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht würden. Dieser Sachverhalt liege bei seiner Tätigkeit vor. Unbestritten seien Pädagogik und Didaktik wissenschaftliche Disziplinen. Unklar sei, was unter dem Begriff "Form der Darbietung" zu verstehen sei, den es im Bereich der Pädagogik nicht gebe. Die Methodik des Unterrichts jedenfalls könne nur dann im Sinne der Rechtsprechung des BFH wissenschaftlich sein, wenn sie auf besonderen pädagogischen und didaktischen Kenntnissen beruhe, die bei ihm schließlich auch noch wissenschaftlich fundiert seien. Steuerrechtlich müsse, notfalls im Wege einer Gesetzesänderung, anerkannt werden, daß eine Unterrichtsleistung selbst, losgelöst von dem dargebotenen Stoff, wissenschaftlichen Charakter haben könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat die wesentlichen Gesichtspunkte, die in der Rechtsprechung des BFH für den Begriff der Wissenschaftlichkeit einer unterrichtenden Tätigkeit herausgestellt wurden, zutreffend wiedergegeben. Hiernach müssen, damit eine unterrichtende Tätigkeit als wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 4 EStG anerkannt werden kann, sowohl der dargebotene Stoff als auch die Form der Darbietung wissenschaftliches Gepräge haben. Zutreffend weist daher der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) darauf hin, daß die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG für die hier streitigen Nebeneinkünfte schon deshalb entfällt, weil, wie auch vom Kläger nicht bestritten wird, der von diesem dargebotene Stoff kein wissenschaftlicher ist. Die in den Vordergrund der Revisionsbegründung gerückte Frage, ob die Form, in der der Kläger diesen unstreitig nicht wissenschaftlichen Stoff seinen Schülern darbot, im Sinne von wissenschaftlich qualifiziert war, bedarf daher keiner Vertiefung; dabei kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt - jedenfalls im Sinne der bisherigen Rechtsprechung - die wissenschaftliche Darstellung eines nichtwissenschaftlichen Stoffes begrifflich möglich ist, wenn nämlich von der Rechtsprechung verlangt wird, daß diese Darstellung geeignet sein soll, die Hörer zu einer eigenen wissenschaftlichen Vertiefung des dargebotenen Stoffes anzuregen.

Das Vorbringen des Klägers zielt letztlich darauf ab, daß die Wissenschaftlichkeit einer unterrichtenden Tätigkeit immer dann bejaht werden soll, wenn die Methodik (Didaktik) wissenschaftsbezogen ist. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung den Begriff der Wissenschaftlichkeit im Zusammenhang mit einer unterrichtenden Tätigkeit nicht verstanden. So kann er auch nicht verstanden werden, weil sonst, worauf das FG mit Recht hinweist, die Wissenschaftlichkeit bei jeder Unterrichtstätigkeit zumindest immer dann bejaht werden müßte, wenn der Unterrichtende entsprechende pädagogische und didaktische Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Dem steht aber entgegen, daß der Gesetzgeber, wie sich aus der Zusammenschau von § 18 Abs. 1 Nr. 1 und § 34 Abs. 4 EStG ergibt, bewußt die nur unterrichtende Tätigkeit nicht begünstigt hat, auch wenn diese Tätigkeit, wie gerade bei einem Unterricht an Sonderschulen, an die pädagogischen Fähigkeiten besonders hohe Anforderungen stellt. Ob de lege ferenda eine intensivere steuerliche Begünstigung nebenberuflicher Unterrichtstätigkeiten angebracht erscheint, hat der Senat nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71047

BStBl II 1974, 744

BFHE 1975, 233

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