Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrverpflegungsaufwand eines Reisegewerbetreibenden
Leitsatz (NV)
1. Verpflegungsmehraufwendungen können auch dann Betriebsausgaben sein, wenn sie im Zusammenhang mit einer sog. Einsatzwechseltätigkeit stehen (Abgrenzung zu den BFH-Urteilen in BFHE 106, 300, BStBl II 1972, 855 und in BFHE 155, 287, BStBl
II 1989, 276).
2. Als Betriebsstätte eines Reisegewerbetreibenden ist der jeweilige Marktstand anzusehen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, 5 Nr. 5, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft, handeln mit Textilien im Reisegewerbe. Sie vertreiben ihre Ware im Laufe des Jahres an etwa 110 verschiedenen Marktorten. Einige Marktorte werden in der Saison bis zu 12mal angefahren, andere lediglich 3 - 4mal oder auch nur einmalig. Zu den einzelnen Marktveranstaltungen, die in der Regel nur einen Tag dauern, fahren die Kläger mit einem Kleinlastwagen oder einen Pkw mit Anhänger.
Bei einer die Streitjahre 1983 bis 1985 umfassenden Betriebsprüfung beanstandete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) u.a., daß die Kläger unter Anwendung der Pauschalierungsregelung in Abschn. 119 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) Mehrverpflegungsaufwendungen abgezogen hatten, und zwar 11526 DM für 1983, 11320 DM für 1984 und 11526 DM für 1985. Das FA kürzte die Betriebsausgaben entsprechend und erließ für die Streitjahre geänderte Feststellungs- und Umsatzsteuerbescheide.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging mit dem FA davon aus, daß die Kläger keine Geschäftsreisen unternommen, sondern Betriebsstätten an den jeweiligen Marktorten unterhalten hätten.
Die Kläger rügen mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Kläger keine Mehraufwendungen für Verpflegung aus Anlaß von Geschäftsreisen abziehen können. Nach der Rechtsprechung des Senats ist nur dann eine Ausnahme von dem auch für betrieblich mitveranlaßten Verpflegungsmehraufwand geltenden Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr.1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzuerkennen, wenn derartige Aufwendungen bei Geschäftsreisen anfallen oder sonst Umstände dargetan werden, die eine zutreffende Schätzung der nach § 4 Abs. 4 EStG abziehbaren Mehraufwendungen zulassen (Urteil vom 15. September 1988 IV R 116/85, BFHE 155, 287, BStBl II 1989, 276).
An dieser Rechtsprechung, der sich andere Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) angeschlossen haben (Urteile vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208 und vom 18. September 1991 XI R 34/90, BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90) hält der Senat auch im Streitfall fest. Danach setzt der Begriff der Geschäftsreise voraus, daß sich der Steuerpflichtige von dem Ort, an dem sich seine Betriebsstätte befindet, aus beruflicher oder betrieblicher Veranlassung vorübergehend an einen anderen Ort ohne Betriebsstätte begibt (vgl. schon Senatsurteile vom 29. März 1979 IV R 137/77, BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700; BFHE 155, 287, BStBl II 1989, 276).
Im Streitfall liegen keine Geschäftsreisen vor, denn die einzelnen von den Klägern besuchten Märkte sind als Betriebsstätten der Kläger im Sinne des Begriffs der Geschäftsreise anzusehen. Anders als nach § 12 der Abgabenordnung (AO 1977) versteht der BFH im Zusammenhang mit der Beurteilung von Geschäftsreisen unter Betriebsstätte in ständiger Rechtsprechung die von der Wohnung getrennte Beschäftigungsstätte, den Ort also, an dem oder von dem aus die betrieblichen Leistungen erbracht werden. Bei einem Textilhandel im Reisegewerbe ist der Ort Betriebsstätte, wo die Leistung gegenüber dem Kunden erbracht wird; dort liegt der Schwerpunkt der jeweiligen gewerblichen Tätigkeit (BFH-Urteile in BFHE 155, 287, BStBl II 1989, 276; vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23; in BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208 und in BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90).
