Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Nichterhebungsbescheid im Sinne des § 17 GrEStG ist kein Freistellungsbescheid, sondern eine Verfügung im Sinne des § 96 AO.
Normenkette
GrEStG § 17; AO §§ 94, 96, 222 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Durch notarielle Urkunde vom 7. Februar 1955 hatte Frau K. ihren Geschäftsanteil von nominell 19.000 DM an der Firma X.-GmbH (GmbH) auf ihren Schwiegersohn, den Revisionskläger (Steuerpflichtigen - Stpfl. -), übertragen, der hierdurch alle Anteile an der GmbH auf sich vereinigt hatte. Zur GmbH gehörte Grundbesitz. Das Finanzamt (FA) erhielt von diesem Vorgang Kenntnis durch eine Kontrollmitteilung des Kapitalverkehrsteueramtes vom 4. Mai 1955. Abschrift der notariellen Urkunde wurde dem FA erst auf fernmündliche Aufforderung am 14. Mai 1955 übersandt. Die Vertragsparteien und der Notar hatten Anzeigen nicht erstattet.
Das FA setzte durch Steuerbescheid vom 21. Mai 1955 eine Grunderwerbsteuer von 5.180 DM fest. Durch notarielle Urkunde vom 24. Mai 1955 wurde der Erwerbsvorgang rückgängig gemacht. In einer Verfügung vom 11. Juni 1955 teilte das FA dem Stpfl. nach Prüfung antragsgemäß mit, daß die festgesetzte Grunderwerbsteuer nach § 17 Abs. 1 Ziff. 1 GrEStG nicht erhoben werde. In dem Antrag hatte der Stpfl. unter anderem bemerkt, daß bezüglich des § 17 Abs. 4 GrEStG die verzögerte Einreichung darin begründet sei, daß die Industrie- und Handelskammer der Eintragung des Firmennamens ins Handelsregister widersprochen habe.
Auf Veranlassung der Aufsichtsbehörde forderte das FA gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO durch Steuerbescheid vom 10. Februar 1959 erneut eine Grunderwerbsteuer von 5.180 DM an, da die Voraussetzungen für die Nichterhebung der Steuer nach § 17 Abs. 1 GrEStG wegen Nichterfüllung der Anzeigepflichten gemäß §§ 2, 3 GrEStDV nicht gegeben gewesen seien.
Einspruch und Berufung waren erfolglos. Die Rechtsbeschwerde, mit der erneut Freistellung von der Grunderwerbsteuer beantragt wird, stützt der Stpfl. im wesentlichen auf Verletzung des § 86 AO in der vor Inkrafttreten der FGO geltenden Fassung (AO a. F.), des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO, Verstoß gegen Treu und Glauben bei Anwendung des § 17 Abs. 4 GrEStG und des § 3 Abs. 1 Ziff. 5 GrEStDV.
Entscheidungsgründe
Die ab 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde Rb. führt - wenn auch aus anderen als den geltend gemachten Revisionsgründen (vgl. § 118 Abs. 3 Satz 2 FGO) - zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Steuerbescheides vom 10. Februar 1959 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Die Entscheidung hängt davon ab, ob das FA trotz seiner schriftlichen Mitteilung vom 11. Juni 1955, daß die mit Steuerbescheid vom 21. Mai 1955 festgesetzte Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 1 Ziff. 1 GrEStG nicht erhoben werde, den auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützten "berichtigten Steuerbescheid" vom 10. Februar 1959 erlassen durfte. De Senat verneint diese Frage.
Eine Nichterhebungs- (Erstattungs)verfügung im Sinne des § 17 GrEStG ist kein Freistellungsbescheid der Art, daß eine Steuer auf 0 DM festgesetzt wird, weil etwa eine bestimmte Steuerschuld mangels Vorliegens einer (subjektiven oder objektiven) Steuerpflicht oder wegen Eingreifens einer Befreiungsvorschrift nicht besteht oder zu Unrecht bejaht worden war (vgl. Urteile des BFH II 113/53 U vom 10 Juni 1953, BStBl 1953 III S. 214, Slg. Bd. 57 S. 558; I 131/58 U vom 27. Oktober 1959, BStBl 1961 III S. 286, Slg. Bd. 73 S. 49). Im Falle des § 17 GrEStG ist gerade umgekehrt die ursprüngliche Steuerfestsetzung zu Recht erfolgt (vgl. auch Boruttau-Klein, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl., § 17, Tz. 12) und trotzdem wird die an sich geschuldete Steuer bei Eintritt gewisser Voraussetzungen nicht erhoben (erstattet). Der "berichtigte Steuerbescheid" vom 10. Februar 1959 stellt nach seinem wahren Inhalt - dies ist allein entscheidend (vgl. insoweit z. B. Urteil des BFH VI 105/63 U vom 13. Dezember 1963, BStBl 1964 III S. 167, Slg. Bd. 78 S. 434; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., § 94, Anm. 3 Abs. 8; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, § 210, Tz. 7 Abs. 4) - die änderung (Rücknahme) des Nichterhebungsbescheides vom 11. Juni 1955 dar. Da der letztere Bescheid nicht als Freistellungsbescheid behandelt werden darf, läßt sich seine "Berichtigung" jedenfalls unter dem Gesichtspunkt eines solchen Bescheides gemäß § 222 AO nicht rechtfertigen.
