Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von „Schwimmshorts“
Leitsatz (NV)
- Die Möglichkeit, dass kurze Hosen unterschiedslos als Freizeit- oder Badehose getragen werden können, schließt eine Tarifierung als Badehose aus.
- Die Feststellung, ob kurze Hosen anhand der bei der Einfuhr vorliegenden objektiven Merkmale als Badehosen anzusehen sind, richtet sich unter anderem nach dem Schnitt, der Zusammensetzung und gegebenenfalls nach der Aufmachung der Ware. Die Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist eine tatrichterliche Aufgabe der Tatsacheninstanz, die im Revisionsverfahren nur daraufhin zu überprüfen ist, ob dem FG bei der tatsächlichen Würdigung Rechtsverstöße unterlaufen sind.
- Die Entscheidung darüber, ob "Schwimmshorts" unter die Pos. 6211 KN fallen, kann nicht ausschließlich darauf gestützt werden, dass die Waren bestimmte (offene Gesäßtaschen und seitliche Einschubtaschen) der im "Negativkatalog" der nationalen Entscheidungen und Hinweise zu Pos. 6211 (Rz. 02.0 ff) genannten Beschaffenheitsmerkmale aufweisen. Die nationalen Entscheidungen und Hinweise sind lediglich Verwaltungsanweisungen, die den Zollstellen bei Schwierigkeiten mit der Einordnung von Waren eine Tarifierungshilfe geben sollen und nur unverbindlichen Charakter haben.
Normenkette
KN Kap. 62; KN Pos. 6203; KN Pos. 6211; EWGV 350/93; FGO § 118 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt ―HZA―) im Jahr 1994 "Herrenschwimmshorts" chinesischen Ursprungs unter der Unterposition 6211 11 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zum freien Verkehr abfertigen. Bei der Ware handelte es sich zum einen um in der Beinlänge kürzere "Badeshorts" mit zwei eingenähten Seitentaschen und einer aufgenähten Gesäßtasche, zum anderen um in der Beinlänge etwas längere "Badeshorts" mit zwei eingenähten Seitentaschen und vorne links einem eingenähten Geldtäschchen. Die Badeshorts besitzen jeweils einen Innenslip aus 100 % Polyamid.
Das HZA entsprach den Zollanträgen und beließ die Ware zollfrei, da für chinesische Waren dieser Unterposition der Präferenzzollsatz "frei" anzuwenden war. Aufgrund einer nachträglichen Überprüfung gelangte das HZA zu der Auffassung, dass es sich um gewebte, kurze Hosen der Unterposition 6204 63 90 KN gehandelt habe, und erhob dementsprechend Zoll in Höhe von … DM nach (Steueränderungsbescheid vom 30. Januar 1995, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 1995).
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil aus, dass es sich bei den von der Klägerin eingeführten Waren nicht um "Badehosen" der Unterposition 6211 11 00 KN handele, weil den "Schwimmshorts" wegen des eng anliegenden Schnitts, der offenen, seitlichen Einschubtaschen und der aufgenähten Gesäßtasche oder des auf der Vordertasche aufgenähten Geldtäschchens in Verbindung mit der Beinlänge der Charakter von Freizeithosen zukomme, die nicht hauptsächlich oder im Wesentlichen zum Baden verwendbar seien. Da der Schnitt der Badeshorts klar erkennen lasse, dass diese für Männer oder Knaben bestimmt seien, käme nur eine Einreihung in die Pos. 6203 KN in Betracht, für die der gleiche Drittlandszollsatz von 14 % gelte, wie dies bei der vom HZA für zutreffend gehaltenen Pos. 6204 KN der Fall gewesen sei.
Mit der Revision wendet sich die Klägerin in erster Linie gegen die zolltarifliche Beurteilung in der Vorentscheidung. Sie trägt vor, dass die vom FG herangezogene Einreihungsverordnung (EWG) Nr. 350/93 (VO Nr. 350/93) der Kommission vom 17. Februar 1993 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 41/7) nicht herangezogen werden könne, da der Innenslip der dort genannten "Shorts" eine andere Materialzusammensetzung aufweisen würde. Die Ware der Klägerin habe einen schnell trocknenden Innenslip (100 % Polyamid), der typischerweise zum Schwimmen verwendet werde. Die vom FG herangezogenen Kriterien ―seitliche Einschubtaschen und offene Gesäßtaschen― seien für die Eignung einer Hose als Badehose ohne Bedeutung. Wichtig sei die Sicherheitskordel, der Innenslip und dessen Material; diese Merkmale seien bei den von der Klägerin eingeführten "Schwimmshorts" vorhanden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es hält die Einwände der Klägerin gegen die Vorentscheidung nicht für durchgreifend und teilt nunmehr die Auffassung des FG, dass die Hosen der Pos. 6203 KN zuzuweisen seien.
