Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerliche Behandlung von Einzelfilmkabinen in sog. Pornoläden

 

Leitsatz (NV)

1. Ermöglicht es ein Unternehmer seinen Kunden, in Einzelkabinen mittels Geldeinwurfs Videofilme pornographischen Inhalts zu betrachten, so kann diese Leistung eine gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchstabe b UStG 1980 begünstigte Filmvorführung darstellen.

2. Eine Filmvorführung ist anknüpfend an die Begriffsbestimmung in § 19 Abs. 4 Satz 1 UrhG gegeben, wenn ein Filmwerk durch technische Einrichtungen öffentlich wahrgenommen werden kann.

 

Normenkette

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b; UrhG § 15 Abs. 3, § 19 Abs. 4 S. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb im Streitjahr (1983) einen sog. Videotreff. Hieraus erzielte sie u.a. Umsätze aus dem Abspielen von Videofilmen pornographischen Inhalts. Das Programm bestritt sie mit Kassetten, deren Vorführung ihr aufgrund eines mit der GÜFA abgeschlossenen Vertrags gestattet war.

Die Klägerin hält für das Betrachten der Videofilme 24 ca. 1 qm große, abschließ- und nicht einsehbare Kabinen bereit, die in Leichtbauweise errichtet und in einem ohne weiteres zugänglichen Raum aufgestellt sind. In den Kabinen befinden sich neben einem Besuchersitz eine Papierrolle, ein Papierkorb, ein Spiegel, ein Monitor und ein Münzeinwurfgerät. Wirft ein Kunde eine Münze ein, so wird ein Videofilm pornographischen Inhalts für eine bestimmte vom Geldbetrag abhängige Dauer sichtbar. Dabei hat der Kunde die Möglichkeit, über einen Programmwahlschalter zwischen acht verschiedenen Filmen zu wählen. Die Filme werden über acht Videorecorder, die zentral in einem separaten Büroraum der Klägerin aufgestellt sind, laufend abgespielt. Jeder Videorecorder ist über ein Leitungssystem an sämtliche Kabinen angeschlossen. Die Filme werden auf den Monitoren sichtbar gemacht und von dort aus auf an den Türinnenseiten befestigte Spiegel projeziert. Der Kunde sitzt dem Spiegel gegenüber und betrachtet den jeweiligen Filmstreifen. Gegen einen Mindesteinwurf von 1 DM wird auf diese Weise ein Film für etwa 90 Sekunden wahrnehmbar gemacht.

In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr berechnete die Klägerin die Umsatzsteuer für die aus der Videoschau erzielten Umsätze nach dem ermäßigten Umsatzsteuersatz.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ging im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung davon aus, die Darbietung der Videofilme in den Kabinen sei keine steuerbegünstigte Filmvorführung und unterwarf die Umsätze dem vollen Steuersatz. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 259 veröffentlichten Urteil die Umsatzsteuer antragsgemäß fest.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf Verletzung materiellen Rechts (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980) stützt. Es vertritt die Auffassung, das FG habe verkannt, daß die Klägerin nicht nur Videofilme zeige, sondern ihren Kunden auch eine abschließbare Einzelkabine zur Verfügung stelle. Die Darbietung der Filme trete hinter die Verbindung beider Faktoren (Videoschau und Raumüberlassung) zurück. Überdies handle es sich bei den Videodarbietungen um umsatzsteuerrechtlich nicht begünstigte Selbstvorführungen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat die von der Klägerin in ihren Filmkabinen erbrachten Leistungen zutreffend dem ermäßigten Steuersatz unterworfen.

Nach den mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des FG hat die Klägerin pornographische Videofilme in Einzelkabinen gegen Entgelt gezeigt. Diese Feststellungen sind für die rechtliche Beurteilung im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Ausführungen des FA, die Klägerin habe es ihren Kunden ermöglicht, ungestört und unbehindert pornographische Filmausschnitte zu betrachten und dadurch die Befriedigung sexueller Bedürfnisse zu erreichen, können als neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz nicht verwertet werden.

Die rechtliche Beurteilung der vom FG festgestellten Leistung als Filmvorführung, die dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b UStG 1980 unterliegt, hält den Revisionsangriffen stand.

