Leitsatz (amtlich)
1. Der Umstand, daß der Gesetzgeber den in § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG verwendeten Begriff "Steuerwesen" nicht näher umschrieben hat, kann es nicht rechtfertigen, für seine Auslegung die Vorschriften der §§ 1 ff. StBerG über die "Hilfeleistung in Steuersachen" als maßgeblich heranzuziehen.
2. Der Begriff "Steuerwesen" umfaßt alles, was mit den Steuern zusammenhängt, insbesondere die Randgebiete des Steuerrechts, die für die Steuerberaterprüfung in Betracht kommen. Unter "Steuersachen" sind hingegen die steuerlichen Angelegenheiten der Steuerpflichtigen zu verstehen, also nur ein Teilbereich des Steuerwesens.
2. Im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG ist eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens auch dann gegeben, wenn das hauptberufliche Aufgabengebiet des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, jedoch mit diesem zusammenhängt und daher auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert.
Normenkette
StBerG § 36 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte im Wintersemester 1971/72 die Diplomprüfung für Kaufleute ab und war dann vom 17. Januar 1972 bis zum 31. Dezember 1976 bei einer GmbH beschäftigt. Diese erteilte ihm am 30. Dezember 1976 ein Dienstzeugnis, aus dem im wesentlichen hervorgeht, daß der Kläger während seiner Einarbeitungszeit u. a. mit der Praxis der Finanzbuchhaltung vertraut gemacht wurde, dann hauptsächlich mit dem Rechnungswesen und dessen Organisation befaßt war, seit 1974 eine Gruppe für Betriebswirtschaft und Berichtswesen leitete, deren Aufgaben im selben Bereich lagen und die teilweise Eingliederung von zwei Tochtergesellschaften mitumfaßten, und daß er auch Mitberater der Tochtergesellschaften in deren Steuerangelegenheiten war.
Im Februar 1977 beantragte der Kläger seine Zulassung zur Steuerberaterprüfung. Nachdem er auf Verlangen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagten) seine Tätigkeit bei der GmbH näher erläutert hatte, lehnte der Zulassungsausschuß für Steuerberater beim Beklagten den Zulassungsantrag durch Bescheid vom 22. Juli 1977 mit der Begründung ab, er habe die in § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) geforderte dreijährige hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens nicht nachgewiesen. Die darauf erhobene Klage, mit der der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrte, ihn zur Steuerberaterprüfung zuzulassen, wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 2. Februar 1978 mit folgender Begründung ab:
Was unter praktischer Tätigkeit auf dem Gebiet des "Steuerwesens" zu verstehen sei, lasse sich aus § 36 StBerG nicht unmittelbar entnehmen. Einen Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffes "Steuerwesen" lieferten jedoch die §§ 1 ff. StBerG, wo der Bereich der "Steuersachen" im Zusammenhang mit der Regelung der "Hilfeleistung in Steuersachen" bestimmt sei. Das FG gehe danach davon aus, daß jede Tätigkeit, die im Falle selbständiger Ausübung für Dritte als deren Unterstützung bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten oder Wahrnehmung ihrer Rechte, also als Hilfeleistung in Steuersachen im Sinne der §§ 1 ff. StBerG zu qualifizieren wäre, eine Tätigkeit auf dem Gebiet des "Steuerwesens" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG darstelle. Für eine so verstandene Gleichsetzung der Begriffe "Steuerwesen" und "Steuersachen" spreche die Überlegung, daß ein Bewerber für die Steuerberaterprüfung ja gerade die Zulassung für "Hilfeleistung in Steuersachen" erstrebe, so daß es folgerichtig sei, von ihm bereits praktische berufliche Erfahrungen "in Steuersachen" zu fordern.