Der Senat ist der Auffassung, daß der Nichterhebungsbescheid bzw. (bei materiell insoweit gleicher Rechtslage: vgl. Boruttau- Klein, a. a. O., § 17, Tz. 3 gegenüber Tz. 170) der Erstattungsbescheid gemäß § 17 GrEStG (im folgenden nur: Nichterhebungsbescheid) eine Anerkennung im Sinne des § 96 AO enthält, die dem Stpfl. die Vergünstigung gewährt, daß die - wie bereits ausgeführt - an sich geschuldete Grunderwerbsteuer aus besonderen Gründen nicht erhoben (erstattet) wird.
Da im vorliegenden Fall nur über die Nichterhebung einer Grunderwerbsteuer gemäß § 17 GrEStG zu entscheiden ist, verbietet sich eine grundsätzliche äußerung zu der weitergreifenden umstrittenen Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen allgemein Erstattungsbescheide über Besitz- und Verkehrsteuern unter § 94 oder (und) § 96 AO fallen (vgl. hierzu Becker-Riewald-Koch, a. a. O., § 94, Anm. 2 Abs. 4, Anm. 3; § 96 Anm. 2 Abs. 2 und 4; von Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 94, Tzn. 3, 4; § 96 Tz. 6 Abs. 5, 6; Mattern-Messmer, Abgabenordnung, Tzn. 483, 515; Tipke-Kruse, a. a. O., § 94, Tz. 1, § 96, Tzn. 1 und 2, alle mit weiteren Nachweisungen; Heyden in Steuer und Wirtschaft 1957 Sp. 137 ff.). Diese Begrenzung erscheint auch deshalb geboten, weil § 17 GrEStG gegenüber den allgemeinen Erstattungsvorschriften gewisse Besonderheiten aufweist, die bei der Prüfung der änderbarkeit (Rücknehmbarkeit) entsprechend rechtlich zu würdigen sind.
Bemerkenswert, wenn es auch nicht entscheidend ins Gewicht fällt, ist zunächst, daß im allgemeinen von der "Geltendmachung" (§ 150 AO) die Zulässigkeit der Erstattung einer Steuer auch von Amts wegen nicht berührt wird, daß hingegen die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer gemäß § 17 GrEStG ausdrücklich einen Antrag voraussetzt. Denn auch auf die Nichterhebung der Steuer gemäß § 17 GrEStG besteht ein Rechtsanspruch. Der Senat ist gleichwohl der Auffassung, daß auch das Bestehen dieses Rechtsanspruchs auf Gewährung des Steuervorteils jedenfalls die Unterordnung einer Verfügung im Sinne des § 17 GrEStG unter § 96 AO nicht allein maßgeblich ausschließen kann (vgl. auch insoweit Messmer, Steuer und Wirtschaft 1957 Sp. 595 ff., 601).