Entscheidungsgründe
II. Die als Revision gegen ein Urteil in Zolltarifsachen statthafte (§ 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und auch im Übrigen zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei entschieden, dass es sich bei den von der Klägerin eingeführten Waren zolltariflich um kurze Hosen der Pos. 6203 KN handelt. Es hat daher zu Recht den angefochtenen Steueränderungsbescheid des HZA bestätigt.
1. Die von der Klägerin begehrte Einreihung in die Unterposition 6211 11 00 KN kommt nicht in Betracht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) wie auch des erkennenden Senats (vgl. etwa EuGH-Urteil vom 20. Juni 1996 Rs. C-121/95 ―Vobis―, EuGHE 1996, I-3047, Rdnr. 13; Senatsurteil vom 15. November 1994 VII R 36/94, BFH/NV 1995, 846) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) festgelegt sind. Dazu gibt es auch Erläuterungen, die für die KN von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden und ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. etwa die EuGH-Urteile vom 9. Dezember 1997 Rs. C-143/96 ―Knubben―, EuGHE 1997, I-7039, Rdnr. 14, und vom 19. Mai 1994 Rs. C-11/93 ―Siemens Nixdorf―, EuGHE 1994, I-1945 Rdnr. 11 und 12). Auf den Verwendungszweck darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. Senatsurteile vom 8. Juni 1993 VII K 16/92, BFHE 172, 244, und vom 23. Juli 1998 VII R 91/97, BFH/NV 1999, 234).
b) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass für die eingeführte Ware nur eine Einreihung in das Kap. 62 ("Bekleidung und Bekleidungszubehör …") der KN ―und hier entweder in die Pos. 6203 KN oder in die Pos. 6211 KN― erfolgen kann. Entgegen der Auffassung des FG besteht im Streitfall für die Anwendung der Allgemeinen Vorschrift (AV) 3 kein Raum, weil vorliegend der Wortlaut der Position die Einreihung regelt (vgl. AV 1). Denn Badehosen werden nach dem Wortlaut der Pos. 6203 KN ("… lange Hosen, … und kurze Hosen (ausgenommen Badehosen), für Männer oder Knaben") ausdrücklich aus dieser Position ausgewiesen. Damit ist klargestellt, dass die Pos. 6211 KN als Spezialvorschrift für "Badehosen" der Pos. 6203 KN vorgeht, eine Konkurrenz verschiedener Positionen also nicht besteht.
Eine Definition des Begriffs "Badehosen" enthält weder der Wortlaut der Position noch findet sich eine solche in den Erläuterungen zum GZT oder zum Harmonisierten System. Angesichts des Fehlens einer solchen Definition ist auf die objektive Beschaffenheit anhand der an der Ware feststellbaren Merkmale und Eigenschaften abzustellen, und zwar im Hinblick auf die Zweckbestimmung als Badehose (vgl. zur Einreihung als Nachthemd: EuGH-Urteil vom 20. November 1997 Rs. C-338/95 ―S.I. Wiener―, EuGHE 1997, I-6495 Rdnr. 13).
Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Pos. 6108 KN und zur Tarifnr. 60.04 GZT gehören zum Begriff "Schlafanzüge" bzw. "Nachthemden" nicht nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ausschließlich zum Tragen im Bett bestimmt sind, sondern auch solche, die im Wesentlichen hierfür verwendet werden (vgl. Urteile vom 9. August 1994 Rs. C-395/93 ―Neckermann Versand―, EuGHE 1994, I-4027 Rdnr. 14, und in EuGHE 1997, I-6495 Rdnr. 14). Unschädlich ist folglich für die Tarifierung einer solchen Ware, dass diese auch zu anderen Zwecken verwendet werden kann. Allerdings muss diese Möglichkeit von untergeordneter, unwesentlicher oder nebensächlicher Bedeutung sein (vgl. Senatsurteil vom 31. März 1998 VII R 11/95, BFH/NV 1998, 1143).
Diese Erwägungen lassen sich auch auf den vorliegenden Streitfall übertragen. Danach können die eingeführten Waren nur dann in die Pos. 6211 KN eingereiht werden, wenn sie ausschließlich oder im Wesentlichen dafür bestimmt sind, als Badehose verwendet zu werden. Die Möglichkeit, dass derartige Hosen unterschiedslos als Freizeithose oder als Badehose getragen werden können, schließt eine Tarifierung als Badehose aus (Urteil in BFH/NV 1998, 1143).
Die Feststellung, ob kurze Hosen anhand der bei der Einfuhr vorliegenden objektiven Merkmale als Badehosen anzusehen sind, richtet sich unter anderem nach dem Schnitt, der Zusammensetzung und gegebenenfalls nach der Aufmachung der Ware (vgl. Urteil in EuGHE 1997, I-6495 Rdnr. 21). Die Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist eine tatrichterliche Aufgabe der Tatsacheninstanz, die vom Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen ist, ob dem FG bei der tatsächlichen Würdigung Rechtsverstöße unterlaufen sind.
