Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschreitung der Veranlagungsgrenzen durch Verzicht auf Geltendmachung von Aufwendungen
Leitsatz (amtlich)
Die Erklärung des Steuerpflichtigen, er verzichte auf die Berücksichtigung von geltend gemachten und nachgewiesenen einkommensmindernden Aufwendungen, um eine Einkommensteuerveranlagung gemäß § 46 Abs.1 EStG zu erreichen, ist steuerrechtlich beachtlich, soweit sie sich auf Aufwendungen bezieht, die nur auf Antrag des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sind, und die Erklärung als Rücknahme des Antrags auszulegen ist.
Orientierungssatz
1. Nachgewiesene Betriebsausgaben und Werbungskosten sind von Amtswegen und nicht nur auf Antrag des Steuerpflichtigen einkünftemindernd zu berücksichtigen.
2. Nachgewiesene Sonderausgaben sind bei der Ermittlung des Einkommen von Amtswegen zu berücksichtigen, ohne daß es eines Antrags des Steuerpflichtigen bedarf.
Normenkette
EStG 1983 § 46 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 4, §§ 10, 9 Abs. 1 S. 1; EStG 1983 § 2 Abs. 4
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Im März 1987 reichten sie beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1983 (Streitjahr) ein. Nach den Angaben in der Erklärung betrugen die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit 58 313 DM, die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfenen Einkünfte war negativ und das Einkommen lag unter 48 000 DM. Das FA lehnte durch Verwaltungsakt vom 15.April 1987 eine Einkommensteuerveranlagung gemäß § 46 Abs.2 Nr.8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1983 ab, weil sie erst nach Ablauf der Frist des § 46 Abs.2 Satz 2 EStG 1983 beantragt worden war. Im Einspruchsverfahren legten die Kläger Unterlagen vor, aus denen sich ihrer Ansicht nach ergab, daß sie unabhängig von einem Antrag zur Einkommensteuer zu veranlagen seien. Der Einspruch war erfolglos. Im Klageverfahren erklärten die Kläger, sie verzichteten auf die Geltendmachung von Schuldzinsen und anderer Aufwendungen, um doch noch eine Einkommensteuerveranlagung zu erreichen. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, die Kläger gemäß § 46 Abs.1 Nr.1 EStG 1983 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Das FA stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts (§ 46 Abs.1 Nr.1 i.V.m. § 2 Abs.3 und 4, § 4 Abs.4, § 9 Abs.1 Satz 1, § 19 Abs.3 und 4, § 10 Abs.3 und § 10c Abs.3 EStG 1983).
Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FA ist verpflichtet, die Kläger gemäß § 46 Abs.1 Nr.1 EStG 1983 für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen.
1. Nach § 46 Abs.1 Nr.1 EStG 1983 muß das FA Steuerpflichtige --wie die Kläger--, bei denen die Einkommensteuer nach § 32a Abs.5 EStG 1983 zu ermitteln ist und deren Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, stets veranlagen, wenn das Einkommen mehr als 48 000 DM beträgt. Gemäß § 2 Abs.4 EStG 1983 ist das Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs.3 EStG 1983), vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen.
2. Das von den Klägern im Streitjahr erzielte Einkommen beträgt aufgrund der Verzichtserklärung der Kläger mehr als 48 000 DM.
a) Nach der Berechnung des FG beträgt das Einkommen auch ohne Berücksichtigung der Verzichtserklärung 52 315 DM. Diese Berechnung ist rechtsfehlerhaft. Das FG hat bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit die Freibeträge gemäß § 19 Abs.3 und 4 EStG 1983 nicht abgezogen. Es hat außerdem bei der Berechnung der den Gesamtbetrag der Einkünfte mindernden Sonderausgaben § 10 Abs.3 EStG 1983 nicht richtig angewandt. Werden diese Fehler korrigiert, beträgt das Einkommen --wie das FA zutreffend vorgetragen hat-- nur 46 000 DM.
b) Entgegen der Ansicht des FA wirkt sich jedoch die Erklärung der Kläger, sie verzichteten auf die Geltendmachung von Schuldzinsen und anderer Aufwendungen, um doch noch eine Einkommensteuerveranlagung zu erreichen, einkommenserhöhend aus.
In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob der Steuerpflichtige durch eine derartige Erklärung die Höhe des Einkommens beeinflussen und eine Veranlagung gemäß § 46 Abs.1 EStG 1983 erreichen kann (für die steuerrechtliche Wirksamkeit der Verzichtserklärung z.B. FG Berlin, Urteil vom 4.November 1986 V 465/86, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1987, 464; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 46 Rdnr.B 8; a.A. z.B. Hessisches FG, Urteil vom 28.Oktober 1971 IV 167/70, EFG 1972, 69; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.Januar 1975 I 159/74, EFG 1975, 256; Barein in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15.Aufl., § 46 EStG Rn.11; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., 1991, § 46 Anm.2 b, bb); offen gelassen im Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8.Oktober 1991 IX R 162/87, BFH/NV 1992, 174).
