Entscheidungsstichwort (Thema)
(Lohnsteuerhaftung für Vergütungen an ehemalige LPG-Mitglieder durch Nachfolge-GmbH)
Leitsatz (amtlich)
Wurde im 2. Halbjahr 1990 auf dem Betätigungsgebiet einer Gemeinschaftseinrichtung von LPG die Vorgesellschaft einer später eingetragenen GmbH tätig, so unterlagen von ihr gezahlte Löhne an ehemalige Delegierte der LPG auch dann dem Lohnsteuerabzug, wenn vergleichbare Tätigkeitsvergütungen der Gemeinschaftseinrichtung nach dem Recht der ehemaligen DDR steuerbefreit gewesen wären.
Orientierungssatz
Parallelentscheidung: BFH, 12.5.1995, VI R 96/94, NV.
Normenkette
EStG §§ 42d, 59 Abs. 3; EStG DDR § 2 Abs. 3 Nr. 1; AEBestV DDR § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist auf dem Gebiet der ehemaligen Gemeinschaftseinrichtung G tätig. Trägerbetriebe der G waren verschiedene landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG). Diese beschlossen in der Bevollmächtigtenversammlung vom 16. Juli 1990, die Gemeinschaftseinrichtung G in zwei GmbH umzuwandeln. Daraufhin wurden für die Klägerin und eine Schwester-GmbH am 23. Juli 1990 ein Gesellschaftsvertrag notariell beurkundet und beide GmbH am 28. Mai 1991 im Handelsregister eingetragen. Bei der Klägerin waren im 2. Halbjahr 1990 ausschließlich Delegierte der Trägerbetriebe der G beschäftigt. Lohnsteuer wurde insoweit nicht einbehalten und abgeführt.
Im Anschluß an eine Lohnsteueraußenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) am 25. Januar 1993 den hier streitigen Haftungsbescheid für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 1990, der mit Haftungs- bzw. Pauschalierungsbescheiden für 1991 und 1993 verbunden war und in welchen auf den Prüfungsbericht vom 5. August 1992 und ein ergänzendes Schreiben des FA vom 25. Januar 1993 Bezug genommen wird.
Das FA wies den Einspruch mit Entscheidung vom 24. August 1993 zurück. Die Klägerin sei als Kapitalgesellschaft bereits im Gründungsstadium Arbeitgeberin gewesen. Es hätten seit 1. Juli 1990 Dienstverhältnisse bestanden. Auf diesen Zeitpunkt seien die Gewerbeanmeldung, die steuerliche Erfassung für den Beginn der Tätigkeit sowie die Eröffnungsbilanz datiert. Ausweislich Nr. 2 b der notariellen Urkunde vom 23. Juli 1990 (Urkundenrolle Nr. 10/1990) sei vereinbart gewesen, daß ab 1. Juli 1990 getätigte Geschäfte als für Rechnung der neu gegründeten GmbH abgeschlossen gälten. Im steuerlichen Erfassungsbogen seien von der Klägerin Lohnsteuerpflicht und Anzahl der Arbeitnehmer ausgewiesen und es seien nach der Eröffnungsbilanz ohne jegliche Einschränkung Löhne und Gehälter gezahlt worden. Danach seien die Beschäftigten ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung als Delegierte von LPG Arbeitnehmer der Klägerin gewesen. Für diese hafte die Klägerin.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, es habe 1990 keine Lohnsteuerpflicht bestanden, was ihrem Geschäftsführer K vom Landwirtschaftsamt auch bestätigt worden sei. Hierfür werde K als Zeuge benannt. Vor dem 1. Januar 1991 hätten Mitglieder der LPG mit ihren hieraus erzielten Einkünften nicht der Einkommensteuer unterlegen. Die Rückbeziehung der Existenz der GmbH zum 1. Juli 1990 könne mangels diesbezüglicher Vorschriften nicht auf das Lohnsteuerrecht übertragen werden. Die Umwandlung der Trägerbetriebe --der LPG-- in eine andere Rechtsform sei erst 1991 erfolgt. Dementsprechend seien davor die bei ihr, der Klägerin, beschäftigten Delegierten der LPG deren Mitglieder gewesen. Die vom FA herangezogene Haftungsnorm habe 1990 noch nicht gegolten. Es sei auch nicht dargelegt und begründet worden, warum der Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen gewesen sei. Gerade wegen der besonderen Situation des Jahres 1990 sei eine Inhaftungsnahme des Arbeitgebers unbillig gewesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 1097 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen des FG tragen nicht seine Folgerungen, daß keine dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte vorgelegen hätten.
1. Nach Art. 8 des Einigungsvertrages (EinigVtr) i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 1 trat das Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern im Beitrittsgebiet erst am 1. Januar 1991 in Kraft. Für Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 dieser Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Das danach im Streitfall maßgebende Steuerrecht der DDR ist als partielles (partikuläres) Bundesrecht revisibles Recht i.S. des § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unabhängig davon, ob der Besteuerungstatbestand vor oder nach dem Beitritt erfüllt worden ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813 m.w.N.).