In den Erstattungsbescheiden herkömmlicher Art wird in der Regel nur (deklaratorisch) festgestellt, daß ein Rechtsanspruch auf Steuererstattung deshalb besteht, weil - wenn auch jeweils aus verschiedenen Gründen - eine Steuer zu Unrecht entrichtet worden ist (vgl. z. B. §§ 151, 152 AO). Mit Rücksicht darauf, daß die in § 223 AO 1919/1931 - später § 235 AO -, jetzt § 229 AO in der Fassung der FGO bezeichneten Verfügungen in § 76 AO 1919/1931 - jetzt § 94 AO - mit Wirkung vom 1. Januar 1931 (Verordnung vom 1. Dezember 1930, Dritter Teil, Kapitel IV, Art 1 Ziff. 22 a in Verbindung mit Kapitel I, § 6, Ziff. 2, RGBl 1930 I S. 517, 531, 554) einbezogen worden sind, wird auch in der neueren Literatur die Auffassung vertreten, daß diese Art der Erstattungsbescheide (§ 235 Nr. 5 AO a. F. = § 229 Nrn. 6 und 7 AO n. F.) deshalb von diesem Zeitpunkt ab nur unter § 94 AO oder nach dem Wortlaut sowohl unter diese Vorschrift als auch unter den seinerzeit nicht geänderten § 96 AO falle (vgl. bereits die Fundstellen zu §§ 94, 96 AO zwei Absätze vorher). Hinsichtlich des Nichterhebungsanspruchs gemäß § 17 GrEStG kann demgegenüber nicht außer Betracht gelassen werden, daß in diesen Fällen die Grunderwerbsteuer - wie bereits ausgeführt - zu Recht festgesetzt worden ist. § 17 GrEStG räumt dem Steuerpflichtigen gleichwohl das Recht ein, entgegen dem Stichtagsgrundsatz des Grunderwerbsteuerrechtes bei nachträglichem Eintritt gewisser neuer Sachverhalte (Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs, Rückerwerb des Grundstücks, Herabsetzung der Gegenleistung) Nichterhebung der Steuer zu beantragen. Nach § 23 GrEStG 1919/1927 - dem Vorgänger des § 17 GrEStG 1940 - war die Steuer "auf Antrag zu erlassen oder zu erstatten". Zu dieser Vorschrift hatte der RFH ausdrücklich entschieden, daß derartige Bescheide nur unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 78 AO 1919/1931 (nun § 96 AO) zurückgenommen und auch nicht auf dem Weg über die Aufsichtsbehörde nach § 212 Abs. 3 AO 1919/1931 (nun § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO) berichtigt werden dürften (Entscheidung des RFH II A 121/30 vom 25. März 1930, Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 440 = Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1931 S. 48; zustimmend Ott, Handbuch des gesamten Grunderwerbsteuerrechts, 4. Aufl., § 23, Anm. 39; Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 78, Anm. 2 S. 238; neuerdings noch von Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 96, Tz. 6 Abs. 5; Hohrmann- Lierow, Grunderwerbsteuer, 2. Auflage, Abschn. 116). Aus der Begründung zum Grunderwerbsteuergesetz 1940 (RStBl 1940 S. 387 ff., 410) ist nicht zu entnehmen, daß durch das Ersetzen des Wortes "erlassen" durch "nicht erhoben" die materielle Rechtslage geändert werden sollte. Auch auf den "Erlaß nach § 23 GrEStG 1919/1927 bestand ein Rechtsanspruch (Ott, a. a. O., § 23, Anm. 3, 4). Nach wie vor ist der innere Grund für den Anspruch aus § 23 GrEStG 1919/1927/§ 17 GrEStG 1940 der, daß das Festhalten an der an sich geschuldeten Steuer eine "unbillige Härte" bedeuten würde (Begründung zum Grunderwerbsteuergesetz 1940, a. a. O., zu § 17 Abs. 1; Ott, a. a. O., § 23 Anm. 3). Folgerichtig bezeichnet die Begründung zum Grunderwerbsteuergesetz 1940 (a. a. O. zu § 17 z. B. in Abs. 4, 5, 6 und 7) den Anspruch aus § 17 GrEStG wiederholt als eine "Vergünstigung".
Wenn es aber nicht ausgeschlossen ist oder doch zweifelhaft erscheint, ob eine Erstattungsverfügung bei reiner Wortauslegung sowohl unter § 94 AO als auch unter § 96 AO fällt, so kommt der Senat jedenfalls für § 17 GrEStG zu dem Ergebnis, daß Verfügungen dieser Art nach Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck dieser Vorschrift - wie dargelegt - dem § 96 AO zuzuordnen sind. Unberührt von der Zulässigkeit der änderung solcher Verfügungen bleibt die positive Regelung der Zulässigkeit der Rechtsbehelfe nach § 235 Nr. 5 AO a. F. / § 229 Nrn. 6 und 7 AO n. F.
Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfügung nach § 96 AO zurückgenommen werden kann, liegen im Streitfall eindeutig nicht vor. Insbesondere war die Nicht- bzw. nichtordnungsgemäße Erfüllung der Anzeigepflichten nach §§ 2, 3 GrEStDV, die gemäß § 17 Abs. 4 GrEStG zum Entzug der Vergünstigung des § 17 GrEStG führte, dem FA bereits vor Erlaß der Nichterhebungsverfügung vom 11. Juni 1955 bekannt. Unter diesen Umständen waren, da die Sache spruchreif ist, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und der "berichtigte Steuerbescheid" des FA vom 10. Februar 1959 aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 412114 |
BStBl III 1966, 491 |
BFHE 1966, 308 |
BFHE 86, 308 |