Ausgehend von den Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats ist die Auffassung des FG nicht zu beanstanden, dass den eingeführten "Schwimmshorts" insbesondere wegen der offenen, seitlichen Einschubtaschen und der aufgenähten Gesäßtasche bzw. des auf der Vordertasche aufgenähten Geldtäschchens in Verbindung mit der Beinlänge der Charakter von Freizeithosen zukommt, die auch zum Baden getragen werden können. Diese Bewertung lässt Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze nicht erkennen, so dass der Senat an die tatrichterliche Würdigung, weil mit Verfahrensrügen nicht angegriffen, gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 1998 VII R 120/96, BFH/NV 1999, 232).
c) Die vom FG getroffene Tarifierungsentscheidung findet eine Bestätigung in der VO Nr. 350/93, die ―weil es sich nicht um die identische Ware handelt― lediglich als exemplarisches Gesetzgebungsbeispiel eine Argumentationshilfe bietet (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 1999 VII R 42/98, BFHE 190, 501). Bei der dort von der Kommission in die Unterposition 6204 59 10 KN eingereihten Ware handelt es sich um "Shorts" aus 100 % Polyamid, die bis zum halben Oberschenkel reichen, auf jeder Seite eine Innentasche, sowie innen, auf Taillenhöhe angenäht, einen Slip aus Gewirken (65 % Polyester, 35 % Baumwolle) haben. Die Einreihung der "Shorts" durch die Kommission kann durchaus als vergleichendes Beispiel herangezogen werden, und zwar unabhängig davon, ob ―wie das FG meint― die andere Materialzusammensetzung des Innenslips (100 % Polyamid) für die Einreihung in die Pos. 6203 KN tatsächlich keine Rolle spielt oder ―wozu der Senat neigt― ob dies ein Beleg für eine bessere Verwendungsmöglichkeit als Badehose sein könnte. Denn selbst wenn man letzteres unterstellt, würde dieser Umstand nicht zwingend für eine hauptsächliche oder überwiegende Verwendung der "Schwimmshorts" als Badehose sprechen. Hinzu kommt nämlich, dass die von der Klägerin eingeführten ―anders als die von der Kommission beurteilten― Waren mit einer zusätzlichen ―nach den Feststellungen des FG nicht verschließbaren― Tasche (Gesäß- oder Geldtäschchen) ausgestattet sind, was ein Anhaltspunkt dafür sein könnte, dass die Waren nicht ausschließlich oder überwiegend als Badehose verwendet werden sollen. Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts ist es nicht zu beanstanden, dass das FG die Tarifierungsentscheidung der Kommission als gewichtiges Argument für die Einreihung der Ware in die Pos. 6203 KN angesehen hat.
d) Das FG hat seine Entscheidung darüber, ob die streitgegenständlichen "Schwimmshorts" unter die Pos. 6211 KN fallen, schließlich zu Recht nicht ausschließlich darauf gestützt, dass die Waren bestimmte (offene Gesäßtaschen und seitliche Einschubtaschen) der im "Negativkatalog" der nationalen Entscheidungen und Hinweise (NEH) zu Pos. 6211 KN (Rz. 02.0 ff.) genannten Beschaffenheitsmerkmale aufweisen. Die nationalen Entscheidungen und Hinweise sind nämlich lediglich Verwaltungsanweisungen, die den deutschen Zollstellen bei Schwierigkeiten mit der Einordnung von Waren eine Tarifierungshilfe geben sollen und nur unverbindlichen Charakter haben. Der zur Pos. 6211 KN aufgestellte Negativkatalog, der Waren mit bestimmten Merkmalen aus dieser Position ausweist, ist ein Hilfsmittel, dem vorliegend eine besondere Funktion zukommt, weil von der Gemeinschaft erlassene Auslegungsbestimmungen zu Pos. 6211 KN fehlen. Gleichwohl lässt allein das Fehlen eines im Negativkatalog zu Pos. 6211 KN genannten Beschaffenheitsmerkmals bei einer zu tarifierenden Ware noch nicht die Ausweisung aus der Position zu, sondern dient im Rahmen einer Gesamtschau lediglich als Anhaltspunkt für eine Einreihung. Eine andere Bedeutung hat ―wovon die Klägerin offenbar zu Unrecht ausgeht― auch das FG den NEH nicht beigemessen.
2. Der Senat sieht keine Veranlassung, im Streitfall eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABlEG Nr. C 340/1; ABlEG 1999 L 114/56) zur Auslegung der Pos. 6211 KN einzuholen. Der Senat hält vielmehr in Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (EuGHE 1982, 3415 ―C.I.L.F.I.T.―) die richtige Auslegung der maßgebenden Position der KN für zweifelsfrei und offenkundig; er ist davon überzeugt, dass für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den EuGH die gleiche Gewissheit bestünde.
3. Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 121, 90 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 508961 |
BFH/NV 2001, 72 |