Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz formalem Arbeitgeberwechsel
Leitsatz (NV)
1. Hat ein Steuerpflichtiger zwar formal zweimal den Arbeitgeber gewechselt, haben die beteiligten ‐ sowohl unternehmensrechtlich als auch steuerrechtlich miteinander verflochtenen ‐ Unternehmen jedoch beide Wechsel im gegenseitigen Einvernehmen so ausgestaltet, dass das bestehende Arbeitsverhältnis mit dem einen Arbeitgeber jeweils im Wesentlichen unverändert mit dem anderen Arbeitgeber fortgesetzt werden konnte (durchgehender Vergütungstarif; Anrechnung der Dienstzeiten; Entfallen einer Probezeit) , so ist ein die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigender Arbeitsplatzverlust nicht gegeben.
2. Eine beim (Rück-)Wechsel gezahlte Abfindung ist in diesem Fall auch nicht nach §§ 24, 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit 1976 bei der A-AG als Arbeitnehmer tätig. Im April 1983 wurde er als Schichtleiter an die B-GmbH abgeordnet, an der die A-AG mit 31 % beteiligt war. Mit Wirkung ab 1. November 1983 übernahm ihn die B-GmbH und schloss mit ihm einen Arbeitsvertrag. Danach sollte sich die Vergütung nach dem Vergütungstarif der A-AG richten, die bei der AG verbrachten Vordienstzeiten sollten angerechnet werden, die Regelungen für die Pensions- und Hinterbliebenenversorgung sollten weiterhin Anwendung finden und eine Probezeit entfallen. Der Kläger erklärte sich im Arbeitsvertrag bereit, "bei Nachweis von sachlichen betrieblichen Erfordernissen" den Vertrag mit der B-GmbH einvernehmlich unter der Bedingung aufzuheben, dass ihm eine zumutbare Tätigkeit, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht, entweder bei der A-AG oder bei einer A-Konzern- oder sonstigen Beteiligungsgesellschaft angeboten wird. Dafür erhielt er mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages bei der B-GmbH eine gesonderte schriftliche Zusage von der A-AG. Hinsichtlich Vergütung, Krankenversicherung, Urlaubsgeld etc. entsprach der Vertrag mit der B-GmbH nahezu wörtlich den bei der A-AG üblichen Vertragsbedingungen. Ab 1991 gewährte die B-GmbH dem Kläger als Leiter der Abt. Stillstandsbetrieb eine persönliche Zulage von mtl. 916 DM wegen der mit der Funktion verbundenen Übernahme zusätzlicher Aufgaben.
Als die Betreiber der B-GmbH das Forschungsprojekt beenden wollten, entwickelte die GmbH mit dem Betriebsrat einen Sozialplan. Beabsichtigt war, eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer bei einem Gesellschafter der B-GmbH, bei einer ihrer Beteiligungsgesellschaften oder bei einem dritten Unternehmen zu erreichen. Soweit die Arbeitnehmer bei Übernahme in ein Arbeitsverhältnis eines Gesellschafters Einkommensminderungen erleiden würden, sollte in Höhe der Differenz --multipliziert mit dem Faktor 3,5-- eine Abfindung gezahlt werden.
Zum 1. August 1994 stellte die A-AG den Kläger als Referent für Controlling ein. Nach dem entsprechenden Arbeitsvertrag vom 6. Juli 1994 sollten die bei der A-AG und B-GmbH verbrachten Dienstzeiten angerechnet werden. Eine Probezeit entfiel wiederum. Als maßgebliches Datum des Diensteintritts, als Beginndatum des Pensionsdienstalters und als Datum des Beginns der gesetzlichen Unverfallbarkeit für die betriebliche Altersversorgung wurde der 1. Februar 1976 festgesetzt.
Aufgrund seines Ausscheidens bei der B-GmbH, das lt. Schreiben vom 19. Dezember 1994 zum 31. Dezember 1994 erfolgte, erhielt der Kläger noch im Jahr 1994 eine Abfindung von 56 355 DM. Davon wurde ihm ein Betrag von 24 000 DM nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei gezahlt; den Rest unterwarf die B-GmbH dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) änderte im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung den Einkommensteuerbescheid 1994 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und behandelte den vollen Abfindungsbetrag als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Er ging davon aus, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers als durchgehend anzusehen und einem Arbeitsverhältnis innerhalb verschiedener Bereiche eines Konzerns vergleichbar sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 849).
