Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör; Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist bei Aussetzungszinsen; Verhältnis ursprünglicher und geänderter Steuerbescheid
Leitsatz (NV)
1. Rechtliches Gehör wird dadurch gewährt, dass die Beteiligten Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt und den Rechtsfragen zu äußern, die einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vortrag in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat.
2. Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt bei Aussetzungszinsen mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Rechtsbehelf gegen den Steuerbescheid endgültig erfolglos geblieben ist, hinsichtlich dessen die Vollziehung tatsächlich ausgesetzt war.
3. Die Zinsschuld ist in ihrer Entstehung nur von der Hauptschuld abhängig (akzessorisch). Besteht der Hauptanspruch nicht, entsteht auch kein Zinsanspruch. Eine darüber hinausgehende Abhängigkeit zwischen der Steuerfestsetzung und der Zinsfestsetzung besteht nicht.
Normenkette
AO §§ 237, 239; FGO §§ 68, 96 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom 9. September 1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 8. August 1990 die Einkommensteuer 1980 auf 7 440 379 DM fest. Noch während des Einspruchsverfahrens hatte das FA mit Bescheid vom 23. Januar 1989 die begehrte Aussetzung der Vollziehung (AdV) von 3 134 408 DM (1 602 597,40 €) gewährt. Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung erhoben die Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 16. August 1990 eine Klage, die beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. V 155/90 geführt wurde. Während des Klageverfahrens gewährte das FA mit Verfügung vom 5. September 1990 erneut die beantragte AdV über den Betrag von 3 172 403 DM (1 622 023,90 €).
Mit Änderungsbescheid vom 10. September 1992 erhöhte das FA die Einkommensteuerfestsetzung 1980 auf 8 261 294 DM. Nach erfolglosem Einspruch erhoben die Kläger am 10. September 1998 auch insoweit eine Klage, die unter dem Az. V 317/98 anhängig war. Im Hinblick auf dieses Klageverfahren setzte das FG im Juni 1993 das unter dem Az. V 155/90 geführte Verfahren in entsprechender Anwendung von § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus. Mit Urteil vom 26. Juni 2001 wies das FG im Verfahren V 317/98 die Klage ab. Die von den Klägern hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 18. März 2002 I B 89/01 (nicht veröffentlicht --n.v.--) als unbegründet zurück. Mit Verfügung vom 24. Juli 2001 beendete das FA die insoweit gewährte AdV über 820 915 DM. Die Verfassungsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des BFH über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 14. Februar 2005 2 BvR 1089/02 nicht zur Entscheidung an.
Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2005 nahmen die Kläger die unter dem Az. V 155/90 noch anhängige Klage zurück.
Das FA setzte mit Bescheid vom 29. Juni 2005 gegenüber den Klägern Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 1 611 653 € fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, die Frage, wie nach Ergehen eines Änderungsbescheides Aussetzungszinsen zu berechnen seien, sei entgegen der Auffassung des FG bereits durch das Urteil des BFH vom 25. März 1992 I R 159/90 (BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997) entschieden worden. Hiernach ergebe sich bei Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens durch den Erlass eines Änderungsbescheides aus dem bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheid, inwieweit der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg gehabt habe.
Bei Übertragung dieses Rechtsgedankens auf den Streitfall sei der geltend gemachte Zinsanspruch im Zeitpunkt seiner Festsetzung bereits durch Verjährung erloschen gewesen (§ 47 der Abgabenordnung --AO--). Denn maßgeblich für den Beginn der einjährigen Festsetzungsfrist nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO sei die Bestandskraft des geänderten Einkommensteuerbescheides 1980 vom 10. September 1992 als Folge des BFH-Beschlusses vom 18. März 2002 zum Az. I B 89/01. Nur die in dem geänderten Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommensteuer sei der "geschuldete Betrag" i.S. von § 237 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Frist habe somit mit Ablauf des Jahres 2002 begonnen und sei Ende des Jahres 2003 abgelaufen. Der Zinsanspruch sei aber erst mit Bescheid vom 29. Juni 2005 --und damit lange nach Ablauf der Festsetzungsfrist-- geltend gemacht worden.