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Verzichtserklärung steuerrechtlich beachtlich, soweit sie sich auf Aufwendungen bezieht, die nur auf Antrag des Steuerpflichtigen einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, und die Verzichtserklärung als Rücknahme des Antrags auszulegen ist (gl. Ansicht Klenk, Finanz-Rundschau 1972, 110). Hängt der Abzug nachgewiesener Aufwendungen bei der Einkommensermittlung nach dem Gesetz davon ab, daß der Steuerpflichtige ihn ausdrücklich beantragt, und schließt das Gesetz die Rücknahme eines derartigen Antrags nicht aus, besteht kein Grund, eine als Rücknahme des Antrags auszulegende Verzichtserklärung bei der Besteuerung nicht zu berücksichtigen. Unbeachtlich ist die Verzichtserklärung jedoch, soweit sie Aufwendungen betrifft, die die FÄ von Amts wegen einkommensmindernd berücksichtigen müssen, falls sie nachgewiesen wurden. Dies trifft z.B. --wie sich aus § 9a EStG 1983 ergibt-- grundsätzlich für Werbungskosten zu. Gleiches gilt für nachgewiesene Betriebsausgaben, die den Gewinn unabhängig von einem entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen oder der Ausübung eines Bilanzierungswahlrechts mindern. Unbeachtlich weil ins Leere gehend ist die Verzichtserklärung auch, soweit sie sich auf Aufwendungen bezieht, deren Entstehung der Steuerpflichtige zwar behauptet, die aber nicht oder nicht in der vorgeschriebenen Form nachgewiesen wurde. In einem derartigen Fall sind die Aufwendungen bereits unabhängig von der Verzichtserklärung bei der Besteuerung nicht zu berücksichtigen.
c) Für den Streitfall folgt daraus:
Die Verzichtserklärung wirkte sich nicht auf die Höhe der Einkünfte der Kläger aus. Die von den Klägern nachgewiesenen Betriebsausgaben und Werbungskosten sind von Amts wegen und nicht nur auf Antrag des Steuerpflichtigen einkünftemindernd zu berücksichtigen.
Die Verzichtserklärung ist auch unbeachtlich, soweit sie sich auf die in der Einkommensteuererklärung geltend gemachten Sonderausgaben bezieht. Das FG hat die entsprechenden Aufwendungen als nachgewiesen angesehen. FA und die Kläger haben dem nicht widersprochen. Die Aufwendungen sind gemäß § 10 i.V.m. § 2 Abs.4 EStG 1983 bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen, ohne daß es eines Antrags der Kläger bedurfte.
Die Verzichtserklärung wirkt sich jedoch auf die Höhe der gemäß § 33a Abs.2 Nr.1 b EStG 1983 abzuziehenden Ausbildungsfreibeträge aus. Diese Beträge dürfen nur auf Antrag des Steuerpflichtigen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Die Kläger haben zwar in ihrer Einkommensteuererklärung den Abzug von zwei Ausbildungsfreibeträgen in Höhe von jeweils 2 100 DM für ihre in der Berufsausbildung stehenden und auswärtig untergebrachten Töchter beantragt. Durch die Verzichtserklärung haben sie aber einen dieser Anträge zurückgenommen.
Für diese Auslegung der Verzichtserklärung sprechen Wortlaut und Zweck der Erklärung. Die Kläger haben nicht ausschließlich auf die Geltendmachung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben verzichtet, sondern auf die steuerliche Berücksichtigung von "Aufwendungen", wozu auch Aufwendungen i.S. des § 33a Abs.2 EStG 1983 gehören. Die Rücknahme eines Antrags gemäß § 33a Abs.2 Satz 1 EStG 1983 ist inhaltlich ein Verzicht auf die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen. Durch die Verzichtserklärung wollten die Kläger, was sich ebenfalls aus dem Wortlaut der Erklärung ergibt, ihr Einkommen so erhöhen, daß sie gemäß § 46 Abs.1 Nr.1 EStG 1983 zur Einkommensteuer zu veranlagen sind. Die Erklärung enthält somit einen Verzicht auf die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen insoweit, als er erforderlich ist, um eine Veranlagung gemäß § 46 Abs.1 Nr.1 EStG 1983 zu erreichen. Dieses Ziel läßt sich bereits dadurch erreichen, daß auf einen der Ausbildungsfreibeträge verzichtet wird. Die Rücknahme eines der beiden Anträge gemäß § 33a Abs.2 Satz 1 EStG 1983 führt dazu, daß das Einkommen sich auf 48 100 DM erhöht (Einkommen laut Berechnung des FA 46 000 DM + Kürzung der Ausbildungsfreibeträge um 2 100 DM *= 48 100 DM). Das Gesetz enthält keine Regelung, daß ein Antrag gemäß § 33a Abs.2 Satz 1 EStG 1983 nicht noch vor Schluß der mündlichen Verhandlung beim FG zurückgenommen werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 64925 |
BFH/NV 1993, 62 |
BStBl II 1993, 738 |
BFHE 171, 431 |
BFHE 1994, 431 |
BB 1993, 1796 (L) |
DStR 1993, 1328 (KT) |
HFR 1993, 650 (KT) |
StE 1993, 475 (K) |