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorbringt: Das FG habe zu Unrecht die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Umsetzung von Arbeitnehmern innerhalb eines Konzerns (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 1990 X R 48/86, BFHE 161, 372, BStBl II 1990, 1021) sowie im Falle eines Betriebsübergangs (vgl. BFH-Urteile vom 16. Juli 1997 XI R 85/96, BFHE 183, 532, BStBl II 1997, 666; vom 12. April 2000 XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195) auf den Streitfall angewendet. Hier sei die A-AG lediglich neben weiteren Gesellschaften an der B-GmbH beteiligt gewesen. Fehle aber eine konzernrechtliche Verbindung und läge ein Betriebsübergang nicht vor, müsse die Frage, ob ein Wechsel des Arbeitgebers erfolgt sei, allein nach zivilrechtlichen Kriterien beurteilt werden. Darüber hinaus habe das FG seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) verletzt. Es sei davon ausgegangen, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers bei der A-AG als Referent für Controlling um einen "vergleichbaren Arbeitsplatz" handele. Der Kläger habe indessen unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten) vorgetragen, dass sich seine Tätigkeit --insbesondere wegen der fehlenden Vorgesetztenfunktion-- erheblich verändert habe. Bei Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte sich herausgestellt, dass eine Vergleichbarkeit der Tätigkeiten und damit eine Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses nicht gegeben sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 21. Mai 1999 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26. November 2001 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die dem Kläger von der B-GmbH gewährte Zahlung von 56 355 DM weder teilweise nach § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG steuerfrei ist noch gemäß §§ 24, 34 Abs. 1 EStG begünstigt oder gemäß § 34 Abs. 3 EStG als Entlohnung für mehrjährige Tätigkeit zu besteuern ist.
1. Gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1994 geltenden Fassung sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24 000 DM, steuerfrei.
Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung. Nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt. Dabei wird allerdings eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel der Arbeitgeber abstellt, der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht. Entscheidend ist vielmehr, wie die Beteiligten nach den Umständen des einzelnen Falles die Umsetzung des Arbeitnehmers ausgestaltet haben. Wird das bestehende Dienstverhältnis zwar mit einem neuen Arbeitgeber, aber im Übrigen in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im Wesentlichen unverändert fortgesetzt, so ist ein die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigender Arbeitsplatzverlust nicht gegeben. Diese Grundsätze, die der BFH in mehreren Entscheidungen zur Umsetzung eines Arbeitnehmers innerhalb eines Konzerns bzw. anlässlich eines Betriebsübergangs entwickelt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 161, 372, BStBl II 1990, 1021; in BFHE 183, 532, BStBl II 1997, 666; in BFH/NV 2000, 1195), sind auch im Streitfall anwendbar.
Im Streitfall hat der Kläger zwar formal zweimal den Arbeitgeber gewechselt, als er zunächst nach vorheriger Abordnung durch die A-AG von der B-GmbH übernommen wurde und als er später nach der Beendigung des Forschungsprojekts wieder von der B-GmbH zur A-AG zurückkehrte. Die beteiligten Unternehmen und der Kläger haben jedoch beide Wechsel --insbesondere auch die hier zu beurteilende Rückkehr des Klägers von der B-GmbH zur A-AG-- im gegenseitigen Einvernehmen so ausgestaltet, dass das bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem einen Arbeitgeber jeweils im Wesentlichen unverändert mit dem anderen Arbeitgeber fortgesetzt werden konnte.
