Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bürgerliches Recht und Einkommensteuerrecht in ihren gegenseitigen Beziehungen bei Beurteilung von Arbeits- und Mitunternehmerverhältnissen.
Normenkette
EStG § 15 Nr. 2, § 19 Abs. 1 Nr. 1
Gründe
Die Anerkennung eines Arbeitsverhältnisses zwischen der OHG und der Ehefrau des die Gesellschaft beherrschenden Gesellschafters durch die Vorinstanz steht im Streitfalle im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. An dieser Rechtsprechung hat der Senat zuletzt im Urteil I 39/60 U vom 5. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 422, Slg. Bd. 71 S. 460) festgehalten, in dem er sich mit den dagegen gerichteten Einwendungen auseinandersetzte. Aus dieser Entscheidung geht hervor, daß für die Einreihung der von einem Steuerpflichtigen bezogenen Einkünfte in die Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG die formelle Gestaltung nach bürgerlichem Recht nicht bindet, sondern daß die Begriffe des EStG unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes) maßgebend sind. Diese Rechtsauffassung beruht darauf, daß im bürgerlichen Recht mehr der Form, im Steuerrecht mehr dem wirtschaftlichen Inhalt eines Vertrages Bedeutung zugemessen wird (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs VI D 1/58 S vom 18. Februar 1959, BStBl 1959 III S. 263, Slg. Bd. 69 S. 5). Diese Verschiedenheit der Betrachtung führt zu einer gewissen Eigenständigkeit des Einkommensteuerrechts und verbietet es, Vorgänge ohne Prüfung des sachlichen Inhalts der Abmachungen allein nach der bürgerlich-rechtlichen Form zu beurteilen, in der sie in Erscheinung treten (vgl. aus dem Schrifttum z. B. Becker, Die Reichsabgabenordnung, 7. Auflage, § 4, Anm. 1 a, 2 a, 5, 6, 21-25, 28, derselbe in Steuer und Wirtschaft - StuW - 1939 Spalten 745 ff.; Geiler, StuW 1927 Spalten 497 ff.; Hübschmann in Hübschmann-Grabower-Beck-v. Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Einleitung, Dritter Abschnitt, Anm. 15, S. 93). Die Eigenständigkeit des Einkommensteuerrechtes hinsichtlich der Beurteilung bürgerlich-rechtlicher Arbeitsverträge hat teilweise sogar der Gesetzgeber in seinen Vorschriften, so in den §§ 15 und 19 EStG ausdrücklich ausgesprochen. Nach § 15 Ziff. 2 EStG sind Vergütungen, die der Mitunternehmer einer Personengesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft bezogen hat, Einkünfte aus Gewerbebetrieb; dementsprechend sah der Bundesfinanzhof die einer Kommanditistin aus einem (neben ihrer Gesellschafterstellung bestehenden) Arbeitsverhältnis zur KG gezahlten Bezüge als Einkünfte aus Gewerbebetrieb an (Urteil IV 246/50 S vom 22. August 1951, BStBl 1951 III S. 181, Slg. Bd. 55 S. 449). Ferner wurden im Urteil des Bundesfinanzhofs I 221/59 S vom 2. August 1960 (BStBl 1960 III S. 408, Slg. Bd. 71 S. 425) in übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (VI A 1685/29 vom 7. April 1930, StuW 1930 Nr. 766, und VI A 501/31 vom 30. August 1932, StuW 1932 Nr. 995) zu den Vergütungen im Sinne des § 15 Ziff. 2 EStG die Bezüge gerechnet, die ein Kommanditist einer GmbH § Co. KG in seiner Eigenschaft als Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH erhielt, die Komplementärin und Geschäftsführerin der KG war, soweit diese Bezüge auf die Tätigkeit entfielen, die der Kommanditist als Organ der GmbH für die KG ausübte. Der Reichsfinanzhof hat in den Urteilen VI A 1685/29 und VI A 501/31 ausdrücklich ausgesprochen, daß für das Steuerrecht nicht die bürgerlich-rechtliche Form des Angestelltenvertrages maßgebend sei. Auch das Urteil VI 401/38 vom 17. August 1938, RStBl 1938 S. 1003, Slg. Bd. 44 S. 320, beruht auf den gleichen Erwägungen. Andererseits hat der Bundesfinanzhof im Urteil I 139/54 S vom 22. November 1955 (BStBl 1956 III S. 4, Slg. Bd. 62 S. 9) im Handelsregister als persönlich haftende Gesellschafter einer KG eingetragene Personen, die geschäftsführungs- und vertretungsbefugt waren, steuerlich nur als Angestellte angesehen. § 15 Ziff. 3 EStG trifft eine der Ziff. 2 entsprechende Regelung für die persönlich haftenden Gesellschafter einer KG auf Aktien, obwohl es sich um ein Rechtsverhältnis zu einer juristischen Person handelt. Für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ist es nicht entscheidend, ob ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis im Sinne des bürgerlichen Rechtes oder des Arbeitsrechtes vorliegt (Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs IV D 1/47 vom 27. Juni 1947, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 19 Abs. 1 Ziff. 1, Rechtsspruch 2; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 347/50 S vom 9. Februar 1951, BStBl 1951 III S. 73. Slg. Bd. 55 S. 192; IV 219/51 U vom 16. Januar 1952, BStBl 1952 III S. 79, Slg. Bd. 56 S. 200, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs; IV 400/53 vom 28. April 1954 und IV 543/53 vom 20. Januar 1955, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 19 Abs. 1 Ziff. 1, Rechtssprüche 75 und 34).
Fundstellen
Haufe-Index 409911 |
BStBl III 1961, 127 |
BFHE 1961, 339 |
BFHE 72, 339 |