Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des Zinsverzichts bei Gegenforderungen gegen die öffentliche Hand
Leitsatz (NV)
1. Ein Zinsverzicht kann in Betracht kommen, wenn zu Beginn der Stundung eine Aufrechnungslage i.S. des § 226 AO gegeben war.
2. Eine Aufrechnungslage setzt voraus, dass Gegenseitigkeit zwischen den Forderungen des Fiskus auf der einen Seite und den möglichen Gegenforderungen des Klägers besteht.
Normenkette
FGO § 102; AO § 39 Abs. 2 Nr. 2, §§ 226, 234 Abs. 2; GG Art. 106 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gehalten war, auf Stundungszinsen zu verzichten.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist an einer Ingenieur-/Unternehmensberatungspersonengesellschaft in Form einer GbR beteiligt und wird mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Kläger beantragten die zinslose Stundung der fällig werdenden Nachzahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für 2001. Die entsprechende Stundungsverfügung sah --entsprechend dem Vorschlag der Kläger-- vier Ratenzahlungen bis Ende Oktober 2003 vor. Die Kläger leisteten die Raten fristgemäß.
Das FA setzte mit Bescheid vom 14. August 2003 Stundungszinsen in Höhe von 3 346 € fest und lehnte einen Verzicht ab. Die Kläger erhoben Einspruch; ihre Liquiditätsprobleme seien dadurch entstanden, dass fällige Forderungen der Gesellschaft gegen öffentliche Auftraggeber in Höhe von rund 2,4 Mio. € nicht verzinst worden seien. Es sei nicht sachgerecht, wenn auf der anderen Seite die gestundeten Steuerverbindlichkeiten verzinst werden müssten.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg; ein Erlass aus Billigkeitsgründen komme nicht in Betracht. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 391, veröffentlicht.
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
1. Im Jahr 2001 seien in erheblichem Umfang langfristige Projekte beendet und "schlussgerechnet" worden. Wer als "öffentliche Hand" daran beteiligt gewesen sei und welche Projekte betroffen seien, ergebe sich aus den sog. Y-Listen.
2. Die schlechte Liquiditätslage sei durch das Zahlungsverhalten der "öffentlichen Hand" veranlasst gewesen. Die … Standortgesellschaft, die Fa. X, habe zum 31. Dezember 2003 Ansprüche gegen die "öffentliche Hand" in Höhe von 825 844,90 € besessen. Vergleichbare Forderungen hätten auch anderen Standortgesellschaften zugestanden. Die "öffentliche Hand" habe ihre fälligen Verpflichtungen gegenüber der Partnerschaft und den Standortgesellschaften nicht erfüllt. Eine Abtretung der Forderungen sei aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich gewesen.
3. In der Ablehnung des Zinsverzichts liege ein Ermessensmissbrauch. Es hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Kläger als zinsloser Darlehensgeber aufgetreten sei, während Steuerbeträge verzinst werden sollten.
4. Für den Erlass der Zinsen sei keine Gegenseitigkeit --wie bei der Aufrechnung-- erforderlich. Steuergläubiger seien das Bundesland Z bzw. der Bund, Schuldner der Ingenieurhonorare aber vielfach andere Personen, wie beispielsweise die Stadt Z. Teilweise seien das Bundesland Z bzw. der Bund selbst säumiger Auftraggeber und damit säumiger Honorarschuldner gewesen. Auch insoweit sei eine Aufrechnung faktisch nicht möglich gewesen, weil die Standortgesellschaften von der Vergabe künftiger Aufträge ausgeschlossen worden wären. Die Zwischenschaltung eigener Rechtspersönlichkeiten könne für die "öffentliche Hand" kein Freibrief für vertragswidriges Verhalten sein. Im Übrigen habe eine Sphärenbetrachtung zur erfolgen, in deren Rahmen eine strenge Prüfung der Gegenseitigkeit zu unterbleiben habe.
5. Der Auffassung des FG, dass die Steuererhebung nicht mit zivilrechtlichen Vorgaben belastet werden dürfe, gehe fehl; es könne mit allen Ansprüchen aufgerechnet werden.
6. Sie hätten keinen Zinsvorteil, da der Kläger unverzinsliche Gegenansprüche besitze; es gebe keinen Zinsvorteil, der auszugleichen wäre.
7. Die Partnerschaft und die Standortgesellschaften ermittelten ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes; dadurch ergäben sich Buchgewinne. Das FA verkenne, dass bei nicht zugeflossenen Buchgewinnen keine Rücklagen für Steuerzahlungen gebildet werden könnten.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, auf die festgesetzten Stundungszinsen in Höhe von 3 346 € zu verzichten.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
1. Das Revisionsverfahren sei keine Tatsacheninstanz.
2. Die Kläger hätten die erzielten Einkünfte für die darauf beruhenden Steuerzahlungen zurücklegen oder anlegen müssen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen.
