Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bemessung der Rückstellung für Wechselobligo können Umstände, die nicht mit den einzelnen Forderungen unmittelbar zusammenhängen, sondern zum allgemeinen Konjunktur- und Geschäftsrisiko gehören (z. B. einseitige Zusammensetzung des Kundenkreises, geringes Eigenkapital bei hohem Wechselobligo, Kosten der Aufnahme von Bankkrediten oder Skontoverluste bei Lieferanten), nicht berücksichtigt werden.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Ziff. 3
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuerveranlagungen 1955 bis 1957 die Höhe einer Rückstellung für das Wechselobligo.
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) betrieb einen Handel mit landwirtschaftlichen Maschinen und Kraftfahrzeugen. Er verkaufte diese weitgehend auf Kredit unter Einschaltung einer Finanzierungsbank.
Auf Vorschlag des Betriebsprüfers setzte das Finanzamt (FA) in den berichtigten Einkommensteuerbescheiden für 1955 und 1956 und in dem erstmaligen Einkommensteuerbescheid für 1957 die Pauschalrückstellung auf das Wechselobligo von 5 v. H. auf 2 v. H. herab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Auf die Berufung des Stpfl. berücksichtigte die Vorinstanz ein "Wechseldelkredere" in Höhe von 3 1/2 v. H. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) u. a. folgendes aus.
Durch das ungünstige Verhältnis zwischen Eigenkapital und Forderungsbestand könne der Betrieb in Krisenzeiten gefährdet werden. Dieser Umstand sei bei der Bemessung des Delkrederes ebenso wie die Eigentümlichkeit der Kundschaft zu berücksichtigen, die sich ausschließlich aus Landwirten zusammensetze. Die Landwirtschaft müsse schwerer um ihre Existenz kämpfen als andere Wirtschaftszweige. Sie sei ein besonders gefährdeter Berufsstand, witterungsabhängig und katastrophenempfindlich. Wenn der Stpfl. sich auch auf Verlangen der Finanzierungsinstitute soweit wie irgend möglich gesichert habe (Prüfung der Bonität und Eigentumsvorbehalt), sei doch die Zahlungsfähigkeit bei der Landwirtschaft im voraus nicht sicher zu beurteilen; es käme nicht auf die Zahlungsfähigkeit bei Wechselhingabe, sondern bei der Fälligkeit an. Schließlich sei der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu berücksichtigen. Rechtsprechung und Verwaltung hätten wegen des allen größeren Forderungsbeständen gemeinsam innewohnenden generellen Kreditrisikos in aller Regel einen Delkrederesatz von 5 v. H. anerkannt. Danach könne das Delkredere von 3 1/2 v. H. nicht als übersetzt und willkürlich bemessen angesehen werden.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rb. des FA ergibt folgendes:
Nimmt der Kaufmann zur Begleichung von Warenforderungen von den Kunden Wechsel an, die er von einer Bank diskontieren läßt oder zur Begleichung eigener Schulden verwendet, so kann er wegen des Risikos in denjenigen Wechseln, die er am Bilanzstichtag weitergegeben hat und die noch nicht eingelöst sind, eine Rückstellung bilden. Das Risiko liegt darin, daß er damit rechnen muß, vom Wechselgläubiger aus dem Indossament in Anspruch genommen zu werden, wenn der Kunde diesen Wechsel nicht einlöst (vgl. die Urteile des BFH I 60/57 U vom 1. April 1958, BFH 67, 47, BStBl III 1958, 291; VI 328/60 vom 28. Juni 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 5 Rechtsspruch 377, und VI 299/62 vom 8. April 1964, StRK, Einkommensteuergesetz, § 6 Abs. 1 Ziff. 2, Rechtsspruch 149. Die eine solche Rückstellung ablehnenden Urteile III 345/57 S vom 8. Januar 1960, BFH 70, 222, BStBl III 1960, 83, und III 366/58 U vom 7. Oktober 1960, BFH 71, 690, BStBl III 1960, 508, stehen dieser Auffassung nicht entgegen, weil sie nur das Bewertungsrecht betreffen).
Das nach Ansicht des Stpfl. und des FG besonders niedrige Eigenkapital ist für die Bemessung der Rückstellung unerheblich. Es ist nicht ersichtlich, was aus dem Verhältnis der Forderungen zum Eigenkapital für die Höhe des Risikos in weitergegebenen Wechseln, die als Forderungen nicht mehr in Erscheinung treten, hergeleitet werden soll. Denn der Grund für die Bildung der Rückstellung liegt darin, daß der Stpfl. mit einer Inanspruchnahme rechnen muß, wenn seine Kunden die Wechsel nicht einlösen. Das Risiko liegt also in den Verhältnissen seiner Kunden begründet. Die möglichen Rückwirkungen allgemeiner Art auf den Betrieb des Stpfl. können nicht berücksichtigt werden. Maßgebend für das Ausfallwagnis und damit für die Höhe der Rückstellung ist die Bonität der Kunden und nicht die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens des Stpfl. Ein verhältnismäßig geringes Eigenkapital bei hohem Wechselobligo könnte den Geschäftswert beeinflussen, muß aber bei den Erwägungen über die Höhe der zulässigen Rückstellung für Wechselobligo ausscheiden (vgl. auch das BFH-Urteil I 267/55 vom 5. Juni 1956, StRK, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 207).