Das FG berufe sich für diese Auffassung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Juli 1966 VII 48/64 (BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569). Dort sei nämlich der BFH zu dem Ergebnis gekommen, daß der - über den Begriff des Steuerrechts hinausgehende - Begriff des Steuerwesens auch Tätigkeiten umfasse, die für das Steuerrecht von Bedeutung seien, wie die Erfüllung von Buchführungspflichten, soweit diese auf Grund von Steuergesetzen bestünden. Denn diese Tätigkeit zähle, wie sich aus § 107 a Abs. 1 Satz 2 der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. und § 2 Abs. 1 Satz 2 StBerG a. F. ergebe, zur Hilfeleistung in Steuersachen, deren freiberufliche Ausübung also nicht ohne weiteres zugelassen sei. Nach Auffassung des FG genüge jedoch zur Erfüllung der Zulassungsvoraussetzung in § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht schon jede Tätigkeit auf dem "Gebiet des Steuerwesens". Vielmehr sei im Hinblick auf den mit der praktischen Tätigkeit des Prüfungsbewerbers verfolgten Zweck zu fordern, daß es sich hierbei nicht um nur unbedeutende Tätigkeiten auf dem Gebiete des Steuerwesens gehandelt habe. Das heiße zwar nicht, daß der Bewerber nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG während seiner praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens gerade Hilfe in Steuersachen im Sinne der §§ 1 ff. StBerG geleistet haben müsse. Denn § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG schreibe - im Gegensatz zum früheren Recht und zu § 36 Abs. 1 Nr. 2 StBerG - nicht mehr vor, daß die praktische Tätigkeit des Bewerbers bei einer in § 58 StBerG bezeichneten Person, Gesellschaft oder Einrichtung ausgeübt worden sein müsse. Gleichwohl müsse jedoch die praktische Tatigkeit auf den wesentlichen Gebieten des Steuerwesens gelegen haben und Hauptinhalt seiner Tätigkeit gewesen sein.
Wende man diese Grundsätze auf den Streitfall an, so ergebe sich, daß der Kläger bis zum Tag der mündlichen Verhandlung nicht drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen sei.
Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die sechsmonatige Einarbeitungszeit vom 2. Januar bis 30. Juni 1972, in deren Verlauf der Kläger selbständig Buchführungsarbeiten erledigt habe, im Hinblick auf das BFH-Urteil VII 48/64 als praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens anerkannt werden könne. Denn nach den in der mündlichen Verhandlung getroffenen Feststellungen habe sich der Kläger im Anschluß an seine Einarbeitungszeit in erster Linie auf betriebswirtschaftlichem Gebiet betätigt, und zwar hier vor allem im Bereich der Erstellung von Kostenrechnungen und der damit zusammenhängenden Probleme.
Das gelte für die Mitwirkung des Klägers bei der Umstellung der Auftragsabrechnung der GmbH von der Vollkosten- zur Deckungsbeitragsrechnung. Hierbei handele es sich nämlich um Rechnungsarten, die in das Gebiet der betriebswirtschaftlichen Kostenlehre gehörten. Zu einer Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens seien diese Umstellungsarbeiten nicht etwa dadurch geworden, daß sie auch die Berücksichtigung der einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften, darunter solcher über Sonderabschreibungsmöglichkeiten, Investitionszuschüsse und Investitionszulagen erfordert hätten. Denn Ziel und Inhalt dieser Umstellungsarbeiten sei die Einführung einer für die GmbH betriebswirtschaftlich vorteilhafteren Kostenrechnung, nicht aber etwa die Einarbeitung steuerlich relevanter Vorschriften in die Kostenrechnung. Insofern habe sich die Tätigkeit des Klägers in steuerlicher Hinsicht in der bloßen Übernahme von in der bisherigen Rechnungsmethode bereits enthaltenen steuerlich relevanten Gesichtspunkten erschöpft, die in der nunmehrigen Deckungsbeitragsrechnung ebenso weitergegolten hätten, wie etwaige durch andere Rechtsgebiete bedingte Faktoren. Entsprechend sei die Mitwirkung des Klägers bei der Umstellung von Teilbereichen des Rechnungswesens auf elektronische Datenverarbeitung zu beurteilen. Betriebswirtschaftlich orientiert sei auch gewesen, worauf schon die Bezeichnung dieser Tätigkeit im Zeugnis hinweise, die Beteiligung des Klägers beim Aufbau eines betriebswirtschaftlichen Informations- und Lenkungssystems aus Kostenstellen-Budgetierung, Kostenträgerrechnung, Investitionskontrolle und Anlagenabrechnung mit regelmäßigen Abweichungsanalysen. Gleiches gelte ferner auch für die Mitwirkung des Klägers bei der Einführung der Plankostenrechnung und der Budgetierung bei der GmbH.