Das FA hätte vielmehr die Aussetzungsverfügung als Folge der rechtskräftigen Steuerfestsetzung bereits im Jahr 2002 zurücknehmen (§ 130 AO) oder widerrufen (§ 131 AO) müssen und anschließend binnen eines Jahres Aussetzungszinsen festsetzen können.
Da das FG in seinem Urteil im Übrigen auf den Rechtsvortrag der Kläger zum BFH-Urteil in BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997 an keiner Stelle eingegangen sei, sei anzunehmen, dass es diesen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen habe. Die damit verbundene Nichtgewährung rechtlichen Gehörs führe zur Divergenz des FG-Urteils.
Schließlich seien auch die in dem BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91 (BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4) genannten Voraussetzungen einer Zinspflicht nicht erfüllt. Hinsichtlich des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1980 sei das anhängige Verfahren nämlich nicht mehr auf die Überprüfung eines angefochtenen Verwaltungsaktes gerichtet gewesen; denn der ursprüngliche Verwaltungsakt sei als Folge des Änderungsbescheides suspendiert gewesen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).
Die Kläger beantragen, das FG-Urteil sowie den Bescheid vom 29. Juni 2005 über die Festsetzung von Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2006 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es weist u.a. darauf hin, dass die Frage, ob im Jahr 2002 ein Widerruf oder eine Rücknahme der AdV möglich oder veranlasst gewesen wäre, nicht entscheidungserheblich sei, da auch eine evtl. fehlerhafte, aber wirksame AdV verbindlich Umfang und Dauer der Aussetzung bestimme (BFH-Urteil in BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Das FG hat verfahrensfehlerfrei und in der Sache zutreffend entschieden, dass die Festsetzung der Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980 durch das FA nicht zu beanstanden ist.
1. Die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs greift nicht durch.
a) Rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (§ 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juli 2007 XI B 184/06, BFH/NV 2007, 1880, m.w.N.).
b) Das FG hat das rechtliche Gehör der Kläger nicht verletzt. Die Kläger haben selbst vorgetragen, dass sie Gelegenheit hatten, sich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen zu äußern. Dies genügt bereits den genannten Anforderungen zur Wahrung rechtlichen Gehörs. Soweit die Kläger beanstanden, das FG habe offenbar ihre ausdrücklichen Hinweise auf das BFH-Urteil in BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997 nicht zur Kenntnis genommen, weil in den Entscheidungsgründen des FG-Urteils keinerlei Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen stattgefunden habe, liegt darin keine Gehörsverletzung. Denn das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vortrag in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).
2. Auch die materiell-rechtlichen Einwendungen der Kläger gegen die Festsetzung der Aussetzungszinsen sind nicht begründet.
a) Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat.
Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift besteht darin, den durch die AdV erlangten Zinsvorteil abzuschöpfen, der dem Steuerpflichtigen nach materiellem Recht nicht zusteht und der durch die Aussetzungszinsen ausgeglichen werden soll (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1998 XI R 24/98, BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201, m.w.N.).
b) Im Streitfall hat das FG zutreffend angenommen, dass die genannten gesetzlichen Voraussetzungen für die Festsetzung der Aussetzungszinsen erfüllt sind.
Das FA hatte zuletzt mit Verfügung vom 5. September 1990 die begehrte AdV über den geschuldeten Betrag von 3 172 403 DM (1 622 023,90 €) gewährt. Angefochtener Verwaltungsakt war insoweit der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1980 vom 9. September 1988. Mit der Rücknahme der beim FG erhobenen Anfechtungsklage zum Az. V 155/90 hatte das gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 vom 9. September 1988 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. August 1990 eingelegte Rechtsmittel endgültig keinen Erfolg.