Den Ausführungen der Vorinstanz kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie die Rückstellung damit begründet, die Kundschaft des Stpfl. setze sich ausschließlich aus Landwirten zusammen. Die einseitige Zusammensetzung des Kundenkreises ist zum allgemeinen Konjunktur- und Geschäftsrisiko zu rechnen, das sich unter Umständen beim Geschäftswert ungünstig auswirken kann. Auf die Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter des Betriebs hat sie in der Regel keinen Einfluß. Das gilt auch für die Bewertung der Forderungen (vgl. BFH-Urteile I 118/55 U vom 3. Juli 1956, BFH 63, 133, BStBl III 1956, 248; I 99/56 U vom 4. Dezember 1956, BFH 64, 43, BStBl III 1957, 16, und I 40/61 vom 6. August 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 337). In dem angeführten Urteil I 99/56 U wird mit Recht darauf hingewiesen, eine Berücksichtigung etwaiger negativer, mit dem Geschäftsbetrieb als solchen zusammenhängender Momente bei der Ermittlung des Teilwerts der Forderungen (und ebenso der Rückstellung für das Wechselobligo) könne auch deshalb nicht zutreffend sein, weil die entsprechenden positiven, zu einer Steigerung des Geschäftswerts führenden Momente zu keiner Erhöhung des Teilwerts einzelner Wirtschaftsgüter führen dürften. Diese Erwägung ist auch für den Streitfall von Bedeutung. Ohne die umfangreiche und nachhaltige Förderung der Landwirtschaft durch die öffentliche Hand - nicht zuletzt in bezug auf die Anschaffung landwirtschaftlicher Maschinen - hätte der Stpfl. vermutlich seine hohen Umsätze und Gewinne nicht erzielen können. Das übliche Witterungsrisiko, dem die Landwirtschaft überall ausgesetzt ist, wirkt sich zudem, wie auch der Stpfl. einräumt, in aller Regel nur in örtlich begrenztem Umfang aus und kann, wie auch die Entwicklung in der Vergangenheit gezeigt hat, schon aus diesem Grunde bei dem verhältnismäßig großen Geschäftsbereich des Stpfl. auf die Bonität seiner Kundenforderungen keinen nennenswerten Einfluß haben. Naturkatastrophen großen Ausmaßes kommen so selten vor, daß sie als ungewisse Risiken bei der Bemessung des Delkrederes wie bei der Rückstellung für Wechselobligo ausscheiden (vgl. das Urteil I 128/60 S vom 9. Mai 1961, BFH 73, 187, BStBl III 1961, 336, und das angeführte BFH-Urteil I 60/57 U).
Nicht berücksichtigt werden können bei der Bemessung der Rückstellung für Wechselobligo ebenso wie bei der Bemessung des Delkredere auch entferntere, indirekte Folgen einer nicht fristgemäßen Zahlung, so die Möglichkeit, daß der Kaufmann aus diesem Grunde zusätzliche Bankkredite aufnehmen oder Skontoverluste bei seinen Lieferanten in Kauf nehmen muß. Es handelt sich hier um selbständige Betriebsvorgänge, die sich in dem Jahr, in dem sie vorkommen, gewinnmindernd auswirken (BFH- Urteil I 60/57 U).
Auch soweit sich die Vorinstanz darauf stützt, Rechtsprechung und Verwaltung würden in aller Regel einen Delkrederesatz von 5 v. H. anerkennen, kann ihr nicht gefolgt werden. Denn die Höhe des Delkredere und ebenso der Rückstellung für Wechselobligo richtet sich nach den Verhältnissen des einzelnen Betriebes. Eine Typisierung der Delkredere-Sätze oder der pauschalen Rückstellung für Wechselobligo in der von der Vorinstanz dargelegten Form würde der ständigen Rechtsprechung widersprechen (vgl. insbesondere das BFH-Urteil I 208/61 U vom 26. April 1963, BFH 77, 56, BStBl III 1963, 338).
Fundstellen
Haufe-Index 412432 |
BStBl III 1967, 335 |
BFHE 1967, 201 |
BFHE 88, 201 |
BB 1967, 574 |
DB 1968, 12 |
DStR 1967, 355 |