Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerhaftung des GmbH-Geschäftsführers
Leitsatz (amtlich)
Der Geschäftsführer einer GmbH haftet für die nicht an das FA abgeführte Lohnsteuer auch dann, wenn nach dem Fälligkeitszeitpunkt, aber innerhalb der Fünftagesfrist gemäß § 240 Abs.3 AO 1977 unerwartet die Zahlungsunfähigkeit der GmbH eintritt, so daß ihm die beabsichtigte Steuerentrichtung innerhalb dieser Schonfrist nicht mehr möglich ist.
Orientierungssatz
NV: Die Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung kann nicht mehr wirksam werden, wenn sie den erkennenden Senat erst nach Abschluß der mündlichen Verhandlung erreicht (vgl. BFH-Urteil vom 24.1.1989 VIII R 91/83).
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 240 Abs. 3; EStG § 41a Abs. 1; FGO § 90 Abs. 3
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) hat den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH wegen nicht abgeführter Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer für den Monat Juli 1982 als Haftungsschuldner gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch genommen. Die Juli-Löhne sind von der GmbH am 3.August 1982 ausgezahlt worden. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine bis zum 30.September 1982 geltende Kreditzusage der Geschäftsbank der GmbH in Höhe von 200 000 DM, die nur in Höhe von 140 000 DM ausgeschöpft war. Nachdem die GmbH am 12.August 1982 den Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens gestellt hatte, kündigte die Bank die Kreditzusage.
Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid führte zu einer Herabsetzung der Haftungssumme auf 4 669,72 DM. Das FA führte aus, der Kläger habe die Verpflichtung zur Abführung der Lohn- und Kirchenlohnsteuer schuldhaft i.S. von § 69 der AO 1977 verletzt. Eine plötzliche Zahlungsunfähigkeit habe sein Verschulden allenfalls dann einschränken oder ausschließen können, wenn sie in der Zeit zwischen der Auszahlung der Löhne und der Fälligkeit der Lohnsteuer eingetreten wäre. Im Streitfall sei aber die Kreditzusage der Bank erst nach dem Fälligkeitszeitpunkt gekündigt worden. Das haftungsbegründende Verschulden des Klägers müsse deshalb darin gesehen werden, daß er trotz der zum Fälligkeitszeitpunkt bestehenden Zahlungsmöglichkeit die Lohnsteuer nicht abgeführt habe.
Auf die Klage des Klägers hob das Finanzgericht (FG) den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit folgender Begründung auf:
In der Praxis habe sich aus der Regelung in § 240 Abs.3 AO 1977, wonach Säumniszuschläge bei einer Säumnis bis zu fünf Tagen nicht erhoben werden, die auch von der Steuerverwaltung nicht beanstandete Übung ergeben, die Lohnsteuer vielfach erst bis zum 15.Tag nach Ablauf des Lohnsteueranmeldungszeitraums anzumelden und abzuführen. Führe der Geschäftsführer einer GmbH demzufolge die Lohnsteuer für einen bestimmten Monat regelmäßig erst am 15.Tag des Folgemonats ab, so ziehe dies weder für die GmbH noch für ihn nachteilige Folgen nach sich, obwohl die Fälligkeit für die Abführung der Lohnsteuer gemäß § 41a Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bereits am 10.Tag des Folgemonats eingetreten gewesen sei. Unter diesen Umständen sei es nicht als grob fahrlässig anzusehen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH mit der Abführung der Lohnsteuer stets bis zum 15.Tag des Folgemonats zuwarte. Da der Kläger im Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne (3.August 1982) davon habe ausgehen können, daß die rechtzeitige Abführung der Lohnsteuer nicht in Frage gestellt war, könne ihm demzufolge nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß durch die Rücknahme der Kreditzusage, die durch die Anmeldung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens am 12.August 1982 hervorgerufen worden sei, die Zahlung der fälligen Lohnsteuern zum 15.August 1982 unmöglich gemacht wurde.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FA hat den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner für die rückständige Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer der GmbH für den Monat Juli 1982 in Anspruch genommen.