Dementsprechend sind auch die vom BFH in seinem Urteil in BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4 genannten Voraussetzungen erfüllt.
c) Entgegen der Auffassung der Kläger war hinsichtlich der Festsetzung der Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1980 auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
aa) Nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist ein Jahr. Sie beginnt in den Fällen des § 237 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO).
bb) Im Streitfall wurde die Klage am 9. Mai 2005 zurückgenommen; somit begann die einjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2005 zu laufen (vgl. Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung § 239 Rz 12). Sie war daher zum Zeitpunkt der Festsetzung der Aussetzungszinsen mit Bescheid vom 29. Juni 2005 noch nicht abgelaufen.
d) Dieser Beurteilung der Rechtslage steht auch nicht der von den Klägern für entscheidend gehaltene Umstand entgegen, dass der Einkommensteuerbescheid 1980 während des unter dem Az. V 155/90 geführten Klageverfahrens am 10. September 1992 geändert worden ist.
Nach der damaligen Gesetzesfassung des § 68 FGO war es den Klägern insoweit abweichend von der gegenwärtig geltenden Rechtslage möglich, hinsichtlich des geänderten Einkommensteuerbescheides für 1980 ein weiteres Klageverfahren (hier unter dem Az. V 317/98) zu führen. Danach konnte ein während des Klageverfahrens geänderter Bescheid auf Antrag zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden. Der Steuerpflichtige war aber daneben auch berechtigt, ein eigenständiges Einspruchs- und Klageverfahren gegen den geänderten Bescheid anzustrengen. Für diesen Fall musste das FG das den ursprünglichen Bescheid betreffende Klageverfahren in entsprechender Anwendung des § 74 FGO bis zur Beendigung des hinsichtlich des Änderungsbescheides geführten Verfahrens aussetzen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Dies ist im Streitfall geschehen.
aa) Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger hat dies aber nicht zur Folge, dass für den Beginn der Festsetzungsverjährungsfrist hinsichtlich der Aussetzungszinsen nunmehr auf die Erfolglosigkeit des den Änderungsbescheid für 1980 betreffenden Klageverfahrens abzustellen wäre.
Die einschlägigen Gesetzesbestimmungen der §§ 237, 239 AO enthalten keinen entsprechenden ausdrücklichen Hinweis. Auch der von den Klägern angeführte Sinn und Zweck der Regelung des § 68 FGO und die in diesem Zusammenhang von ihnen zitierte Rechtsprechung des BFH gebieten keine abweichende Auslegung der genannten Bestimmungen.
Das FG hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zinsfestsetzung als Teil des steuerlichen Erhebungsverfahrens nicht den Grundsätzen folgt, die für das steuerliche Festsetzungsverfahren gelten. Denn Zinsen sind steuerliche Nebenleistungen i.S. von § 3 Abs. 4 AO im Hinblick auf die i.S. von § 37 AO entstandene Steuerschuld, für die ausschließlich die in §§ 233 ff. AO genannten besonderen Bestimmungen gelten (z.B. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 237 AO Rz 7, m.w.N.). Die Zinsschuld ist in ihrer Entstehung nur von der Hauptschuld abhängig (akzessorisch). Besteht der Hauptanspruch nicht, entsteht auch kein Zinsanspruch (vgl. Pahlke/Koenig/Koenig, a.a.O., § 233 Rz 5). Eine darüber hinausgehende Abhängigkeit zwischen der Steuerfestsetzung und der Zinsfestsetzung besteht nicht (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1990 I R 165/86, BFH/NV 1991, 212).
Im Streitfall ist indes zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die sich aufgrund des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides für 1980 ergebende Steuerschuld dem Grunde und der Höhe nach bestand. Diese Steuerschuld setzte sich mit der Aufnahme des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides für 1980 in dem geänderten Einkommensteuerbescheid für 1980 fort, mit dem sich die Steuerschuld der Kläger noch erhöht hatte. Dies genügt den genannten Anforderungen an die Akzessorietät zwischen der Zinsschuld und der Hauptschuld.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Ergehen des geänderten Einkommensteuerbescheides für 1980 die Vollziehung nur noch auf der Grundlage des Änderungsbescheides erfolgen konnte (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 137 a.E., m.w.N.). Denn maßgeblich für die Entstehung des Zinsanspruchs i.S. von § 237 Abs. 1 AO ist nicht die Vollziehbarkeit des entsprechenden Bescheides, sondern die Tatsache, dass hinsichtlich des geschuldeten Steuerbetrages AdV gewährt war (sog. Tatbestandswirkung der AdV; vgl. hierzu Heuermann in HHSp, § 237 AO Rz 22, m.w.N., und FG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Juli 2006 3 V 192/06, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1719). Das FA hatte die AdV bis zur Beendigung des Klageverfahrens V 155/90 betreffend den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1980 befristet. Nachdem dieses Verfahren nach § 74 FGO ausgesetzt war, lief die AdV hinsichtlich des ursprünglich und weiterhin geschuldeten Steuerbetrages bis zur Beendigung dieses Verfahrens tatsächlich weiter.
Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Großen Senats des BFH in dem Beschluss in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231 zum Verhältnis eines ursprünglich ergangenen Bescheides und eines Änderungsbescheides im Festsetzungsverfahren nicht entscheidungserheblich.
Auch das von den Klägern genannte BFH-Urteil in BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997 ist entgegen ihrer Rechtsansicht nicht einschlägig. Denn der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt weicht schon insofern vom Streitfall ab, als im Streitfall nicht nur ein Klageverfahren zur Einkommensteuer anhängig war, sondern wegen der damals geltenden Gesetzesfassung des § 68 FGO zwei getrennte Klageverfahren hinsichtlich des ursprünglichen und des geänderten Einkommensteuerbescheides für 1980 geführt wurden. Dies hatte zur Folge, dass das unter dem Az. V 155/90 geführte Verfahren im Streitfall nicht --wie das in BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997 zugrunde liegende Einspruchsverfahren-- durch den Änderungsbescheid, sondern vielmehr durch Rücknahme der Klage beendet wurde.
Ferner ist auch unerheblich, ob das FA --wie die Kläger meinen-- die Verfügung über die ursprünglich gewährte AdV schon im Jahre 2002 hätte aufheben oder widerrufen müssen. Maßgeblich ist allein der Umfang der tatsächlich erfolgten AdV. Die etwaige Fehlerhaftigkeit der bestandskräftigen Aussetzungsentscheidung berührt den Zinsanspruch grundsätzlich nicht (BFH-Urteile in BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201, und in BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4).
Schließlich entspricht auch das tatsächliche Verhalten der Kläger im Übrigen dieser Rechtslage; denn sie haben den nach dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1980 geschuldeten und ausgesetzten Betrag auch erst am 10. Juni 2005 bezahlt, nämlich nach Rücknahme der gegen den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1980 gerichteten Klage.
bb) Die Revision hätte im Übrigen auch dann keinen Erfolg, wenn entsprechend dem Begehren der Kläger auf die in dem Änderungsbescheid für 1980 festgesetzte Einkommensteuerschuld abgestellt würde.
Denn entgegen der Auffassung der Kläger wäre für den Beginn der einjährigen Festsetzungsverjährungsfrist i.S. von § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO nicht der BFH-Beschluss vom 18. März 2002 I B 89/01 (n.v.) maßgeblich, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger im Verfahren V 317/98 zurückgewiesen worden ist. Wegen der insoweit eingelegten Verfassungsbeschwerde gemäß § 95 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes hätte es noch zu der von den Klägern begehrten Aufhebung des Änderungsbescheides zur Einkommensteuer 1980 kommen können. Erst mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde durch das BVerfG mit Beschluss vom 14. Februar 2005 2 BvR 1089/02 stand somit fest, dass der Änderungsbescheid für 1980 bestehen bleiben würde und damit auch die unter dem Az. V 155/90 geführte Klage gegen den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1980 endgültig erfolglos bleiben würde (vgl. zum Verhältnis ursprünglicher und geänderter Bescheid, Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Dieser Zeitpunkt wäre somit auch für den Beginn der einjährigen Festsetzungsverjährungsfrist maßgeblich mit der Folge, dass der Bescheid über die Zinsfestsetzung vom 29. Juni 2005 auch insoweit noch rechtzeitig war.
Fundstellen
Haufe-Index 1887983 |
BFH/NV 2008, 339 |