Gemäß § 19 Abs. 1 der Verordnung über die Besteuerung des Arbeitseinkommens (AStVO) vom 22. Dezember 1952 i.d.F. des Steueranpassungsgesetzes vom 22. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR --GBl DDR-- Sonderdruck Nr. 1427) unterlagen Steuern von Lohneinkünften dem Steuerabzug. Für die ordnungsgemäße Einbehaltung und Abführung der Steuerbeträge haftete der Lohnschuldner gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 AStVO bzw. für Lohnsteuer, die nach der Herstellung der Einheit Deutschlands aufgrund des weiter anzuwendenden Rechts der ehemaligen DDR einzubehalten und abzuführen ist, gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (§ 59 Abs. 3 EStG eingefügt durch Art. 8 EinigVtr i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 16 k).
2. Das FG geht davon aus, daß die streitigen Einkünfte in einer Art Leiharbeitsverhältnis erzielt worden seien und nach allgemeinen Abgrenzungsmerkmalen als Arbeitseinkommen zu gelten gehabt hätten, jedoch nach Fußnote 3 zu § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes DDR (EStG DDR) vom 18. September 1970 (GBl DDR Sonderdruck Nr. 670) steuerfrei gewesen seien und deshalb auch nicht dem Steuerabzug nach §§ 19 ff. AStVO unterlegen hätten. Die Annahme, daß die betreffenden Personen im 2. Halbjahr 1990 nicht bei der Klägerin, sondern der G beschäftigt gewesen seien, wäre nur zutreffend, wenn die bei den Akten befindliche notarielle Vereinbarung vom 23. Juli 1990, auf welche sich das FA in allen Verfahrensabschnitten unwidersprochen berufen hat, nicht vollzogen worden wäre, insbesondere, wenn von der Klägerin nicht --wie das FA ebenfalls unwidersprochen vorgetragen hat-- im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Löhne gezahlt worden wären. Andernfalls ist von der Klägerin als Arbeitgeberin auszugehen. Hierzu wird das FG Feststellungen nachzuholen haben. Hat die Klägerin für bei ihr beschäftigte Personen Löhne gezahlt, ist für die Annahme eines Dienstverhältnisses nicht zusätzlich erforderlich, daß schriftliche Arbeitsverträge abgeschlossen worden sind.
3. Sofern die Klägerin als Arbeitgeberin Löhne gezahlt hat, waren diese nicht deswegen nach einer Fußnote zu § 2 Abs. 3 Nr. 1 EStG DDR steuerfrei, weil auf dem wirtschaftlichen Betätigungsgebiet der Klägerin zuvor eine Gemeinschaftseinrichtung tätig war und die Arbeitnehmer der Klägerin vergleichbare Arbeiten in der Gemeinschaftseinrichtung als Delegierte von LPG verrichtet hatten. Der Senat braucht nicht dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang im einzelnen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft i.S. von § 2 Abs. 3 Nr. 1 EStG DDR steuerbefreit waren. Denn jedenfalls bezog sich die Steuerbefreiung --was die hier ausschließlich interessierenden Tätigkeitsvergütungen betrifft-- lediglich darauf, daß die betreffenden Personen für eine LPG bzw. eine Gemeinschaftseinrichtung tätig waren und nicht etwa für eine GmbH bzw. deren Vorgesellschaft. Denn die Steuerbefreiung diente erkennbar dazu, die "gemeinsame sozialistische Produktion" (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften --LPG-Gesetz-- vom 2. Juli 1982, GBl DDR I 1982, 443) als Produktionsform zu fördern.
4. Das FG hatte aus seiner Sicht keine Veranlassung zu prüfen, ob die Inanspruchnahme der Klägerin ermessensgerecht war, und ob das FA ausreichende Ermessenserwägungen angestellt hatte. Dies wird das Gericht nunmehr ggf. nachzuholen haben. Dabei kann sich möglicherweise als bedeutsam erweisen, wie sich andere Nachfolgeorganisationen von LPG im 2. Halbjahr 1990 hinsichtlich des Lohnsteuerabzugs verhalten haben. Das FG wird auch dem Einwand nachzugehen haben, ob die Klägerin aufgrund Äußerungen einschlägiger Stellen oder sonstiger beachtenswerter Umstände annehmen durfte, daß von ihr gezahlte Löhne nicht dem Lohnsteuerabzug unterlägen. Sollte letzteres nicht der Fall sein, wird das FG der Frage nachzugehen haben, ob die anstelle von Kurzarbeitergeld gewährten Zahlungen zutreffend ermittelt worden sind, insbesondere mit welcher Berechtigung ggf. andere als die Zuflußbeträge der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind.
Fundstellen
Haufe-Index 65407 |
BStBl II 1995, 579 |
BFHE 177, 475 |
BB 1995, 1682 (L) |
DB 1995, 1792 (L) |
DStR 1995, 1222 (KT) |
DStZ 1995, 663 (L) |
HFR 1995, 588-589 (LT) |
StE 1995, 511 (K) |