Individueller Verbraucherschutz als Zweckbetrieb und ermäßigter Umsatzsteuersatz
Hintergrund: Entgeltliche individuelle Verbraucherberatung
Zu entscheiden war, ob die von einem gemeinnützigen Verein zum Zweck des Verbraucherschutzes erbrachten Leistungen einen Zweckbetrieb darstellen oder dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzuordnen sind.
Der eingetragene Verein (V) fördert den Verbraucherschutz durch Produktvergleiche. Im Streitjahr (2014) führte V vergleichende Untersuchungen zu Versicherungen durch und veröffentlichte die Ergebnisse. Da wegen der vielen Tarife ein verwertbarer Vergleich nur anhand individueller Faktoren erstellt werden konnte, bot V eine Vergleichsanalyse ("Finanzanalyse") mit individuellen Daten an (überwiegend Kfz-Versicherungen). Mit den Analysen erwirtschaftete V bei Umsätzen von ca. 100.000 EUR einen Verlust von ca. 70.000 EUR.
Das FA ordnete die Einnahmen aus den Analysen dem steuerpflichtigen Geschäftsbetrieb des V zu, erließ entsprechende KSt-/GewSt-Messbescheide und unterwarf die Umsätze dem Regelsteuersatz.
Das FG gab der Klage des V statt. Es handele sich um einen begünstigten Zweckbetrieb i.S.v. § 65 AO. Dagegen legte das FA Revision ein.
Entscheidung: Besondere Voraussetzungen für den ermäßigten Umsatzsteuersatz
V ist als Zweckbetrieb von der KSt und der GewSt befreit, unterliegt jedoch bei der USt nicht dem ermäßigten Steuersatz, sondern dem Regelsteuersatz.
Verbraucherberatung umfasst auch die Einzelberatung
Dem steht das Erfordernis der Förderung der "Allgemeinheit" nach § 52 Abs. 1 AO nicht entgegen, wenn sich die individuelle Aufklärung an einen zahlenmäßig nicht begrenzten Personenkreis richtet. Das ist hier der Fall. V bot allen ihren Lesern und damit einem unbegrenzten Kreis von Verbrauchern die Möglichkeit, Computerauswertungen zu Versicherungen auf der Basis ihrer individuellen Merkmale zu erwerben.
Finanzberatung als Zweckbetrieb
Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb "Finanzanalysen" diente in seiner Gesamtrichtung der Verwirklichung des steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks der Verbraucherberatung. Es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Erhebung des Entgelts lediglich zur Mittelbeschaffung erfolgte. Die Finanzanalysen waren für die Zweckerreichung erforderlich. Denn die veröffentlichten Musteranalysen waren lediglich für einen generellen Marktüberblick geeignet. Ein konkreter Versicherungsschutz setzt dagegen eine individuelle Versicherungsanalyse voraus.
Keine Wettbewerbssituation
V tritt mit ihren Analysen zu nicht begünstigten Betrieben nur insoweit in Wettbewerb, als dies zur Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO). Zum einen besteht nur ein "eingeschränktes" Wettbewerbsverhältnis zu Versicherungsportalen, Versicherungsmaklern und Versicherungsberatern. Denn diese Konkurrenten bieten keine vergleichbaren Leistungen an, da ihre Analysen auf einen Vertragsabschluss gerichtet sind. Zum anderen überwiegt das Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks. Die Finanzanalysen gewährleisten einen unabhängigen Marktüberblick. V hat kein wirtschaftliches Interesse am Abschluss eines Versicherungsvertrags.
Keine Steuersatzermäßigung bei der USt
Die umsatzsteuerliche Behandlung weicht von der Beurteilung nach der AO ab. Denn nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 (Alternative 1) UStG gilt der ermäßigte Steuersatz für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, nur dann, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden. Damit folgt der BFH nicht der Auffassung der Finanzverwaltung, wonach der ermäßigte Steuersatz auf Zweckbetriebe nach § 65 AO uneingeschränkt anwendbar ist (Abschn. 12.9 Abs. 9 Satz 2 UStAE).
Unionsrechtliche Auslegung
Nach dem Unionsrecht bezieht sich die Steuerermäßigung auf von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit (Anh. III Nr. 15 MwStSystRL). Daraus folgt eine einschränkende Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG (BFH v. 8.3.2012, V R 14/11, BStBl II 2012, 630). Die Analysen des V fallen nicht unter diese Erlaubnis der Mitgliedstaaten für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Denn bei V fehlt es an einer Tätigkeit auch "für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit". Damit erfüllt V nicht die neben der Zweckbetriebseigenschaft für die Steuersatzermäßigung erforderlichen weiteren Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 (Alternative 1) UStG. Im Übrigen beantwortet sich die Frage, ob zusätzliche Einnahmen i.S.v. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 (Alternative 1) UStG vorliegen, nach umsatzsteuerrechtlichen, nicht abgabenrechtlichen Maßstäben. Danach dient ein Zweckbetrieb bereits dann vorrangig der Erzielung dieser Einnahmen, wenn es sich um den einzigen Tätigkeitsgegenstand des Zweckbetriebs (hier: entgeltliche Finanzanalysen) handelt (BFH v. 8.3.2012, V R 14/11, BStBl II 2012, 630, Rz 29).
Hinweis: Abweichung von der Verwaltungsauffassung
Die Revision des FA war damit hinsichtlich KSt und GewSt-Messbetrag unbegründet. Für USt 2014 wurde das stattgebende FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der BFH widerspricht der Verwaltungsregelung in Abschn. 12.9 Abs. 9 Satz e UStAE und der überwiegenden Literaturmeinung, wonach der ermäßigte Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alt. 1 UStG auf Zweckbetriebe nach § 65 AO uneingeschränkt anwendbar ist. Aus unionsrechtlichen Gründen ist die Regelung einschränkend dahin auszulegen, dass die Steuermäßigung nur für die Fälle gilt, in denen eine gemeinnützige Einrichtung für wohltätige oder soziale Zwecke tätig ist.
BFH Urteil vom 26.08.2021 - V R 5/19 (veröffentlicht am 09.12.2021)
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