Leitsatz (amtlich)
Die Ertragsteigerung eines landwirtschaftlichen Betriebs durch eine Saatzuchtwirtschaft stellt auch dann keine selbständige wirtschaftliche Einheit dar, für die ein besonderer Einheitswert festzustellen wäre, wenn die Saatzucht durch einen Pächter auf fremdem Grund und Boden betrieben wird.
Normenkette
BewG i.d.F. vor Inkrafttreten des BewG 1965 § 2 Abs. 1; BewG i.d.F. vor Inkrafttreten des BewG 1965 § 2 Abs. 2; BewG i.d.F. vor Inkrafttreten des BewG 1965 § 30 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger betreibt als Pächter auf fremdem Grund und Boden einen landwirtschaftlichen Betrieb, in dem vorwiegend Saatgut erzeugt wird. Das FA (Beklagter und Revisionskläger) stellte für diesen Betrieb jeweils zwei Einheitswerte fest. Ein Einheitswert wurde nach den Grundsätzen der landwirtschaftlichen Regelbewertung durch Vervielfachung der in ha ausgedrückten Fläche mit dem ha-Satz ermittelt (§ 39 des Bewertungsgesetzes in der vor dem Bewertungsgesetz 1965 geltenden Fassung – im folgenden: BewG –). In einem weiteren Einheitswert wurde der Zuschlag nach § 40 BewG zur Berücksichtigung der Eigenschaft als Saatzuchtbetrieb erfaßt; dieser verselbständigte Zuschlag wurde dem Kläger als Pächter des landwirtschaftlichen Betriebs zugerechnet. Diese Sachbehandlung stützte das FA auf die Richtlinien für die Bewertung von landwirtschaftlichen Saatzuchtbetrieben – LandSaatBeW 1943 –, die den OFD mit Erlaß des RdF S 3114 – 25 III vom 11. Dezember 1943 bekanntgegeben wurden. Diese Richtlinien enthalten in Nr. 7 folgende Anordnung: „Bei Pachtbetrieben bilden die durch den Zuschlag erfaßten Wirtschaftsgüter eine besondere wirtschaftliche Einheit, die in jedem Falle dem Pächter als Eigenbesitzer zuzurechnen ist.”
Mit dem Einspruch wendete sich der Kläger gegen die Höhe der auf den Jahresbeginn 1958, 1959, 1960 und 1961 festgestellten „EW für den Saatzuchtzuschlag” mit der Begründung, diese Werte würden über dem gemeinen Wert liegen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage hat das FG die angefochtenen Einheitswertfeststellungen ersatzlos aufgehoben. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Saatzuchtzuschlag keine selbständige wirtschaftliche Einheit im Verhältnis zu dem landwirtschaftlichen Betrieb sei, in dem der Pächter die Saatzucht betreibe. Bei den Richtlinien des RdF handle es sich um Verwaltungsanweisungen, an die die Gerichte nicht gebunden seien. Sie entsprächen nicht der Rechtslage nach dem BewG.