Im Streitfall fehlt es aber auch an verläßlichen Schätzungsgrundlagen, die eine einwandfreie und nachprüfbare Bestimmung des betrieblich veranlaßten Verpflegungsmehraufwands in dem von den Klägern begehrten Umfang zuließe.
2. Das FG hat den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes an ständig wechselnden Betriebsstätten geprüft.
a) In Ausnahme vom Abzugsverbot des § 12 Nr.1 Satz 2 EStG hat die Finanzverwaltung Arbeitnehmern, die an ständig wechselnden Einsatzstellen beschäftigt sind, im Wege der Schätzung unter bestimmten Voraussetzungen eine Pauschale für Mehrverpflegungsaufwand zugestanden (Abschn. 22 Abs. 2 Nr.2 und Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR 1981/ 1984 -). Der XI.Senat hat diese zu den Werbungskosten niedergelegte und über den Gleichheitssatz (Art.3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verbindliche Regelung im Hinblick auf die durch die Art der Tätigkeit bedingte vergleichbare Belastung von Arbeitnehmern und Selbständigen auf den betrieblichen Bereich übertragen (BFH in BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90). Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung auch im Streitfall.
b) Unter Hinweis auf die fehlende Gleichartigkeit der Verhältnisse hat der Senat jedoch eine Anwendung der für Arbeitnehmer geltenden Verpflegungspauschalen auf selbständig tätige Steuerpflichtige bisher abgelehnt (Urteile vom 8. Juni 1972 IV R 130/71, BFHE 106, 300, BStBl II 1972, 855 und in BFHE 155, 287, 292, BStBl II 1989, 276, 278). Darin liegt kein Widerspruch zu der Entscheidung im Streitfall. Während nämlich der Sachverhalt in BFHE 106, 300, BStBl II 1972, 855 nicht unter dem Gesichtspunkt der Einsatzwechseltätigkeit, sondern unter dem Aspekt der mehr als 12stündigen Abwesenheit eines freiberuflich tätigen Rechtsanwalts zu beurteilen war, hatte der Senat in BFHE 155, 287, BStBl II 1989, 276 einen Fall zu entscheiden, in dem die beiden Gesellschafter einer Firma für Hörgeräte zwischen am Sitz der Gesellschaft und insgesamt sechs regelmäßigen Betriebsstätten in einem festen Turnus tätig waren. Ausschlaggebend für die ablehnenden Entscheidungen war vor allem der Umstand, daß ein selbständig Tätiger im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer in der Gestaltung seiner betrieblichen Verhältnisse frei ist. Im Streitfall hingegen sind die besonderen Umstände des Einsatzes an wechselnden Marktorten durchaus mit den typischen Fällen des Einsatzes von Arbeitnehmern an ständig wechselnden Einsatzstellen vergleichbar.
c) Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, in welcher Entfernung vom Wohnort der Kläger sich die aufgesuchten Marktorte befanden, es hat - in anderem Zusammenhang - lediglich ausgeführt, daß die Wochenmärkte im Streitfall ,,im allgemeinen nicht im Nahbereich von 20 bis 40 km lagen". Bei erneuter Verhandlung und Entscheidung wird das FG Mehraufwendungen für Verpflegung nur insoweit anerkennen können, als sich die besuchten Marktorte außerhalb eines üblichen Einzugsbereichs befunden haben (BFH in BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90 m.w.N.). Nach dem Urteil des Senats vom 5. November 1987 IV R 180/85 (BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334) bleiben daher solche Marktorte außer Betracht, die nicht weiter als 25 km von der Wohnung der Kläger entfernt liegen. Im übrigen wird auf die Regelungen zu Abschn. 22 und 24 LStR 1981/1984 verwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 419146 |
BFH/NV 1993, 719 |