Das FG komme bei einer zusammenfassenden Würdigung der verschiedenen vom Kläger bei der GmbH nach seiner Einarbeitung wahrgenommenen Funktionen zu dem Ergebnis, daß er sich hierbei zwar auch mit steuerlichen Fragen habe auseinandersetzen müssen, dies jedoch nicht charakteristisch für seine Tätigkeit gewesen sei. Deren Inhalt sei vielmehr gewesen, wie dies auch in seiner späteren Stellung als Leiter der Gruppe Betriebswirtschaft und Berichtswesen zum Ausdruck komme, die Beschäftigung mit betriebswirtschaftlich ausgerichteten Fragestellungen, insbesondere solchen der Kostenrechnung einschließlich der Kostenkontrolle, Kostenplanung, Abrechnung öffentlicher Aufträge sowie des innerbetrieblichen Berichtswesens. Eine derartige Tätigkeit, für die das Steuerwesen nur - wie sonstige Kostenfaktoren - vorgegeben sei, diene nicht der Erfüllung steuerlicher Pflichten im oben näher dargelegten Sinne. Ihre Ausübung für Dritte wäre daher auch keine steuerliche Hilfeleistung im Sinne des § 1 StBerG. Eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens könne insoweit im Streitfall aber auch nicht deshalb bejaht werden, weil die Betriebswirtschaft zu einem der Prüfungsgebiete der Steuerberaterprüfung gehöre (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes vom 1. August 1962 - DVStBerG -). Denn andernfalls würde auch die bloße praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des bürgerlichen und des Handelsrechts für die Prüfungszulassung nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG genügen, was jedoch mit Sinn und Zweck der Bestimmungen unvereinbar wäre.
Lediglich soweit der Kläger Mitberater von Tochtergesellschaften der GmbH in deren Steuerangelegenheiten gewesen sei und auch an der Konstruktion einer Mehr-Mütter-Gesellschaft unter Berücksichtigung der hierbei auftretenden steuerrechtlichen Fragen mitgewirkt habe, käme eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens in Betracht. Der Kläger habe jedoch insoweit nicht darzutun vermocht, daß diese Tätigkeit zeitlich und nach Umfang und Bedeutung Hauptinhalt des ihm bei der GmbH zugewiesenen Aufgabenbereichs gewesen sei. Zudem könne auch als Anhaltspunkt dafür, daß der Hauptinhalt der Tätigkeit des Klägers nicht auf dem Gebiet des Steuerwesens gelegen habe, gewertet werden, daß die GmbH bei ihrer Muttergesellschaft steuerlich betreut wurde und zur Klärung entscheidender steuerlicher Fragen deren Steuerabteilung eingeschaltet worden sei.
Mit der Revision macht der Kläger geltend: Das FG habe die Voraussetzungen des § 36 StBerG für die Zulassung zur Prüfung als Steuerberater zu eng ausgelegt und den Begriff der praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens falsch gewürdigt, indem es eine solche Tätigkeit für Bewerber verneint habe, die die theoretischen Grundlagen unter Anwendung der bestehenden Steuergesetze für das Festhalten steuerrechtlich relevanter Vorgänge erarbeiteten.
Der Kläger beantragt, unter Änderung des FG-Urteils und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 22. Juli 1977 den Zulassungsausschuß für Steuerberater beim Beklagten zu verpflichten, ihn zur Steuerberaterprüfung zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, und trägt vor:
Es erscheine in der Tat nicht zweifelsfrei, ob die Gesetzesauslegung des FG der rechtlichen Nachprüfung standhalte, zumal der BFH mehrfach zum Ausdruck gebracht habe, daß der Begriff der Tätigkeit "auf dem Gebiet des Steuerwesens" sehr weit auszulegen sei (zuletzt im Urteil vom 12. November 1974 VII R 112/73, BFHE 114, 310, BStBl II 1975, 313) und auch im jüngst veröffentlichten Urteil vom 22. Februar 1978 VII R 86/77 (BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393) eine "praktische Tätigkeit" auf diesem Gebiet eine solche darstelle, bei der das theoretische Wissen, das der Bewerber bei seiner nach den weiteren Zulassungsvoraussetzungen erforderlichen Vorbildung erworben habe, angewandt werde. Insbesondere das letztgenannte Urteil lasse es fraglich erscheinen, ob die Interpretation des FG-Urteils, wonach (nur) Tätigkeiten, die "im Falle selbständiger Ausübung für Dritte als deren Unterstützung bei der Erfüllung steuerlicher Pflichten oder Wahrnehmung ihrer Rechte, also als Hilfeleistung in Steuersachen zu qualifizieren wären", eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens im Sinn des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG darstellten, einer gesetzeskonformen Auslegung entspreche.
