Leitsatz (amtlich)
Die Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959, nach der sich diese Vorschrift nicht nur auf die dort bezeichneten Ansprüche im rechtstechnischen Sinne, sondern auch auf die aus diesen Ansprüchen geflossenen Entschädigungszahlungen bezieht, soweit diese noch als Geld oder Geldguthaben im Nachlaß vorhanden sind (Urteil II 41/60 U vom 4. März 1964, BFH 79, 37, BStBl III 1964, 246), wird aufrechterhalten.
Normenkette
ErbStG 1959 § 18 Abs. 1 Nr. 10
Tatbestand
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres Bruders. Der Nachlaß des Erblassers bestand im wesentlichen aus Wertpapieren, Bank- und Sparguthaben. Die Klägerin hatte gleichzeitig mit ihrer Steuererklärung darauf hingewiesen, daß der Wert des reinen Nachlasses nicht in voller Höhe der Besteuerung zugrunde gelegt werden dürfe, da gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 die als Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) an den Erblasser gezahlten Beträge steuerfrei bleiben müßten. Das FA - Beklagter - folgte bei der Ermittlung des Nachlaßwertes im wesentlichen den Angaben der Klägerin. Einen Abzug für die an den Erblasser geleisteten Entschädigungszahlungen nach dem BEG ließ es jedoch nicht zu. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG hat auf die Berufung der Klägerin die festgesetzte Erbschaftsteuer ermäßigt. Es hat unter Hinweis auf das Urteil des BFH II 41/60 U vom 4. März 1964 (BFH 79, 37, BStBl III 1964, 246) einen Abzug der an den Erblasser geleisteten Entschädigungszahlungen nach § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG insoweit zugelassen, als diese am Todestag noch in der Form von Bank- und Sparguthaben vorhanden waren. Soweit die vom Erblasser empfangenen Zahlungen bereits zur Anschaffung von Wertpapieren verwendet worden waren, hat es den Abzug versagt.
Mit der Revision rügt der Beklagte fehlerhafte Anwendung des geltenden Rechts. Er ist der Ansicht, die Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG, die der BFH dieser Vorschrift in dem Urteil II 41/60 U (a. a. O.) gegeben habe, entspreche nicht dem Gesetz. Sie verstoße gegen den klaren Wortlaut der Vorschrift.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
Der BFH, auf dessen Auslegung des Begriffs "Ansprüche auf Entschädigungsleistungen" sich das FG stützt, hat in dem genannten Urteil II 41/60 U nicht verkannt, daß ausbezahlte Entschädigungen keine "Ansprüche im rechtstechnischen Sinne" mehr darstellen; er hat aber die Auffassung vertreten, daß der im § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG verwendete Begriff der "Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG" sich nicht auf Ansprüche im rechtstechnischen Sinne beschränkt, sondern daß darunter neben den Ansprüchen im eigentlichen Sinne auch die aus solchen Ansprüchen geflossenen Entschädigungszahlungen mitverstanden werden müssen. An dieser auch vom Schrifttum (vgl. Friedlaender, Steuer und Wirtschaft 1964 Sp. 743-746; Kapp, Das Erbschaftsteuergesetz, Bemerkung 9b zu § 18; Troll, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, Nachtrag 1966, Ergänzungen zu Anm. 15/16 zu § 18) gebilligten Auffassung wird festgehalten.
Die gegenteilige buchstabengetreue Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG wird dem Sinn der Vorschrift nicht gerecht. Der Senat ist bei seiner Auslegung davon ausgegangen, daß das BEG als Maßnahme der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts die Aufgabe hat, auf seinem Gebiet die Rechtsstaatlichkeit zu bewähren. Die Revision wendet sich gegen die Übertragung des Wiedergutmachungsgedankens, der dem BEG innewohnt, auf die Erbschaftsteuergesetzgebung, indem sie insbesondere darauf hinweist, daß eine weitergehende Hilfe für die Geschädigten nicht Aufgabe des Erbschaftsteuergesetzgebers gewesen sei. Ob diese Auffassung - gemessen an der Einheit der gesamten Rechtsordnung - im Grundsätzlichen richtig wäre, kann dahingestellt bleiben. Denn sie übersieht jedenfalls, daß der Steuergesetzgeber selbst dem Grundgedanken der Wiedergutmachung auch im Rahmen des ErbStG bewußt Rechnung getragen und deshalb die Befreiungsvorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG geschaffen hat.