1. Eine Filmvorführung i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b UStG 1980 ist gegeben, wenn ein Filmwerk durch technische Einrichtungen öffentlich wahrgenommen werden kann. Der Senat knüpft dabei an den Begriff der Filmvorführung in § 19 Abs. 4 Satz 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) an (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1984 V R 96/84, BFHE 142, 319, BStBl II 1985, 271).

a) Unter Filmwerk ist eine bewegte Bildfolge zu verstehen, die durch Aneinanderreihen aufgenommener Einzelbilder geschaffen wird (vgl. Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, Kommentar 1970, § 2 Anm. 8a; Katzenberger in Schricker, Urheberrecht, Kommentar, vor §§ 88ff. Rdnr. 20 m.w.N.). Hierunter fällt auch die bespielte Videokassette (Urteil in BFHE 142, 319, BStBl II 1985, 271; Birkenfeld, Großes Umsatzsteuerhandbuch, IV Rdnr. 92; Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b Rdnr. 12).

b) Die Klägerin hat ihre Videofilme in den Filmkabinen auch öffentlich wahrnehmbar gemacht.

Die Wiedergabe eines Films ist gemäß § 15 Abs. 3 UrhG öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, es sei denn, daß der Kreis dieser Personen bestimmt abgegrenzt ist und sie durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehungen zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen bei der gewerblichen Darbietung von Videofilmen in allgemein zugänglichen Einzelkabinen vor. Für den Begriff der öffentlichen Wiedergabe kommt es - wie sich auch aus dem Verwertungstatbestand des § 20 UrhG (Senderecht) ergibt - nicht darauf an, ob die Adressaten gemeinsam in einem Raum anwesend sind (herrschende Meinung, vgl. von Ungern-Sternberg in Schricker, a.a.O., § 15 Rdnr. 29; von Gamm, Urheberrechtsgesetz, Kommentar, § 15 Rdnr. 17). Dies gilt auch für den im Streitfall bedeutsamen Verwertungstatbestand des § 19 Abs. 4 UrhG.

c) Die Klägerin hat die von ihr gezeigten Videofilme ihren Besuchern auch wahrnehmbar gemacht. Sie hat nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG acht Videorecorder, die sie zentral in einem separaten Büroraum aufgestellt hat, laufend abgespielt, wobei jeder Videorecorder über ein Leitungssystem an sämliche Kabinen angeschlossen ist. Sie hat damit die Filme mittels technischer Einrichtung für ihre Kunden wahrnehmbar gemacht (vgl. zu den vergleichbaren Hotelvideos auch Eugen Ulmer, Urheber- und Vertragsrecht, 3. Aufl., § 53 III, S. 254 m.w.N.).

d) Entgegen der Auffassung des FA liegt im Streitfall eine umsatzsteuerrechtlich unbeachtliche Selbstvorführung nicht vor; denn die Leistungsempfänger der Klägerin haben keine von ihnen zuvor gekauften oder gemieteten Videokassetten betrachtet (vgl. dazu BFH in BFHE 142, 325, BStBl II 1985, 271).

2. Die an § 19 Abs. 4 UrhG orientierte Bewertung der von der Klägerin in ihren Einzelkabinen gezeigten Videofilmen als Filmvorführung i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b UStG 1980 widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Aus den Erörterungen des Finanzausschusses zur Frage der Einbeziehung des Rundfunks und des Fernsehens in die Mehrwertsteuer ergibt sich nur, daß die Filmwirtschaft, die in Konkurrenz zu den öffentlich-rechtlichen Medien tritt, begünstigt werden sollte (vgl. BTDrucks V/1581, S. 3 zu Nr. 4. c). Dieser Zweck wird auch bei der hier streitigen Videoschau erfüllt.

3. Ohne Rechtsirrtum sah das FG aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts in dem Zurverfügungstellen der Kabine eine Nebenleistung (vgl. dazu BFH-Urteile vom 8. Oktober 1991 V R 46/88, BFHE 167, 200, BStBl II 1992, 368 unter II.2. d); vom 10. September 1992 V R 99/ 88, BFHE 169, 255, BStBl II 1993, 316, unter II.1. c) m.w.N.) zur Filmvorführung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419280

BFH/NV 1994, 587

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