Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Lotterielose sind keine Wertpapiere im Sinne des § 4 Ziff. 8 UStG.
Verkäufe von Lotterielosen sind Lieferungen im Sinne des UStG.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 8, § 3/1; UStDB § 2
Tatbestand
Der Bg. ist selbständiger Lotterieeinnehmer der Nordwestdeutschen Klassenlotterie. Im Jahre 1953 erwarb er von der Lotterie-Direktion Lose und verkaufte sie im eigenen Namen und für eigene Rechnung weiter an inländische und ausländische Abnehmer. Streitig ist, ob die aus dem Verkaufe dieser Lose vereinnahmten Entgelte in voller Höhe als "Umsätze von Wertpapieren" gemäß § 4 Ziff. 8 UStG oder zum Teil als "Ausfuhrlieferungen" gemäß § 4 Ziff. 3 UStG steuerfrei sind.
Das Finanzamt hielt die Umsätze für steuerpflichtig. Die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 8 UStG sei nicht anwendbar, weil Lotterielose keine Wertpapiere seien; § 4 Ziff. 3 UStG sei nicht anwendbar, weil der buchmäßige Nachweis über die Ausfuhrlieferungen nicht ordnungsmäßig geführt sei.
Das Finanzgericht hielt die Umsätze gemäß § 4 Ziff. 8 UStG für steuerfrei.
Entscheidungsgründe
Die gegen das Urteil des Finanzgerichts gerichtete Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.
Die Losumsätze des Bg. sind nicht gemäß § 4 Ziff. 8 UStG steuerfrei. Lotterielose sind keine Wertpapiere im Sinne der erwähnten Befreiungsvorschrift. Sie werden zwar im Schrifttum und in der Rechtsprechung außerhalb des Verkehrsteuerrechts überwiegend als Wertpapiere, und zwar als Inhaberschuldverschreibungen, angesehen (vgl. Hueck, Recht der Wertpapiere, 7. Aufl. 1957 S. 11, 112; Staudinger-Brändl, BGB, 11. Aufl. § 763 Anm. V 4; Urteil des Bundesfinanzhofs III 44/54 U vom 20. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 212, Slg. Bd. 61 S. 37, 38). Daraus allein kann jedoch nicht geschlossen werden, daß sie auch als Wertpapiere im Sinne des § 4 Ziff. 8 UStG anzusehen sind. Der Gesetzgeber verwendet den Ausdruck "Wertpapier" oft, erläutert ihn aber nicht. Er gebraucht ihn bald in einem weiteren, bald in einem engeren Sinne. Es muß deshalb bei der einzelnen Gesetzesbestimmung, in der er diesen Begriff verwendet, dessen Umfang durch Auslegung ermittelt werden.
Für diese Auslegung ist im Streitfalle bedeutsam, daß der Gesetzgeber im Kapitalverkehrsteuergesetz (KVStG) den Begriff "Wertpapiere" auf bestimmte Papiere beschränkt hat (ß 19 in Verbindung mit § 12 KVStG). Das KVStG und das UStG sind sachlich eng verbunden: Beide regeln die Besteuerung von Verkehrsvorgängen. Um eine doppelte steuerliche Erfassung eines Verkehrsvorganges durch das KVStG und das UStG zu vermeiden, sind die vom KVStG erfaßten besonderen Verkehrsvorgänge von der Umsatzsteuer befreit. Dies ist für Umsätze, die unter Teil I des KVStG (Gesellschaftsteuer) fallen, in § 4 Ziff. 9 UStG ausdrücklich ausgesprochen; für Umsätze, die unter Teil II (Wertpapiersteuer) und Teil III (Börsenumsatzsteuer) des KVStG fallen, bedurfte es dessen nicht, weil in diesen Fällen eine doppelte Erfassung des Vorganges durch KVStG und UStG schon durch § 4 Ziff. 8 UStG verhindert wird (vgl. Hübschmann-Grabower-Beck- v. Wallis, Umsatzsteuergesetz, § 4 Ziff. 9 Anm. 1). Diese gesetzliche Regelung läßt darauf schließen, daß unter Wertpapieren im Sinne des § 4 Ziff. 8 UStG nur Papiere der in § 19 in Verbindung mit § 12 KVStG bezeichneten Art zu verstehen sind. Zu diesen gehören Inhaberschuldverschreibungen nur, wenn in ihnen verzinsliche Forderungsrechte verbrieft sind (ß 19 Abs. 1 Ziff. 1, § 12 Abs. 1 Ziff. 1 KVStG). In Lotterielosen sind jedoch keine verzinslichen Forderungsrechte verbrieft. Sie stellen deshalb keine Wertpapiere im Sinne des § 4 Ziff. 8 UStG dar.
Daß der Gesetzgeber in § 4 Ziff. 8 UStG von diesem engen Wertpapierbegriff ausgegangen ist, geht auch daraus hervor, daß er es für notwendig erachtete, in der erwähnten Vorschrift neben Wertpapieren unter anderem Wechsel und Schecke aufzuführen. In entsprechender Weise nennt der Verordnungsgeber in dem zu § 4 Ziff. 8 UStG ergangenen § 33 UStDB neben Wertpapieren unter anderem Zinsscheine, Wechsel, Avale. Dessen hätte es nicht bedurft, wenn der Gesetz- und der Verordnungsgeber auch diese Papiere als Wertpapiere angesehen hätte und in § 4 Ziff. 8 UStG von diesem weiten Wertpapierbegriff ausgegangen wäre.