Dennoch sei das FG-Urteil für den vorliegenden Fall im Ergebnis zutreffend. Die Zulassungsvoraussetzung des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG bedinge nicht nur eine praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens; diese müsse vielmehr auch hauptberuflich gewesen sein, das heiße, sie müsse den Hauptinhalt der Tätigkeit des Bewerbers gebildet haben (BFH-Urteile vom 27. Oktober 1964 VII 35/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 289 - HFR 1965, 289 -; vom 18. Mai 1965 VII 18/64, HFR 1965, 492, und vom 27. Juli 1966 VII 48/64, BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569). Nach den Feststellungen des FG habe die Tätigkeit des Klägers bei der GmbH in erster Linie auf betriebswirtschaftlichem Gebiet gelegen. Die Grundsätze des Urteils VII 48/64 könnten auf den vorliegenden Fall nicht angewandt werden, weil die mit der Tätigkeit des Klägers zusammenhängende Bearbeitung von steuerlichen Fragen im Verhältnis zu seinen auf dem Gebiet der Betriebswirtschaft liegenden Aufgaben die letzteren nicht überwogen habe. Überdies habe sich der Aufgabenbereich des Klägers nur auf bestimmte Teilbereiche des gesamten Rechnungswesens der Firma beschränkt, während im Urteilsfalle VII 48/64 neben der Führung der Buchhaltung Tätigkeiten ausgeübt worden seien, die wesentliche Kenntnisse auf dem Gebiet der verschiedensten Steuerarten erfordert hätten und bei denen schwierige Fragen des Buchführungs- und Bilanzwesens zu lösen gewesen seien. Ähnliche Sachverhalte hätten auch den Urteilen VII 35/64 und VII 18/64 sowie dem Urteil vom 16. Juni 1964 VII 281/63, HFR 1965, 81, zugrunde gelegen, die alle hinsichtlich des Umfanges der ausgeübten praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens mit dem vorliegenden Streitfall nicht vergleichbar seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
Das FG hätte die Klage nicht abweisen dürfen, da der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht die Zulassung des Klägers zur Steuerberaterprüfung abgelehnt hat.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG setzt die Zulassung zur Steuerberaterprüfung voraus, daß der Bewerber ein rechtswissenschaftliches, wirtschaftswissenschaftliches oder anderes wissenschaftliches Hochschulstudium mit wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtung abgeschlossen hat und nach Abschluß des Studiums drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat der Kläger ein wirtschaftswissenschaftliches Hochschulstudium abgeschlossen, so daß es nur noch darauf ankommt, ob er nach Abschluß des Studiums drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen ist. Diese Frage haben der Beklagte und das FG zu Unrecht verneint.
Der Kläger rügt zu Recht, daß das FG den Begriff der "Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens" zu eng ausgelegt hat. Dieser Begriff ist wegen der durch Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gewährleisteten grundsätzlichen Freiheit der Berufswahl weit auszulegen (vgl. BFH-Urteile VII 48/64, VII R 112/73 und VII R 86/77). Er umfaßt alle Tätigkeiten, die das Steuerwesen zum Gegenstand haben.
