Entscheidungsstichwort (Thema)
Orden u. ä. als Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG aufgrund einer im Umsatzsteuerrecht enthaltenen Verweisung auf den Zolltarif über zolltarifliche Fragen entschieden, so findet die Revision ohne Zulassung statt (ständige Rechtsprechung).
2. Orden und Ehrenzeichen können umsatzsteuerbegünstigte Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert im zolltariflichen Sinne sein, wenn sie berühmten Persönlichkeiten verliehen waren oder gleichzuachtende Umstände einen historischen Wert begründen und dies hinreichend dargelegt wird.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 2; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; Anl. Nr. 47; GZT Tarifnr. 99.05
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1982 bis 1984 einen Handel mit Münzen, Orden, Ehrenzeichen, Medaillen und Antiquitäten. Aufgrund einer Außenprüfung gelangte das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt (FA) zu der Auffassung, daß für Umsätze mit Orden und Ehrenzeichen der ermäßigte Umsatzsteuersatz nicht zu gewähren sei; dementsprechend änderte es die Umsatzbesteuerung für 1982 bis 1984. Die Klage, mit der die Klägerin geltend machte, es handele sich um steuerbegünstigte Sammlungsstücke, wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 mit Nr. 47 der Anlage lägen nicht vor; die Klägerin habe nicht den Nachweis führen können, daß die von ihr verkauften Orden, Ehrenzeichen und Medaillen "Sammlungsstücke" seien. Orden und Ehrenzeichen hätten nur dann kultur- oder kunsthistorischen Wert, wenn sie, je als Einzelexemplar, an berühmte Persönlichkeiten verliehen worden seien; Entsprechendes gelte für Medaillen.
Die Klägerin trägt mit ihrer Revision vor, die von ihr gehandelten Orden und Ehrenzeichen erfüllten die Voraussetzungen für "Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert" der Zolltarifnr. 99.05, wie sie von der Verwaltung festgelegt seien (BStBl I 1983, 567 Tz. 157, 162; BStBl I 1993, 879). Aus der Anforderung "in verhältnismäßig wenigen Stücken vorhanden" ergebe sich bereits, daß die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht auf Unikate in dem vom FG geforderten Sinne beschränkt sei. Dies ergebe auch die Bezugnahme auf den Zolltarif, die verdeutliche, daß es nicht Sache der Finanzbehörde sei zu bestimmen, wer als "berühmte Persönlichkeit" anzuerkennen sei und wessen Auszeichnungen als "sammlungswürdig" anzusehen seien. Die Zuordnung zu einem berühmten Menschen sei nur eine Möglichkeit, die Sammelwürdigkeit zu bestimmen; eine Zuordnung könne im übrigen auch durch andere Umstände, etwa die Stiftereigenschaft, gegeben sein. Davon abgesehen genüge es, wenn es sich um ausgesuchte Einzelexemplare mit Museumseignung handele. Die entsprechenden Nachweispflichten seien erfüllt. Nicht entscheidend und auch bislang nicht erörtert sei, ob anerkannte Museen oder Sammler Stücke der von der Klägerin angebotenen Art während der Streitjahre gesucht hätten.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer unter Abänderung der angefochtenen Bescheide herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Es meint, die Voraussetzungen in BStBl I 1983, 567 (Tz. 157) und in BStBl I 1993, 879 seien im Streitfall nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist gemäß § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulassungsfrei statthaft, da die Vorinstanz in einer Zolltarifsache erkannt hat. Eine solche Sache liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (z. B. Beschluß vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, 575, BStBl II 1990, 546) auch vor, wenn das FG -- wie hier -- aufgrund einer im Umsatzsteuerrecht enthaltenen Verweisung auf den Zolltarif über zolltarifliche Fragen entschieden hat. Für die von der Klägerin gleichfalls eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ... besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.
In der Sache selbst führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Bei der Entscheidung über die Umsätze der von der Klägerin gehandelten Orden und Ehrenzeichen -- nur auf diese Entscheidung, nicht auch auf die über Umsätze von Medaillen bezieht sich die Revision -- hat das FG einen zu engen Beurteilungsmaßstab angelegt. Für eine abschließende Entscheidung bedarf es jedoch weiterer Feststellungen.
