Leitsatz (amtlich)

Der Erwerb von Grundstücken ist nur dann nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c und d GrEStG Niedersachsen von der Besteuerung ausgenommen, wenn die Grundstücke - durch die Erwachsenenbildung - unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen. Erwachsenenbildung ist Volksbildung außerhalb der allgemein bildenden Schule und Berufserziehung.

 

Normenkette

GrEStG Niedersachsen § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c; GrEStG Niedersachsen § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. d

 

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein. Sein Vereinszweck ist in seiner in den Jahren 1965 und 1966 geltenden Satzung wie folgt beschrieben:

"§ 1 ...

3. Der Verein hat die Aufgabe, an der Neugestaltung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zum Wohle einer allgemeinen sozialen Befriedung mitzuarbeiten. Dazu soll er die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge undogmatisch darstellen und das Verständnis dafür verbreitern und vertiefen. Er erstrebt die Entfaltung und Anerkennung der persönlichen Leistung und unternehmenden Geistes in allen Stufen des Wirtschaftslebens. Er will die Erkenntnis. daß die freie Entwicklung der Volkswirtschait nur im Rahmen einer von volkswirtschaftlicher Einsicht getragenen Gesinnung und Haltung möglich ist, zum Gemeingut aller verantwortungsbewußten Kreise machen.

4. Der Verein wird bestrebt sein, dieses Ziel zu erreichen durch

a) Aufklärung der öffentlichen Meinung durch Presse, Rundfunk, Vortragsveranstaltungen und eigenes Schrifttum

b) Beratung und Unterrichtung der Verbände, Körperschaften, Unternehmungen usw.,

c) Eingaben an die gesetzgebenden Körperschaften und zuständigen Behörden, Begutachtung von Gesetzentwürfen und Ausarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung der bestehenden und zur Durchführung neuer gesetzlicher Bestimmungen.

5. Der Verein verfolgt keine politischen oder konfessionellen Ziele irgendwelcher Art. Sein Zweck ist nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet. Er verfolgt ausschließlich unmittelbar die in Abs. 3. und 4. genannten gemeinnützigen Zwecke."

In Verfolgung seiner Vereinszwecke unterhielt der Kläger folgende Einrichtungen: Akademie für Führungskräfte in der Wirtschaft (AFW), Wirtschaftsakademie für Lehrer (WL), Akademie für Fernstudium (AF) zur betrieblichen Aus- und Weiterbildung.

Die Grundstücke für die Verwaltung des Klägers und der drei Akademien, für die hotelmäßige Unterbringung und Verpflegung der Kursusteilnehmer sowie der zu einzelnen Vorträgen anreisenden Lehrkräfte und zur Durchführung der Vortragsveranstaltungen selbst, hatte der Kläger zunächst angemietet, kaufte sie dann aber 1965 und 1966. Der Kläger beantragte Freistellung von der Grunderwerbsteuer nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c GrEStG Nds. i. d. F. des Änderungsgesetzes (ÄndG) vom 12. Juni 1964 (GVBl 94), da er auf den Grundstücken Einrichtungen der Erwachsenenbildung unterhalte. Diesem Antrag gab das FA nicht statt, sondern erließ drei Steuerbescheide.

Die Einsprüche des Klägers führten lediglich teilweise zur anderweitigen Berechnung der Gegenleistung und Herabsetzung der Steuer. Auf die Klage hin hob das FG die Steuerbescheide i. d. F. der Einspruchsentscheidungen auf. Hiergegen richtet sich die Revision des FA.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Soweit der Kläger Lehrgänge durchführt, rügt das FA zu Unrecht, das FG habe den Begriff der Einrichtungen der Erwachsenenbildung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c und d GrEStG verkannt. Unter Erwachsenenbildung versteht man die Volksbildung außerhalb der allgemein bildenden Schule und Berufserziehung (vgl. Heckel-Seipp, Schulrechtskunde Neuwied-Berlin 1969 S. 233). Unschädlich ist es - in dem im Streitfall in Frage stehenden Rahmen -, daß der Zugang zur Bildungseinrichtung nicht ganz oder annähernd kostenlos ist, daß die Tätigkeit in einem gewissen Zusammenhang mit der Berufsbildung und -fortbildung steht, daß die Einrichtung sich bestimmten Spezialgebieten widmet und in gewisser Weise Sonderinteressen dient. Soweit diese Umstände nicht auch die Gemeinnützigkeit ausschließen, besteht - jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden - kein Grund, insofern eine Einrichtung der Erwachsenenbildung zu verneinen. Es wird auch den allgemein anerkannten Einrichtungen der Erwachsenenbildung - z. B. den Volkshochschulen und Volksbildungsvereinen - kaum möglich sein, alle denkbaren Inhalte der Erwachsenenbildung anzubieten. Bildungseinrichtungen der Kirchen, Behörden, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Parteien und anderer vergleichbarer Organisationen, die als Träger von Einrichtungen der Erwachsenenbildung in Frage kommen (vgl. Heckel-Seipp, a. a. O.), werden sich häufig bewußt auf bestimmte Inhalte beschränken, ohne daß dadurch der Charakter einer Einrichtung der Erwachsenenbildung verlorengeht. Ob für das z. Zt. der streitigen Grunderwerbe noch nicht geltende Niedersächsische Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung vom 13. Januar 1970 (Nds. GVBl S. 7) strengere Maßstäbe anzuwenden sind, muß und kann hier nicht entschieden werden.

2. Die Erwerbe der Grundstücke sind jedoch nur von der Besteuerung ausgenommen, wenn sie - durch die Erwachsenenbildung - unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen. Soweit sie nicht unmittelbar der Erwachsenenbildung, sondern den übrigen satzungsgemäßen Zwecken des Klägers, seiner Eigenverwaltung, der Unterbringung der Kursusteilnehmer und Dozenten und anderen allenfalls mittelbar der Erwachsenenbildung zugute kommenden Zwecken dienen, ist dies schädlich (vgl. Urteile des BFH vom 5. Juli 1972 II R 133/68, BFHE 107, 49, BStBl II 1972, 911, vom 4. Februar 1976 II R 128/70, BStBl II 1976, 472, vom 30. Januar 1974 II R 20/70, BFHE 112, 86, BStBl II 1974, 410 und vom 8. Mai 1974 II R 157/66, BFHE 113, 67, BStBl II 1974, 663). Ein steuerbefreiter Grundstückserwerb zur Errichtung und Unterbringung von Einrichtungen der Erwachsenenbildung im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c GrEStG liegt auch dann nicht vor, wenn die Grundstücke nach dem Erwerb längere Zeit für steuerschädliche Zwecke benutzt werden sollten, mögen sie auch noch vor Ablauf der Zehnjahresfrist des § 4 Abs. 2 GrEStG i. d. F. vom 12. Juni 1964 unmittelbar der Erwachsenenbildung zugeführt worden sein.

3. Sofern das FG bei seiner erneuten Entscheidung zum Ergebnis kommt, daß die Grunderwerbe nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c oder d GrEStG von der Besteuerung ausgenommen sind, wird es auch zu prüfen haben, inwieweit die vom FA besteuerten Kaufverträge sich auf das nicht zu den Grundstücken im Sinne des § 2 GrEStG gehörige Inventar beziehen und deshalb der Grunderwerbsteuer überhaupt nicht unterliegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71864

BStBl II 1976, 469

BFHE 1976, 477

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