Das FA rügt mit der Revision, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es nicht festgestellt habe, ob der Kläger wirtschaftlicher Eigentümer der Pachtflächen sei. Außerdem habe das FG § 2 Abs. 1 und 2 und § 30 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BewG unrichtig angewendet. Die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit richte sich grundsätzlich nach der Verkehrsanschauung. Danach seien Saatzuchtwirtschaften selbständige wirtschaftliche Einheiten, und zwar unabhängig davon, ob sie auf eigenem oder auf fremdem Grund und Boden betrieben würden. § 2 Abs. 1 BewG, der die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheiten sachlich regle, habe den Vorrang vor § 30 Abs. 2 BewG, wonach in den landwirtschaftlichen Betrieben auch Betriebsmittel einzubeziehen seien, die nicht dem Eigentümer des Grund und Bodens gehörten. Bei der Saatzucht sei der Grund und Boden von untergeordneter Bedeutung; wertbildend seien die Sorten des Saatgutes als Träger der Erbanlagen für anerkanntes Hochzuchtsaatgut. Außerdem sei zu beachten, daß der Verpächter dem Saatzüchter nur den Grund und Boden und nicht wie bei der üblichen Betriebsverpachtung einen eingerichteten landwirtschaftlichen Betrieb zur Verfügung stelle. Die Wertsteigerung, die durch die Saatzucht herbeigeführt werde, sei nach dem System des Bewertungsrechts zwar als Zuschlag zum Vergleichswert zu erfassen. Dem stehe nicht entgegen, daß für die Saatzucht eine selbständige wirtschaftliche Einheit anzunehmen sei, deren Ertragswert den Vergleichswert der Pachtflächen in der Regel um ein Vielfaches überschreite. Der Gesetzgeber des BewG 1965 habe diese Besonderheit dadurch berücksichtigt, daß die Saatzucht bei der Hauptfeststellung 1964 als sonstige land- und forstwirtschaftliche Nutzung behandelt werde.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Die Rüge der mangelnden Sachaufklärung im Zusammenhang mit der sachlich-rechtlichen Frage, ob der Kläger wirtschaftlicher Eigentümer der Pachtgrundstücke sei, greift nicht durch. Das FG hätte die Sachaufklärungspflicht nur dann verletzt, wenn sich ihm eine weitere Aufklärung angesichts des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (Entscheidung des BFH III B 75/67 vom 29. März 1968, BFH 92, 310, BStBl II 1968, 535). Das ist nicht der Fall. Der Kläger ist Pächter der Flächen, auf denen er die Saatzucht betreibt. Als Pächter ist er Fremdbesitzer, weil er den gepachteten Grund und Boden nicht als ihm gehörig besitzt. Der Verpächter des Klägers ist auch offensichtlich von der Einwirkung auf den verpachteten Grundbesitz nicht dauernd ausgeschlossen, wie es bei Pachtverträgen zur Ausbeutung mineralführender Grundstücke ausnahmsweise der Fall sein könnte (vgl. BFH-Entscheidung III 242/59 S vom 22. Juli 1960, BFH 71, 454 [459], BStBl III 1960, 420). Bei einem Pachtverhältnis wie dem vorliegenden ist dies auch gar nicht ohne weiteres denkbar, es sei denn, in Wahrheit wäre durch den Pachtvertrag ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt. Dafür hat das FA nichts vorgetragen. Damit bestand für das FG keine Veranlassung und auch keine Verpflichtung, Ermittlungen in dieser Richtung anzustellen. Es ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger nicht wirtschaftlicher Eigentümer des gepachteten Grundbesitzes ist.
2. Der Zuschlag zum Vergleichswert auf Grund der Wertsteigerung durch die Nutzung des Grundbesitzes für die Saatzucht ist nicht eine selbständige wirtschaftliche Einheit, für die ein Einheitswert festgestellt werden könnte.
a) Nach § 30 Abs. 2 BewG werden in den landwirtschaftlichen Betrieb Betriebsmittel mit einbezogen, die nicht dem Eigentümer des Grund und Bodens gehören, aber der Bewirtschaftung des Betriebs dienen. Der Senat stimmt dem FA darin zu, daß diese Vorschrift ähnlich wie § 24 Nr. 1 BewG (vgl. BFH-Entscheidung III R 145/66 vom 31. Oktober 1969, BFH 97, 561, BStBl II 1970, 197) nicht eine Ausnahme von § 2 Abs. 1 BewG, sondern von dessen Abs. 2 ist. Voraussetzung für die Einbeziehung fremder Betriebsmittel in den Betrieb des Eigentümers des Grund und Bodens ist damit, daß diese Betriebsmittel nach § 2 Abs. 1 BewG sachlich zur wirtschaftlichen Einheit des Betriebs des Grundeigentümers gehören. Das ist bei