1. Das FG hat die Entscheidung des FA, nicht auf Stundungszinsen zu verzichten, nach Maßgabe des § 102 FGO zu Recht nicht als ermessensfehlerhaft beurteilt.
a) Auf Zinsen kann gemäß § 234 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kommt in Betracht, wenn die Erhebung der Zinsen im Einzelfall insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Regelung nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Zinsen aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen dagegen keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 234 AO Rz 12; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 234 Rz 27; Schwarz in Schwarz, AO, § 234 Rz 12).
b) Ein Zinsverzicht kann danach in Betracht kommen, wenn zu Beginn der Stundung eine Aufrechnungslage i.S. des § 226 AO gegeben war (vgl. Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 234 AO Rz 13; Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung § 234 Rz 19). Daran fehlt es im Streitfall. Es bestand keine Gegenseitigkeit zwischen den Forderungen des Fiskus auf der einen Seite und den geltend gemachten Gegenforderungen.
Im Streitfall waren die Kläger nicht Inhaber der zur Aufrechnung gestellten (zivilrechtlichen) Forderungen. Das FA hat zutreffend darauf abgestellt, dass eine Identität zwischen Gläubiger und Schuldner nicht gegeben war. Die von den Klägern geltend gemachten Forderungen standen nicht dem Kläger persönlich zu, sondern allenfalls der oder den Gesellschaften, an denen er unmittelbar oder mittelbar beteiligt war.
Nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO kommt eine anteilige Zurechnung nur in Betracht, sofern eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt; der Streitfall betrifft nicht die Besteuerung, sondern die Prüfung, ob der Kläger im Rahmen des Erhebungsverfahrens eigene Ansprüche zur Aufrechnung stellen kann. Nach dem BFH-Urteil vom 30. Oktober 1984 VII R 70/81 (BFHE 142, 207, BStBl II 1985, 114) kann ein Gesellschafter gegen Steueransprüche des Fiskus nicht Ansprüche der Gesellschaft aufrechnen (§ 719 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Die Verhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter sind wegen der unterschiedlichen Vermögensmassen (§ 718 BGB) getrennt zu behandeln.
c) Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein Zinsverzicht aus sachlichen Billigkeitsgründen auch dann zu gewähren sein kann, wenn der Steuerschuldner (erst) demnächst mit einer Steuererstattung in Höhe des gestundeten Betrags rechnen kann oder wenn ihm noch nicht aufrechenbare Ansprüche gegen den Fiskus zustehen (so Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 234 AO Rz 22), ergibt sich kein anderes Ergebnis, da auch in diesem Fall eigene Gegenansprüche geltend zu machen sind.
d) Entgegen der Auffassung der Kläger kann nicht auf eine einheitliche Sphäre der "öffentlichen Hand" abgestellt werden; eine "indirekte Gegenseitigkeit" reicht nicht aus. Nach den gesetzlichen Wertungen (§ 226 AO) kommt ein Verzicht aus sachlichen Gründen in Betracht, wenn sich konkrete Ansprüche des jeweiligen Steuergläubigers und des Gläubigers der zivilrechtlichen Forderungen gegenüberstehen. Dementsprechend hätte der Kläger zumindest geltend machen müssen, welche konkreten und unbestrittenen Forderungen ihm im Einzelnen zustanden. Im Übrigen muss dem Kläger durch die Verweigerung des Zinsverzichts kein endgültiger Nachteil entstehen, da die GbR die Verzinsung ihrer Ansprüche gegen ihre Auftraggeber verlangen kann, soweit die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind.
e) Wie die Rechtslage bei Forderungsabtretung zugunsten der Kläger zu beurteilen gewesen wäre, kann dahinstehen, da Abtretungen nicht erfolgt sind. Ebenso braucht der Senat im Hinblick auf die Forderungsgegner nicht weiter zu vertiefen, welche Rechtsfolgen sich aus dem Umstand ergeben, dass gemäß Art. 106 Abs. 5 Satz 1 des Grundgesetzes die Gemeinden einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer erhalten, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist, und dass der den Gemeinden zugewiesene Anteil nach ganz überwiegender Auffassung zu einer eigenständigen (Mit-)Ertragshoheit der Gemeinden führt (Siekmann, in Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 106 Rz 29; W. Heun, in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 106 Rz 31, jeweils m.w.N.; Burmester, Die Verrechnung von Steuerforderungen, 1977, S. 57; a.A. Brockmeyer in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl., Art. 106 Rz 17).
2. Weitere Gründe, die eine ermessensfehlerhafte Versagung des Zinsverzichts begründen, sind nicht ersichtlich, so dass auch insoweit die Ermessensentscheidung des ZFA nicht zu beanstanden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1778470 |
BFH/NV 2007, 1622 |