Leitsatz (amtlich)
Wer in einer Rechnung für eine Leistung eine Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er eine Steuer nicht schuldet, weil seine Leistungen gem. § 4 Nr. 19a UStG 1967 von der Umsatzsteuer befreit sind, wird nach § 14 Abs. 3 UStG 1967 (2. Alternative) zum Schuldner dieses Betrages.
Normenkette
UStG 1967 § 4 Nr. 19a, § 14
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der sich als Rechtsanwalt betätigt, ist blind. Seine Umsätze unterliegen der Regelbesteuerung nach dem UStG 1967.
Für seine Umsätze im Jahre 1969 in Höhe der von ihm erteilten Honorarabrechnung von ..... DM hat er Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 19a UStG 1967 in Anspruch genommen und erhalten. Eine Erklärung, daß er gemäß § 9 UStG 1967 auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 19a UStG 1967 verzichte, hat er nicht abgegeben. Obgleich seine Umsätze in vollem Umfang steuerfrei waren, hat er in dem genannten Zeitraum in seinen Honorarabrechnungen .... DM als Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen und in Rechnung gestellt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat daraufhin durch Steuerbescheid vom 23. April 1971 die Umsatzsteuer 1969 gemäß § 14 Abs. 2 UStG 1967 auf .... DM festgesetzt.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das FG hielt die Steuerfestsetzung gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967 für Rechtens.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision, zu deren Begründung der Kläger im wesentlichen folgendes ausführt:
Würde er in seinen Kostenrechnungen keine Umsatzsteuerbeträge ausweisen, so hätte er durch die Umsatzsteuerfreiheit des § 4 Nr. 19a UStG 1967 (sog. Blindenprivileg) keinerlei Vorteile. Den Vorteil hätten allein die Kostenschuldner. Deshalb habe das FA in früheren Veranlagungszeiträumen ihm gestattet, "die als Umsatzsteuer ausgewiesenen Beträge einzubehalten". Auf diese Weise werde das mit dem Blindenprivileg erstrebte Ziel in sinnvoller Weise erreicht. Im übrigen müsse im vorliegenden Fall § 25 Abs. 2 BRAGebO entsprechend angewendet werden. Schließlich verstoße die Heranziehung zur Umsatzsteuer gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil ihn das FA erst Ende 1970 auf seine Verpflichtung zur Versteuerung der in Rechnung gestellten Beträge aufmerksam gemacht habe, und gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz), weil das Blindenprivileg den blinden Anwälten im Gegensatz zu anderen blinden Unternehmern keinen Vorteil bringe.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils die Umsatzsteuer 1969 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend hat das FG entschieden, daß der Kläger jenen Tatbestand verwirklicht hat, der ihn gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967 zum Schuldner einer in seinen Rechnungen unberechtigt gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer macht.
Der Kläger hat keine steuerpflichtigen Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt, da seine Leistungen gemäß § 4 Nr. 19a UStG 1967 umsatzsteuerfrei sind. Eine Umsatzsteuer, die er in seinen Rechnungen gesondert ausweisen und hätte in Rechnung stellen können, ist daher beim Kläger nicht entstanden (§ 14 Abs. 1 UStG 1967). Wenn er trotzdem in seinen Rechnungen (nicht entstandene) Umsatzsteuerbeträge gesondert ausgewiesen hat, so ist er damit gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1967 (2. Alternative) zum Schuldner einer Steuer in Höhe der von ihm gesondert ausgewiesenen Beträge geworden.
Daß bei dieser Rechtslage das sog. Blindenprivileg für einen blinden Rechtsanwalt wertlos sei, ist unzutreffend. Unbeschadet der allgemeinen - dem Gesetzgeber bekannten (vgl. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30. März 1967, zu Drucksache V/1581 unter "Allgemeines 4 d") - Problematik um Steuerbefreiungen im Rahmen eines Mehrwertsteuersystems kann - wie auch in dem genannten Bericht bereits ausgeführt wird - ein blinder Rechtsanwalt, der die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 19a UStG 1967 in Anspruch nimmt, um die (von ihm nicht zu zahlende) Umsatzsteuer billiger leisten als ein Anwalt, dessen Umsätze nicht von der Umsatzsteuer befreit sind. Er ist daher diesem gegenüber in einer günstigeren Wettbewerbslage. Dasselbe gilt im übrigen grundsätzlich auch für andere blinde Unternehmer (vgl. hierzu Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Auflage, unter: Einleitung D 120 S. 8 "Befreiungen bei der Mehrwertsteuer"). Aus diesem Grunde liegt auch in der aufgezeigten Regelung kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
Auch aus § 25 Abs. 2 BRAGebO kann nichts anderes hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift hat ein Rechtsanwalt Anspruch auf Ersatz der auf seine Vergütung entfallenden Umsatzsteuer. Dies gilt jedoch nicht, wenn sich die Umsatzsteuer des Rechtsanwalts nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967 bemißt; in diesem Falle hat der Rechtsanwalt Anspruch auf einen Ausgleich, der 5,5 v. H. seiner sonstigen Vergütung beträgt und den er gemäß § 18 Abs. 2 BRAGebO in seiner Rechnung als Ausgleichsbetrag bezeichnen muß, um zu verhindern, daß sein Auftraggeber den Betrag wie ihm berechnete Mehrwertsteuer als Vorsteuer von seiner eigenen Umsatzsteuer absetzen kann. Die Vorschrift bezweckt eine annähernde Gleichbehandlung solcher Rechtsanwälte, die ihre Umsätze der Regelbesteuerung unterworfen haben mit denjenigen, die ihre Umsätze nach § 19 Abs. 1 bis 3 UStG 1967 versteuern. § 25 Abs. 2 BRAGebO regelt daher die völlig anders liegenden Fälle solcher Anwälte, die tatsächlich Umsatzsteuer zu zahlen haben. Die Umsätze des Klägers sind jedoch gemäß § 4 Nr. 19a UStG 1967 von der Umsatzsteuer befreit. Bei ihm ist daher eine Umsatzsteuer nicht entstanden, deren "Ersatz" er gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 BRAGebO oder deren "Ausgleich" er nach § 25 Abs. 2 Satz 2 BRAGebO verlangen könnte. Für eine unmittelbare oder analoge Anwendung der genannten Vorschrift ist daher kein Raum.
Zutreffend hat das FG auch ausgeführt, daß das FA unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht gehindert war, die streitige Steuer festzusetzen, da eine abweichende und unzutreffende Behandlung in vorherigen Veranlagungszeiträumen im Hinblick auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung das FA nicht bindet.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1973, 647 |
BFHE 1973, 395 |