den Betriebsmitteln, die der Bewirtschaftung des verpachteten Grund und Bodens dienen, regelmäßig der Fall. Sie gehören ungeachtet der unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse sowohl nach der Verkehrsanschauung als auch unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit zum Betrieb des Grundeigentümers, denn sie dienen dazu und werden tatsächlich dafür eingesetzt, den für die Bewertung maßgebenden Ertrag hervorzubringen. Aus diesem Grund müssen die Betriebsmittel des Pächters grundsätzlich bei der wirtschaftlichen Einheit des Verpächterbetriebs mit erfaßt werden. Denn aus § 2 Abs. 1 BewG ergibt sich, daß für die Bewertung mit dem Ertragswert (§ 31 Abs. 1 und 3 BewG) alle an der Ertragsbildung beteiligten Wirtschaftsgüter zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden müssen. Aus diesem Grund wurde durch § 30 Abs. 2 BewG die Möglichkeit geschaffen, über die rechtliche Sperre des § 2 Abs. 2 BewG hinaus alle an der Ertragsbildung beteiligten Wirtschaftsgüter ungeachtet der Eigentumsverhältnisse zu einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zusammenzufassen. An dieser Rechtslage ändert sich entgegen der Auffassung des FA auch dadurch nichts, daß der Verpächter nur Grund und Boden verpachtet hat. Denn der „landwirtschaftliche Betrieb” im Sinn des BewG muß nicht eine betriebswirtschaftliche Organisation von Grund und Boden, Gebäuden und Betriebsmitteln sein, sondern er ist lediglich die Bezeichnung für die wirtschaftliche Einheit des landwirtschaftlichen Vermögens, die auch nur aus Grund und Boden bestehen kann (§§ 28, 29 BewG).
Für Saatzuchtbetriebe auf Pachtgrund ergeben sich keine Gesichtspunkte, die eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Regelung für die Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe rechtfertigen könnten. Insbesondere trifft es nicht zu, daß die Verkehrsanschauung die kapitalisierte Ertragsteigerung durch die Saatzuchtwirtschaft als eine selbständige wirtschaftliche Einheit und damit einen selbständigen Betrieb im Verhältnis zur üblichen Landwirtschaft ansehen würde. Wenn dies richtig wäre, müßten nicht nur bei einer Saatzuchtwirtschaft auf Pachtgrund, sondern auch bei Saatzuchten auf eigenem Grund und Boden zwei wirtschaftliche Einheiten angenommen und dementsprechend zwei Einheitswerte festgestellt werden. Diese würde aber nach Auffassung des Senats der Verkehrsauffassung widersprechen.
b) Die nach § 2 Abs. 1 BewG bei der Abgrenzung wirtschaftlicher Einheiten zu beachtende Verkehrsanschauung kann, wie die einzelnen im Gesetz angeführten Abgrenzungsmerkmale erkennen lassen, nicht anders ausgelegt werden, als die Volksanschauung im Sinn des § 1 Abs. 2 StAnpG. Denn die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit sind Merkmale, die nicht von den beteiligten Wirtschaftskreisen abgeleitet oder geprägt werden. Wenn aber die Verkehrsanschauung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht von den beteiligten Wirtschaftskreisen abzuleiten ist und auch nicht durch Merkmale bestimmt wird, die durch den Geschäftsverkehr ganz bestimmter Wirtschaftskreise ihren Inhalt erhalten, so ist sie ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal, das durch die Tatsacheninstanz nicht festgestellt werden kann. Die Verkehrsanschauung ist damit für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheiten als gerichtsbekannte Auffassung weiter Bevölkerungskreise aufzufassen, die bei der Entscheidung berücksichtigt werden muß (vgl. BFH-Entscheidungen III 206/55 U vom 3. Februar 1956, BFH 62, 205, BStBl III 1965, 78; I 286/56 S vom 16. Dezember 1958, BFH 68, 198 [205], BStBl III 1959, 77; III R 132/67 vom 13. Juni 1969, BFH 96, 365 [368], BStBl II 1969, 612). Sie kann nicht aus der Auffassung von Saatzüchtern oder Vertretern ihres Berufsstands abgeleitet werden; abzustellen ist vielmehr auf die Anschauung, die unvoreingenommene und urteilsfähige Bürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befaßt werden. Die so verstandene Verkehrsanschauung wird aber eine Saatzuchtwirtschaft niemals als zwei wirtschaftliche Einheiten und damit als zwei landwirtschaftliche Betriebe auffassen, wenn nicht Rechtsvorschriften diese Behandlung zwingend vorschreiben. Das ist nicht der Fall.
