Entscheidungsstichwort (Thema)
Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten und Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
Ein Steuerberater (Rechtsanwalt) muß sein Büro grundsätzlich so organisieren, daß die Einhaltung von Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen auch im Falle seiner Abwesenheit gewährleistet ist. Fehlen entsprechende Anweisungen an das Personal, ist selbst eine plötzliche Erkrankung nicht als Ursache der Säumnis zu werten.
Normenkette
FGO § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klage, mit der sich der Kläger und Revisionskläger (Kläger) dagegen gewandt hatte, daß der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) wegen dreier Veräußerungsvorgänge im Streitjahr 1983 (in Zusammenhang mit weiteren Umständen) im angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid gewerblichen Grundstückshandel angenommen hatte, war vom Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen worden.
Die Revision gegen das - mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene - erstinstanzliche Urteil hatte der erkennende Senat auf entsprechende Beschwerde des Klägers durch Beschluß vom 3. Juli 1991 zugelassen.
Der Zulassungsbeschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers, der das Mandat während des Beschwerdeverfahrens übernommen hatte, am 22.Juli 1991 mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Daraufhin hat der Prozeßbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 9. September 1991, laut Poststempel abgesandt am 10. September 1991, 18.00 Uhr, am 11.September 1991 Revision eingelegt und mit folgender Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt: Er, der Prozeßbevollmächtigte, habe die am 22.August 1991 abgelaufene Revisionsfrist wegen einer plötzlichen Erkrankung versäumt. Vom 20. bis 28. Juni 1991 habe er sich wegen eines Achillessehnenrisses in stationärer Behandlung befunden, danach zwar die Tätigkeit in seinem Büro wieder aufgenommen, sich aber am 12. Juli 1991 unvermutet erneut in das Klinikum begeben müssen. Die Diagnose habe auf Rocidiv-Lungenembolie gelautet. Zunächst sei er in der Intensivstation behandelt worden. Insgesamt habe dieser zweite Klinikaufenthalt vom 12. bis 26. Juli 1991 gedauert. Danach sei er gesundheitlich noch nicht in der Lage gewesen, seine Geschäfte in der Praxis wieder aufzunehmen. Dies sei erst am 2. September 1991 geschehen.
Damit die Arbeit im Büro (mit fünfzehn Angestellten, sieben Auszubildenden) nicht völlig zum Erliegen komme, vor allem im Hinblick auf Mandantenbetreuung und Fristwahrungen, habe sich sein, des Prozeßbevollmächtigten, Vater, der Steuerberater X bereit erklärt, soweit es sein Gesundheitszu- stand zulasse, ,,die wichtigsten Dinge in der Praxis zu überwachen". Der Bürovorsteher und Kollegen, die seine Vertretung so unvermittelt hätten übernehmen können, seien in Urlaub gewesen.
In der Zeit seiner, des Prozeßbevollmächtigten, Abwesenheit sei eine langjährige Angestellte mit dem Postgang und der Überwachung des Fristenkontrollbuches befaßt gewesen. Da Revisionsbegründungen in seiner Praxis nicht die Regel seien (der letzte derartige Vorgang datiere aus dem Jahr 1986), sei ,,die Notwendigkeit der Einlegung der Revision binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses nicht erkannt" und dieser auch seinem Vater nicht vorgelegt worden. - Er selbst habe ihn erst am 6. September 1991 zu sehen bekommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie ist verspätet eingelegt worden. Das bedarf angesichts der zutreffenden Fristberechnung seitens des Prozeßbevollmächtigten keiner weiteren Darlegung. - Die Voraussetzungen für eine Heilung der Fristversäumnis nach § 56 FGO sind nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Abs. 1). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (Abs. 2).
Im Streitfall fehlt es schon an der schlüssigen Darlegung eines Wiedereinsetzungsgrundes: Selbst wenn man die vom Prozeßbevollmächtigten gegebene Sachverhaltsschilderung zugrunde legt, erweist sich als maßgebliche Ursache für die Fristversäumnis nicht die Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten, sondern der Umstand, daß man in seinem Büro die Notwendigkeit fristgerechter Revisionseinlegung nicht erkannt hatte. Dies wiederum ist nach der Darstellung des Prozeßbevollmächtigten darauf zurückzuführen, daß es in seiner Praxis für diesen Fall, weil er so selten vorkam, offenbar generell keine, jedenfalls keine präzisen Anweisungen gab, wie auch daraus hervorgeht, daß die Sache dem Vater des Prozeßbevollmächtigten überhaupt nicht und auch dem Prozeßbevollmächtigten selbst nicht sogleich nach dessen Rückkehr, sondern erst vier Tage später vorgelegt wurde. Der Fall wurde allem Anschein nach von Anfang an nicht ausreichend überwacht - und dies, obgleich er geraume Zeit vor der ersten Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten, im Oktober 1990, übernommen worden war, zudem in einem Stadium des Verfahrens, in dem mit dem Ergehen einer Beschwerdeentscheidung und dem Beginn des Fristenlaufs jederzeit gerechnet werden mußte.
Der Hinweis darauf, daß Revisionen in der Praxis des Prozeßbevollmächtigten ,,nicht der Regelfall" seien, ist zur Entlastung keineswegs geeignet. Im Gegenteil hätte gerade dies den Prozeßbevollmächtigten in besonderem Maße veranlassen müssen, konkrete Maßnahmen zur Fristwahrung zu treffen bzw. bei den zuständigen Mitarbeitern in Erinnerung zu rufen; denn es gehörte zu seinen wichtigsten Pflichten, durch die Organisation seines Büros vor allem auch für den Fall seiner Abwesenheit sicherzustellen, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (vgl. u.a. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1977 II R 40/72, BFHE 121, 164, BStBl II 1977, 290; vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, 277, BStBl II 1989, 266, 268, und vom 13. November 1989 III B 107/88, BFH/NV 1990, 649; Gräber, FGO, 2. Aufl., 1987, § 56 Rz.36 m.w.N.). Daß dies nicht geschah, hat mit den Erkrankungen des Prozeßbevollmächtigten offensichtlich nichts zu tun (wie sich auch darin zeigt, daß der Prozeßbevollmächtigte selbst nach der verspäteten Vorlage nicht sofort tätig wurde), sondern ist als Organisationsmangel zu werten, der eine Anwendung des § 56 FGO unabhängig davon ausschließt, ob man unter Verschulden i.S. dieser Vorschrift leichte Fahrlässigkeit versteht (Gräber, a.a.O., Rz.14 m.w.N.) oder in diesem Zusammenhang verlangt, daß die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt beachtet wird (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 29. September 1971 I R 174/70, BFHE 103, 135, BStBl II 1972, 19, und vom 23. Mai 1989 VII R 67/88, BFH/NV 1990, 244, 245, weitere Nachweise bei Gräber, a.a.O.).
Dieses Verschulden seines rechtsgeschäftlichen Vertreters muß sich der Kläger zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 51 Abs. 2 und § 85 Abs. 2 ZPO; Gräber, a.a.O., Rz.6 m.w.N.).
Etwaige Lücken in der Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts können nach Ablauf der Begründungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden (vgl. Beschluß des BGH vom 28. Februar 1991 IX ZP 5/90, BB 1991, 1222); sie gehen zu Lasten des Betroffenen. Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BGH-Beschluß vom 26. September 1991 I ZB 12/91, NJW 1992, 574). - Auf die fehlende (grundsätzlich nachholbare) Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe kommt es unter diesen Umständen nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 418955 |
BFH/NV 1993, 427 |