Der Umstand, daß der Gesetzgeber den in § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG verwendeten Begriff "Steuerwesen" nicht näher umschrieben hat, kann es nicht rechtfertigen, für seine Auslegung die Vorschriften der §§ 1 ff. StBerG über die "Hilfeleistung in Steuersachen" als maßgeblich heranzuziehen. Denn der Begriff des "Steuerwesens" ist ein anderer als der der "Steuersachen". Durch die Verwendung unterschiedlicher Begriffe ist der objektivierte gesetzgeberische Wille zum Ausdruck gekommen, daß diesen Begriffen nicht der gleiche Inhalt beizumessen ist. Dieser Wille des Gesetzgebers könnte nur dann außer acht gelassen werden, wenn er zu einem unsinnigen Ergebnis führen würde. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine dem Wortlaut des Gesetzes widersprechende Auslegung zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 1973 I R 87/71, BFHE 108, 366, BStBl II 1973, 410). Wie den vom Gesetzgeber in einem einheitlichen Gesetz verwendeten gleichlautenden Begriffen beim Fehlen einer ausdrücklichen gegenteiligen Bestimmung gleiche Bedeutung beizumessen ist (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 1972 VII R 85/69, BFHE 105, 560), muß im umgekehrten Fall den verschiedenen Begriffen eine verschiedene Bedeutung zuerkannt werden. Im vorliegenden Fall liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß dies zu einem unsinnigen Ergebnis führen würde.
Der Begriff "Steuerwesen" umfaßt alles, was mit den Steuern zusammenhängt. Unter "Steuersachen" sind, wie sich aus den §§ 1 ff. StBerG ergibt, hingegen nur die steuerlichen Angelegenheiten der Steuerpflichtigen zu verstehen, also nur ein Teilbereich des Steuerwesens. Die vom FG für eine Gleichsetzung beider Begriffe herangezogene Überlegung, daß der Bewerber für die Steuerberaterprüfung die Zulassung zur Hilfeleistung in "Steuersachen" erstrebe und man deshalb von ihm bereits praktische Erfahrungen in "Steuersachen" fordern müsse, hat der Gesetzgeber offensichtlich nicht geteilt.
Das FG irrt also mit der Meinung, eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens liege nur dann vor, wenn die Tätigkeit im Falle selbständiger Ausübung für Dritte als Hilfeleistung in Steuersachen zu qualifizieren wäre.
Die den Begriff "Steuerwesen" verwendende Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG geht davon aus, daß der Bewerber zunächst eine bestimmte theoretische Vorbildung abgeschlossen haben muß, nämlich ein rechtswissenschaftliches, wirtschaftswissenschaftliches oder anderes wissenschaftliches Hochschulstudium mit wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtung. Sie macht die Zulassung zur Steuerberaterprüfung von dem weiteren Erfordernis abhängig, daß der Bewerber nach dem Abschluß eines solchen Studiums drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens praktisch tätig geworden ist. Der Bewerber muß also das im Hochschulstudium erworbene theoretische Wissen während einer dreijährigen hauptberuflichen Tätigkeit angewandt haben (vgl. BFH-Urteil VII R 86/77), und zwar auf dem Gebiet des Steuerwesens. Demnach sieht der Gesetzgeber einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Inhalt des Studiums und dem des Steuerwesens zumindest darin, daß die theoretischen rechts- oder wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse mit dem Steuerwesen zusammenhängen und auf dessen Gebiet praktisch verwertbar sind. Wie die theoretische rechts- oder wirtschaftswissenschaftliche Vorbildung hat auch die praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens die Zulassung zu einer Prüfung zum Ziel, die sich nicht auf das Steuerrecht beschränkt, sondern damit zusammenhängende andere Sachgebiete zum Gegenstand hat, z. B. die Grundzüge der Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik, die Buchführung und das Bilanzwesen, die Grundzüge des bürgerlichen Rechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, die Bilanzierungsvorschriften des Aktienrechts (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 d, 3 a, 4 a, 4 b und 4 c DVStBerG). Der Begriff des "Steuerwesens" im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG umfaßt daher auch die Randgebiete des Steuerrechts, die für die Steuerberaterprüfung in Betracht kommen, also auch Tätigkeiten, die nur mittelbar das Steuerrecht betreffen (vgl. BFH-Urteil VII R 86/77).