c) Das FA sieht die Verselbständigung der Saatzuchtwirtschaft gegenüber der allgemeinen Landwirtschaft darin, daß es bei der Saatzucht nicht so sehr auf die Ertragskraft des Grund und Bodens als auf die Erbanlagen des Saatguts ankomme. Wenn das richtig wäre, müßten bei allen Intensivwirtschaften, wie z. B. dem Gartenbau, zwei wirtschaftliche Einheiten angenommen und damit zwei Einheitswerte festgestellt werden. Eine derartige Sachbehandlung wäre aber ohne ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag nicht möglich, weil sie der Verkehrsanschauung widersprechen würde. Auch der Einwand, der Kläger sei wirtschaftlicher Eigentümer der mit der Saatzucht verbundenen Wirtschaftsgüter, kann nicht durchgreifen. Denn die Annahme von zwei wirtschaftlichen Einheiten wegen unterschiedlicher Eigentumsverhältnisse stände im Widerspruch zu § 30 Abs. 2 BewG, der ungeachtet des bürgerlich-rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums alle ertragsbildenden Wirtschaftsgüter in einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zusammenfassen will.
Auch der Hinweis auf § 62 Abs. 1 Nr. 6 BewG 1965 vermag die Rechtsauffassung des FA nicht zu stützen. Der Senat versteht die Einordnung der Saatzucht ab dem Beginn des Hauptfeststellungszeitraums 1964 in die sonstige land- und forstwirtschaftliche Nutzung dahin, daß sie aus den Sonderkulturen der landwirtschaftlichen Nutzung ausgeschieden wurde, weil für Saatzuchtwirtschaften Vergleichszahlen nicht festgestellt werden konnten (vgl. § 38 Abs. 1, § 40 Abs. 1 und 2 und § 52 BewG 1965). Im übrigen ist der Senat der Meinung, daß die Entstehungsgeschichte des BewG 1965 seine Rechtsauffassung bestätigt. Durch das ÄndG-BewG 1965 (BGBl I 1965, S. 851) sollte nämlich eine Rechtsgrundlage für die Verselbständigung der Wertsteigerung auf Grund der Nutzung von land- und forstwirtschaftlichem Grund und Boden durch einen Pächter geschaffen werden (vgl. § 38d des Entwurfs eines ÄndG-BewG, Bundestags-Drucksache IV/1488 vom 1. Oktober 1963 S. 7 und S. 44). Der Bundestag hat diese beabsichtigte Vorschrift jedoch gestrichen. Er war entsprechend dem schriftlichen Bericht des Finanzausschusses (vgl. Bundestags-Drucksache IV/3508 vom 20. Mai 1965 S. 19 und zu Bundestags-Drucksache IV/3508 vom 16. Juni 1965 S. 10) der Auffassung, „der dieser Vorschrift zugrunde liegende Sachverhalt eigne sich besser für eine privatrechtliche Regelung zwischen Verpächter und Pächter”.
Der erkennende Senat hat schon in dem nichtveröffentlichten Urteil III 167/63 vom 30. Juni 1967 für eine zum 1. Januar 1952 durchgeführte Feststellung die Rechtsauffassung vertreten, daß der Zuschlag nach § 40 BewG wegen der Ertragsteigerung durch eine Saatzuchtwirtschaft in den Einheitswert des Verpächterbetriebs einzubeziehen sei. Dieser Einheitswert müsse nach § 30 Abs. 2 Satz 3 BewG für die Vermögensbesteuerung auf Verpächter und Pächter aufgeteilt werden; jeder dieser Anteile gelte als selbständiger Einheitswert. Der Senat hatte deshalb keine Bedenken, wenn aus Vereinfachungsgründen der Zuschlag für die Saatzucht dem Pächter unmittelbar zugerechnet werde. An dieser Auffassung hält der Senat nicht mehr fest.
Fundstellen
Haufe-Index 557428 |
BStBl II 1970, 736 |
BFHE 1971, 47 |