1. Die von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer für diesen Monat einzubehaltende Lohnsteuer war von der GmbH als Arbeitgeberin spätestens am 10.Tag nach Ablauf des Lohnsteueranmeldungszeitraums ―hier bis zum 10.August 1982― dem FA anzumelden und an dieses abzuführen (§ 41a Abs.1 EStG). Die steuerliche Verpflichtung der GmbH zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer hatte innerhalb der Gesellschaft der Kläger als deren Geschäftsführer zu erfüllen (§§ 34 Abs.1 AO 1977 i.V.m. 35 Abs.1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ―GmbHG―). Er hatte insbesondere dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete (§ 34 Abs.1 Satz 2 AO 1977). Nach § 69 Satz 1 AO 1977 haftet der GmbH-Geschäftsführer, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftungsvorschrift umfaßt demnach als selbständige Tatbestandsmöglichkeiten die Nichtfestsetzung, die nicht rechtzeitige Festsetzung, die Nichterfüllung und die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steueransprüche (ab 1.Januar 1987 ―Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19.Dezember 1985, BGBl I, 2436― auch die Zahlung von Steuervergütungen und Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund).
2. Wie die Revision zu Recht ausführt, hat der Kläger ―unabhängig von der Nichtabführung der Steuern― den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 bereits dadurch erfüllt, daß er die Lohnsteueranmeldung Juli 1982 der GmbH, zu deren Abgabe er bis zum 10.August 1982 verpflichtet war (§§ 41a Abs.1 Nr.1 EStG, 34 Abs.1 AO 1977), dem FA nicht fristgerecht eingereicht hat. Aus der vom FG in Bezug genommenen Einspruchsentscheidung des FA (S.6) ergibt sich, daß die Lohnsteueranmeldung für Juli 1982 erst Anfang September 1982 ―lt. Revisionsbegründung: am 5.September 1982― beim FA abgegeben worden ist. In dieser pflichtwidrigen Anmeldung der Lohnsteuer erst nach Ablauf der Steuererklärungsfrist liegt eine nicht rechtzeitige Festsetzung der Steueransprüche i.S. des § 69 Satz 1 AO 1977 (vgl. § 168 Satz 1 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 69 AO 1977 Tz.5).
Der Kläger hat diesen Haftungstatbestand, wie das FA in der Einspruchsentscheidung zutreffend ausgeführt hat, zumindest grob fahrlässig verwirklicht. Gründe, die sein Verschulden hinsichtlich der verspäteten Abgabe der Lohnsteueranmeldung ausschließen oder mildern könnten, sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Auf die Schonfrist des § 240 Abs.3 AO 1977 kann sich der Kläger insoweit schon deshalb nicht berufen, weil er die Lohnsteueranmeldung auch nicht innerhalb der dort geregelten zusätzlichen Fünftagesfrist beim FA eingereicht hat. Die Kündigung der Kreditzusage durch die Bank und die dadurch bewirkte Zahlungsunfähigkeit der GmbH hatten auf die Verpflichtung und die tatsächliche Möglichkeit des Klägers zur rechtzeitigen Abgabe der Lohnsteueranmeldung keinen Einfluß.
3. Entgegen der Auffassung des FG ist der Haftungstatbestand (§§ 34, 69 AO 1977) vom Kläger auch in der Weise verwirklicht worden, daß die einbehaltene Lohnsteuer für Juli 1982 nicht rechtzeitig ―wie in § 41a Abs.1 Nr.2 EStG vorgeschrieben― bis zum 10.August 1982 an das FA entrichtet worden ist. Nach den Feststellungen des FG war der Kläger zum Fälligkeitszeitpunkt in der Lage, die von den Arbeitslöhnen einbehaltenen Steuern an das FA zu zahlen. Denn die Kreditzusage der Geschäftsbank der GmbH über insgesamt 200 000 DM war erst bis zur Höhe von 140 000 DM ausgeschöpft. Erst nachdem die GmbH am 12.August 1982 den Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens gestellt hatte, ist die Kreditzusage der Bank gekündigt worden und damit ―für den Kläger möglicherweise unerwartet― die Zahlungsunfähigkeit der GmbH eingetreten. Dieser Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann aber ―selbst wenn er innerhalb der Schonfrist des § 240 Abs.3 AO 1977 erfolgt sein sollte― für das Verschulden des Klägers nicht berücksichtigt werden, weil zu diesem Zeitpunkt der Haftungstatbestand der nicht rechtzeitigen Erfüllung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis bereits verwirklicht war.