Aus § 4 Ziff. 9 UStG ergibt sich der Wille des Gesetzgebers, nur diejenigen Losumsätze umsatzsteuerfrei zu lassen, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen. Umsatzsteuerfrei sind danach nur die Losumsätze der Lotterieunternehmer (Veranstalter einer Lotterie). Hätte der Gesetzgeber Steuerfreiheit für alle Losumsätze schon durch § 4 Ziff. 8 UStG gewähren wollen, so wäre die in § 4 Ziff. 9 UStG getroffene Regelung überflüssig gewesen.
Das Urteil des III. Senats des Bundesfinanzhofs III 44/54 U vom 20. Mai 1955 a. a. O. hat nur ausgesprochen, daß Lotterielose zu den Wertpapieren im Sinne des § 164 Abs. 1 LAG gehören. Dieses Urteil kann nach den obigen Ausführungen zur Auslegung des Wertpapierbegriffs im Sinne des § 4 Ziff. 8 UStG nicht herangezogen werden.
Der enge Wertpapierbegriff allein entspricht dem Sinn und Zweck des § 4 Ziff. 8 UStG der vor allem bestimmte bank- und börsenmäßige Umsatzgeschäfte begünstigen will (vgl. Popitz-Kloß-Grabower, Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl. § 2 Nr. 2 Anm. II S. 519; Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl. Tz. 2353; Sölch-Ringleb, Umsatzsteuergesetz, 6. Aufl. Bem. 127 zu § 4; Hübschmann-Grabower-Beck- v. Wallis, Umsatzsteuergesetz, § 4 Ziff. 8 Anm. I). Zu Geschäften dieser Art sind Verkäufe von Lotterielosen nicht zu rechnen. Sie gehören auch nicht zu den übrigen in der genannten Vorschrift aufgezählten Geschäften.
Die Entscheidung des Finanzgerichts beruht somit auf unrichtiger Anwendung bestehenden Rechts und ist deshalb aufzuheben (§§ 288 Ziff. 1, 296 Abs. 1 AO).
Ob die Losumsätze des Bg. teilweise als "Ausfuhrlieferungen" nach § 4 Ziff. 3 UStG steuerfrei sind, hängt zunächst davon ab, ob es sich bei dem Verkaufe von Lotterielosen um Lieferungen oder um sonstige Leistungen im Sinne des Umsatzsteuerrechts handelt. Lieferungen sind Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (ß 3 Abs. 1 UStG, § 2 Abs. 1 UStDB). Gegenstand in diesem Sinne kann jedes Wirtschaftsgut sein, das im Verkehr wie eine Sache umgesetzt wird (Urteil des Reichsfinanzhofs V 168/37 vom 24. Juni 1938, RStBl 1938 S. 766, Slg. Bd. 44 S. 188, 190). Der Verkauf eines Loses ist Verkauf einer Gewinnaussicht (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 393/36 vom 16. Oktober 1936, RStBl 1936 S. 1165, Slg. Bd. 40 S. 152, 153; Urteil des Bundesgerichtshofs III ZR 251/55 vom 8. April 1957, Neue Juristische Wochenschrift 1957 S. 1105). Diese Gewinnaussicht wird im Verkehr wie eine körperliche Sache umgesetzt; sie ist an den Besitz des Lotterieloses geknüpft (vgl. §§ 1, 5, 9, 10, 12 der von der Lotterie-Direktion der Nordwestdeutschen Klassenlotterie herausgegebenen Planbestimmungen vom Juni 1954) und wird nach sachenrechtlichen Grundsätzen (§§ 929 ff. BGB) übertragen. Ihre entgeltliche übertragung ist deshalb als Lieferung, nicht als sonstige Leistung, zu werten (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 348/37 vom 27. Januar 1939, RStBl 1939 S. 791, mit zustimmender Anmerkung von Sölch, Steuer und Wirtschaft 1939, Teil I Sp. 283, und Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs V 136/42 vom 14. Februar 1946, Slg. Bd. 54 S. 183, 184).
Ob Lieferungen der Lotterielose gemäß § 4 Ziff. 3 UStG steuerfrei sind, hängt noch davon ab, ob die Voraussetzungen des § 23 UStDB gegeben und insbesondere ob sie buchmäßig nachgewiesen sind (§§ 23 bis 26 UStDB). Da das Finanzgericht diese Fragen noch nicht geprüft hat, sich aus den dem Senat vorliegenden Akten nicht ergibt, in welchem Umfange Lose tatsächlich ins Ausland versendet worden sind, und da sich nur durch Einsichtnahme in die Belege und Bücher des Steuerpflichtigen feststellen läßt, ob die genannten Voraussetzungen vorliegen, ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen (ß 296 Abs. 3 und 4 AO). In dem erneuten Verfahren vor dem Finanzgericht werden auch die sonstigen Einwendungen des Steuerpflichtigen zu prüfen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 409573 |
BStBl III 1960, 77 |
BFHE 1960, 209 |
BFHE 70, 209 |