Die Entlohnung des Klägers richtete sich durchgehend nach dem Vergütungstarif der A-AG; lediglich wegen der Übernahme zusätzlicher Aufgaben erhielt der Kläger bei der B-GmbH zeitweise eine persönliche Zulage. Bei beiden Wechseln wurde vereinbart, dass die jeweils bei der A-AG bzw. B-GmbH verbrachten Dienstzeiten angerechnet werden sollten. Eine Probezeit entfiel in beiden Fällen. Bereits beim Wechsel von der A-AG zur B-GmbH erklärte sich der Kläger einverstanden, den Vertrag mit der B-GmbH im Falle von sachlichen betrieblichen Erfordernissen einvernehmlich aufzuheben, wenn er in ein gleichwertiges Arbeitsverhältnis bei der A-AG oder bei einer A-Konzerngesellschaft zurückkehren könne. Eine entsprechende schriftliche Zusage erteilte die A-AG dem Kläger beim Wechsel zur B-GmbH. Tatsächlich kehrte der Kläger nach der Auflösung des Dienstverhältnisses mit der B-GmbH auch sofort zur A-AG zurück und nahm dort --wie das FG überzeugend dargelegt hat-- ein nach dem Arbeitsbereich vergleichbares Dienstverhältnis auf. Ergänzend zu dem neuen Arbeitsvertrag mit der A-AG vom 6. Juli 1994 wurde als Datum des Diensteintritts und als Beginndatum des Pensionsdienstalters der 1. Februar 1976 --also der Tag des erstmaligen Dienstbeginns bei der A-AG-- festgesetzt.
Diese zwischen der A-AG und der B-GmbH abgestimmten Vereinbarungen mit dem Kläger hinsichtlich des Arbeitsbereichs, der Entlohnung und der Wahrung dessen sozialen Besitzstandes waren nur deshalb möglich, weil beide Gesellschaften sowohl unternehmensrechtlich als auch --wie das FG festgestellt hat-- steuerrechtlich miteinander verflochten waren. Es handelt sich insoweit zwar nicht um eine sog. Umsetzung innerhalb eines Konzerns, jedoch um eine einvernehmliche Umsetzung im Rahmen eines Unternehmensverbundes. Bei dem (Rück-)Wechsel des Klägers von der B-GmbH zur A-AG kann deshalb von einem die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigenden Arbeitsverlust nicht ausgegangen werden. Die dem Kläger im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses bei der B-GmbH gezahlte Abfindung ist somit nicht teilweise steuerfrei.
2. Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst a. EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Solche Entschädigungen sind als außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 Abs. 1 und 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung ermäßigt zu besteuern.
Wie der Senat aus dem Zusammenhang der Tatbestände in § 24 Nr. 1 Buchst. a bis c EStG sowie aus einem Vergleich der in § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG aufgeführten Tatbestände abgeleitet hat, verlangt die Annahme einer Entschädigung allerdings, dass das zugrunde liegende Rechtsverhältnis beendet wird. Wird --wie im vorliegenden Fall (vgl. oben unter 1.)-- das bestehende Dienstverhältnis lediglich formal mit einem neuen Arbeitgeber, aber im Übrigen in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im Wesentlichen unverändert fortgesetzt, kann von einer Beendigung im Sinne der vorgenannten Regelungen nicht ausgegangen werden (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2000, 1195).
Der dem Kläger als Abfindung gezahlte Betrag ist deshalb als Zahlung im Rahmen eines fortlaufenden Einkunftserzielungstatbestandes anzusehen und als solcher nicht nach § 34 Abs. 1 EStG begünstigt.
3. Eine Besteuerung des Abfindungsbetrags als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 3 EStG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Wie das FG zu Recht dargelegt hat, handelt es sich bei dem Abfindungsbetrag nicht um Lohnzahlungen für die der B-GmbH geleisteten Dienste. Vielmehr hat der Kläger den Betrag nach dem von der B-GmbH aufgestellten Sozialplan als sog. Differenz-Abfindung dafür erhalten, dass sein effektives Jahreseinkommen sich nach der Rückkehr zur A-AG aufgrund des Wegfalls des persönlichen Stellungszuschlags verringert hat.
4. Soweit der Kläger vorbringt, das FG habe nicht das beantragte Sachverständigengutachten eingeholt und deshalb seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, ist die Verfahrensrüge nicht schlüssig erhoben worden.
Da das Übergehen eines Beweisantrages und die Verletzung der Sachaufklärungspflicht zu den verzichtbaren Mängeln zählen, hätte der Kläger darlegen müssen, dass er die Nichteinholung des Gutachtens bereits vor dem FG gerügt hat oder aufgrund des Verhaltens des FG vor diesem nicht mehr habe rügen können (vgl. BFH-Beschluss vom 28. April 1998 II B 27/97, BFH/NV 1998, 1246, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1498420 |
BFH/NV 2006, 1071 |