Nach § 240 Abs.3 AO 1977 wird bei einer Säumnis bis zu fünf Tagen ein Säumniszuschlag, der nach Abs.1 dieser Vorschrift grundsätzlich verwirkt ist, wenn festgesetzte oder angemeldete Steuern bei Fälligkeit nicht entrichtet werden, nicht erhoben. Die Vorschrift dient der Vermeidung von Härten und der Verwaltungsvereinfachung (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 240 AO 1977 Anm.13). Sie betrifft lediglich die Säumniszuschläge und ändert nichts an der Verpflichtung des Steuerpflichtigen, Haftungsschuldners oder dessen gesetzlichen Vertreters, die Steuern zu dem gesetzlich festgelegten Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen (vgl. Urteil des Senats vom 15.Mai 1990 VII R 7/88, BStBl II 1990, 1007). Auch wenn unter Ausnutzung der Schonfrist Steuern verspätet an das FA gezahlt werden, bleibt die darin liegende Pflichtverletzung schuldhaft. Der Haftungstatbestand der nicht rechtzeitigen Erfüllung nach § 69 AO 1977 wäre gegeben, wenn es auch in diesem Falle mangels Haftungsschadens nicht zu einer Inanspruchnahme des Haftungsschuldners kommen wird. Aus denselben Gründen bleibt das Verschulden der verantwortlichen Personen erhalten, wenn sie ―wie im Streitfall― die Steuern nicht bis zum Fälligkeitszeitpunkt an das FA abführen und sodann innerhalb der nächsten fünf Tage unerwartet die Zahlungsunfähigkeit eintritt, die die beabsichtigte Zahlung innerhalb der Schonfrist nach § 240 Abs.3 AO 1977 unmöglich macht. Die bewußte Ausnutzung der Schonfrist stellt sogar im Hinblick auf den Haftungstatbestand der nicht rechtzeitigen Erfüllung eine vorsätzliche Pflichtverletzung dar.
Das FG hat demnach die vom FA für den Kläger als Mindestverschuldensform angenommene grobe Fahrlässigkeit zu Unrecht mit der Begründung verneint, daß es einer weit verbreiteten Übung entspreche, wenn der Geschäftsführer einer GmbH mit der Abführung der Lohnsteuer stets bis zum 15.Tag des Folgemonats zuwarte. Mit einer derartigen Handhabung der Zahlungsverpflichtung ―mag sie auch von der Finanzverwaltung unbeanstandet hingenommen werden und im Hinblick auf die Säumniszuschläge ohne nachteilige Folgen bleiben― nimmt der Geschäftsführer bewußt das Risiko auf sich, das FA nicht mehr befriedigen zu können, wenn nach dem Fälligkeitszeitpunkt die GmbH zahlungsunfähig wird und die beabsichtigte Abführung der Lohnsteuer deshalb nicht mehr möglich ist. Der Grad des Verschuldens richtet sich nach dem Verhalten des Geschäftsführers im Fälligkeitszeitpunkt, zu dem ihm im Streitfall die Zahlung möglich war. Er wird nicht dadurch gemindert, daß zu einem späteren Zeitpunkt ―wenn auch unerwartet― die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Es ist deshalb gerechtfertigt, den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen.
++/ 4. Der Senat hat durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, weil der Kläger nach Ergehen des Vorbescheids vom 24. April 1990 mündliche Verhandlung beantragt hat (§§ 121, 90 Abs. 3 FGO). Die spätere Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung ist nicht wirksam geworden, weil sie den Senat erst nach Abschluß der mündlichen Verhandlung erreicht hat (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. Januar 1989 VIII R 91/83, BFHE 156, 121, BStBl II 1989, 416). /++
Fundstellen
Haufe-Index 63083 |
BFH/NV 1991, 21 |
BStBl II 1991, 282 |
BFHE 163, 119 |
BFHE 1991, 119 |
BB 1991, 1034 |
BB 1991, 1034-1035 (LT) |
DStR 1991, 1314 (KT) |
HFR 1991, 257 (LT) |
StE 1991, 97 (K) |