Steuerbegünstigt sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 mit Nr. 47 der Anlage dazu u. a. Sammlungsstücke (Zolltarifnr. 99.05), darunter solche von geschichtlichem Wert. Infolge dieser Verweisung auf den Zolltarif richtet sich die Auslegung des Begriffs "Sammlungsstück" allein nach zolltariflichen Gesichtspunkten (z. B. Senat, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342 f., BStBl II 1990, 760), d. h. -- auch -- nach den zu dieser Tariffrage in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, unter Heranziehung der zolltariflichen Erläuterungen. Zu den Anforderungen, denen Sammlungsstücke zu genügen haben, gehört danach die Eignung zur Aufnahme in eine Sammlung; dafür geeignet sind Gegenstände, die verhältnismäßig selten sind, normalerweise nicht ihrem ursprünglichen Verwendungszweck gemäß benutzt werden, Gegenstand eines Spezialhandels außerhalb des Handels mit ähnlichen Gebrauchsgegenständen sind und einen hohen Wert haben (vgl. nur Senat, Urteil vom 16. November 1993 VII R 28/93, BFH/NV 1994, 674, mit Rechtsprechungsnachweisen). Darüber hinaus müssen Sammlungsstücke einen (u. a.) geschichtlichen Wert haben. Von solchem Wert sind Sammlungsstücke, die innerhalb eines bestimmt bezeichneten Rahmens einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen (z. B. Senat, Urteil vom 12. März 1991 VII R 34/89, BFH/NV 1992, 71 -- historische Wertpapiere --, auch mit Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften). Dabei ist, bezogen auf das jeweilige Sammlungsstück, darzulegen, welche charakteristischen Entwicklungen insoweit überhaupt in Betracht kommen (Senat, Urteile vom 17. Oktober 1989 VII R 49/87, BFH/NV 1990, 407, und vom 5. April 1990 VII R 56/88, BFH/NV 1990, 744; Müller-Eiselt in Dorsch, Zollrecht, E I/12 Rdnr. 15). Die Museumseignung genügt für sich allein noch nicht für die Annahme eines (geschichtlichen) Wertes (Senat, Beschluß vom 27. März 1990 VII R 122/86, BFH/NV 1990, 815). Diese Grundsätze, denen auch die Verwaltungsregelung in BStBl I 1993, 879 entspricht -- sie hat die frühere Regelung in BStBl I 1983, 567 Tz. 162 bis 166 abgelöst -- galten, auch soweit sie erst später ausdrücklich formuliert worden sind, bereits für die Jahre 1982 bis 1984, in denen die gleiche Rechtslage auf zolltariflichem Gebiet bestand.
Gegenstände wie Orden und Ehrenzeichen kommen als zum Studium früherer Generationen geeignete "Beweismittel für menschliches Leben" in Betracht; Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert sind -- beispielsweise -- Gegenstände, die berühmten Persönlichkeiten gehört haben (vgl. Erläuterungen zu Tarifnr. 99.05 Teil I Rdnr. 10, jetzt zu Pos. 9705 Harmonisiertes System Rdnr. 10.0). Hierbei kann es sich auch um Medaillen usw. handeln (Ausweisungsvorschrift 3 p zu Kap. 71 des Gemeinsamen Zolltarifs, jetzt Anm. 30 zu Kap. 71 der Kombinierten Nomenklatur) ebenso um Orden und Ehrenzeichen. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, auch in weiteren Fällen als denen der Verleihung an Berühmtheiten Orden usw. als Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert anzuerkennen (in diesem Sinne ist auch der bei Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz 1993, § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rdnr. 462/4 zustimmend zitierte Ministerialerlaß zu verstehen). Die Person des Stifters kann, wie der Klägerin zuzugeben ist, eine Rolle spielen, ebenso etwa die Person eines vom Stifter verschiedenen Verleihers, nicht dagegen ohne weiteres das Alter der Auszeichnung (vgl. BFH/NV 1992, 71) oder der Umstand, daß der Orden usw. inzwischen erloschen ist. Für die Anerkennung als Sammlungsstücke "von geschichtlichem Wert" muß allerdings die vorstehend angeführte Voraussetzung gegeben sein, d. h., es muß dargelegt werden, daß die Gegenstände, die für sich als Sammlungsstücke im zolltarif lichen Sinne anzusehen sind, zusätzlich innerhalb eines bestimmt bezeichneten Rahmens einen Abschnitt in der geschichtlichen Entwicklung veranschaulichen.
Indem das FG nur die Verleihung an berühmte Persönlichkeiten berücksichtigt hat, hat es den Begriff "geschichtlicher Wert", bezogen auf Auszeichnungen, unzulässig eingeengt. Außer der Person des Ausgezeichneten können auch andere Gesichtspunkte der aufgezeigten Art einen geschichtlichen Wert begründen. Die Vorentscheidung läßt sich auch nicht aus anderen Gründen halten (§ 126 Abs. 4 FGO). Zwar kann ihr entnommen werden, daß die Klägerin bislang nur Umstände vorgetragen hat, aus denen sich, eine genaue Spezifikation vorausgesetzt, allenfalls ableiten läßt, daß es sich bei den Auszeichnungen um Sammlungsstücke als solche handelt (Eignung zur Aufnahme in eine ... Sammlung). Hieraus folgt jedoch nicht zwingend, daß eine Ergänzung nicht möglich sei. Eine derartige Feststellung ist nicht getroffen worden. Es ist nicht auszuschließen, daß es der Klägerin gelingt -- nach vollständiger Darlegung der Eigenschaft als Sammlungsstüke überhaupt (auch Seltenheit -- Anzahl der verliehenen Stücke -- und Wert) --, den Rahmen, den die je einzeln genau zu beschreibenden Auszeichnungen (ggf. in Verbindung mit den Verleihungsurkunden) als historische Dokumentationen möglicherweise ausfüllen, in nachvollziehbarer Weise zu bezeichnen. Hierzu wird ihr im zweiten Rechtsgang Gelegenheit zu geben und danach unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden sein.
Fundstellen
BFH/NV 1997, 86 |
NJW 1997, 968 |