Diese besondere Steuerbefreiung der Wiedergutmachungsansprüche für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist nur unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, daß die Wirkung der Wiedergutmachung nicht durch Besteuerungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Erbschaftsteuer beeinträchtigt werden solle, und daß deshalb vermögensrechtliche Ansprüche, die als solche der Erbschaftsteuer unterliegen würden, von der Erbschaftsteuer freigestellt werden sollen, soweit sie auf dem BEG beruhen. Der Erbschaftsteuergesetzgeber hat es offenbar nicht für angebracht gehalten, daß die aus dem BEG erwachsenden, ohnehin nicht immer ausreichenden Wiedergutmachungsansprüche der Opfer des Nationalsozialismus durch Besteuerungsmaßnahmen teilweise wieder aufgehoben werden, so daß das vom Gesetzgeber mit der einen Hand Gegebene durch die andere Hand wieder weggenommen würde (vgl. Friedlaender, Steuer und Wirtschaft 1964, Sp. 745-746). Dazu mag auch die Erwägung beigetragen haben, daß es besonders unbillig wäre, Entschädigungsansprüche, auf deren Erfüllung die Opfer des Nationalsozialismus Jahre haben warten müssen, mit einer in die Substanz eingreifenden Steuer, wie sie die Erbschaftsteuer darstellt, zu belegen. Unter solchen Umständen kann es keinen Unterschied machen, ob sich im Nachlaß die noch unerfüllten Ansprüche des Entschädigungsberechtigten selbst oder die hierauf - vielleicht erst kurz vor dem Erbfall - geleisteten Entschädigungszahlungen befinden, solange diese noch nicht in anderen Werten angelegt worden sind. Demgegenüber versagt der Hinweis des Revisionsklägers, daß die fragliche Steuerbefreiung nicht dem Geschädigten, sondern seinen möglicherweise mit ihm nicht verwandten und zu dem Entschädigungstatbestand vielleicht in keiner Beziehung stehenden Erben zugute kommt. Denn diese Erwägung würde sich ganz allgemein gegen jede Steuerbefreiung der Erben von Wiedergutmachungsansprüchen richten; sie ist daher mit § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG ersichtlich unvereinbar (vgl. § 13 Abs. 1 BEG).
Die von der Revision nahegelegte enge Wortinterpretation des Begriffes "Ansprüche auf Entschädigung nach dem BEG", die zu dem von der Revision gewünschten Ergebnis führen soll, kann deshalb bei der Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG nicht Platz greifen. Daß eine derartige ausschließlich am Wortlaut haftende Auslegung nicht unter allen Umständen zum richtigen Ergebnis führt und unter Umständen durch eine mehr dem Zweck des Gesetzes entsprechende Auslegung ersetzt werden muß, hat die Rechtsprechung bereits früher ausgesprochen (vgl. Urteile des BFH IV 39/51 U vom 13. März 1952, BFH 56, 305, BStBl III 1952, 120; I 285/56 U vom 7. Mai 1957, BFH 65, 82, BStBl III 1957, 264; auch IV 26/62 S vom 21. Februar 1964, BFH 78, 490, BStBl III 1964, 188). Bei aller insoweit gebotenen Vorsicht ist deshalb bei der Auslegung und Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG einer Sinn und Zweck der Befreiung berücksichtigenden Auslegung der Vorzug zu geben.
Fundstellen
Haufe-Index 68036 |
BStBl II 1968, 495 |
BFHE 1968, 234 |