Der Bewerber muß nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG auf dem Gebiet des Steuerwesens "hauptberuflich" praktisch tätig gewesen sein. Er muß also eine seine Arbeitszeit und Arbeitskraft überwiegend beanspruchende praktische Tätigkeit ausgeübt haben, die auf dem Gebiet des Steuerwesens lag (vgl. BFH-Urteil VII R 112/73). Der Schwerpunkt der praktischen Tätigkeit braucht nicht das Steuerrecht zum Gegenstand zu haben; er kann auch in einem anderen Bereich des Steuerwesens liegen, also auch auf einem Sachgebiet, das mit dem Steuerrecht zusammenhängt. Denn das Gesetz verlangt für die hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens nur die Einhaltung eines zeitlichen Mindestmaßes von drei Jahren, nicht aber auch die Erfüllung eines inhaltlichen Mindestmaßes in bezug auf die einzelnen Bereiche des Steuerwesens. Im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG ist daher eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens auch dann gegeben, wenn das hauptberufliche Aufgabengebiet des Bewerbers zwar außerhalb des Steuerrechts liegt, jedoch mit diesem zusammenhängt und daher regelmäßig auch die Befassung mit Steuerfragen erfordert.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG war der Kläger nach Abschluß seines Studiums bei der GmbH mehr als drei Jahre lang im Rahmen eines Dienstverhältnisses beschäftigt. Er schuldete demnach der GmbH seine Arbeitszeit und Arbeitskraft, übte also bei ihr eine hauptberufliche Tätigkeit aus. Es handelte sich um eine praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens. Das gilt schon für seine sechsmonatige Einarbeitungszeit, in der er selbständig Buchführungsarbeiten erledigte (vgl. BFH-Urteil VII 48/64). Für die anschließende Zeit hat das FG festgestellt, daß in ihr der Kläger vor allem im Bereich der Erstellung von Kostenrechnungen und den damit zusammenhängenden Problemen tätig war und mitgewirkt hat bei der Umstellung der Auftragsabrechnung auf eine andere Rechnungsart, der Umstellung von Teilbereichen des Rechnungswesens auf elektronische Datenverarbeitung, beim Aufbau eines betriebswirtschaftlichen Lenkungssystems und bei der Einführung der Plankostenrechnung und der Budgetierung. Für alle diese Tätigkeiten hat das FG ferner festgestellt, daß sich der Kläger bei ihnen auch mit steuerlichen Fragen hat auseinandersetzen müssen, insbesondere mit solchen über Sonderabschreibungsmöglichkeiten, Investitionszuschüsse und Investitionszulagen. Der Kläger war demnach in diesem Abschnitt seiner Dienstzeit hauptsächlich im Rechnungswesen der GmbH beschäftigt. Dieses hängt als Teil der Buchführung mit dem Steuerrecht zusammen und erforderte, daß sich der Kläger auch mit steuerrechtlichen Fragen auseinandersetzte. Einen entsprechenden Inhalt der Tätigkeit des Klägers hat das FG auch für die Zeit festgestellt, in der der Kläger Leiter der Gruppe Betriebswirtschaft und Berichtswesen war. Auch hier handelte es sich um ein mit dem Steuerrecht zusammenhängendes Arbeitsgebiet, weil es insbesondere die Kostenrechnung zum Gegenstand hatte. Schließlich hat das FG für den Bereich, in dem der Kläger Mitberater von Tochtergesellschaften der GmbH in deren Steuerangelegenheiten war und bei der Konstruktion einer Mehr-Mütter-Gesellschaft mitgewirkt hat, eine Befassung des Klägers mit steuerrechtlichen Fragen festgestellt und diese Tätigkeit nur infolge seiner irrigen Rechtsauffassung über den Begriff des "Steuerwesens" nicht als eine solche auf dem Gebiet des Steuerwesens qualifiziert. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen aus, um die Frage, ob der Kläger nach Abschluß seines Studiums drei Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich praktisch tätig gewesen ist, zu bejahen.
Somit war auch der mit der Klage angefochtene Bescheid aufzuheben und der Beklagte gemäß dem Klageantrag zu verpflichten, den Kläger zur Steuerberaterprüfung zuzulassen (§§ 101, 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Fundstellen
Haufe-Index 72947 |
BStBl II 1979, 27 |
BFHE 1979, 107 |