Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des DBA-Italien 1925 auf Arbeitnehmer öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute italienischen Rechts
Leitsatz (NV)
1. Art. 7 Abs. 2 DBA-Italien 1925 ist unabhängig davon anzuwenden, ob die Bezüge für Dienstleistungen entrichtet werden, die nicht den hoheitlichen Aufgaben der juristischen Person des öffentlichen Rechts zuzuordnen sind.
2. Aus Art. 7 Abs. 2 i.V. mit Art. 11 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien 1925 ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Steuerfreiheit nur dann eingreifen soll, wenn entweder der betroffene Arbeitnehmer eine hoheitliche Tätigkeit ausübt oder doch zumindest auch in Italien mit seinen Einkünften steuerpflichtig ist oder die italienische Staatsangehörigkeit besitzt.
3. Ist ein unbeschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer, der nicht die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, im Inland für einen Arbeitnehmer tätig, der ein nach italienischem öffentlichen Recht errichtetes Kreditinstitut ist, so sind seine Einkünfte i.S. des § 19 EStG im Inland steuerfrei.
Normenkette
DBA-Italien 1925 Art. 7 Abs. 2, Art. 11 S. 1 Nr. 1 Buchst. d
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1989 ihren einzigen Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) hatten und für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger war ab dem 1. April 1989 bei der Zweigniederlassung X eines nach italienischem Recht errichteten Kreditinstituts des öffentlichen Rechts angestellt. Er erzielte im Streitjahr aus dieser Tätigkeit einen Bruttoarbeitslohn von 53756 DM.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1989 behandelten die Kläger die Einkünfte aus der o.g. Tätigkeit als nach dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiet der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 - DBA-Italien 1925 - (RGBl II 1925, 1146) steuerfrei. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Einkommensteuerbescheid 1989 vom 17. Mai 1990 nicht. Gegen den Bescheid legten die Kläger erfolglos Einspruch ein.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verfahrensmängel und die Verletzung des Art. 7 Abs. 2 DBA-Italien 1925.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die vom FA erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
2. Nach § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG).
Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Kläger im Streitjahr 1989 ihren einzigen Wohnsitz in der Bundesrepublik hatten. Sie waren deshalb hier unbeschränkt steuerpflichtig. Der Kläger erzielte einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 53756 DM aus seiner Tätigkeit für die Zweigniederlassung X eines nach italienischem Recht errichteten Kreditinstituts öffentlichen Rechts. Dieser Arbeitslohn gehört zu den steuerbaren Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit i.S. der §§ 2 Abs. 1 Nr. 4 und 19 EStG.
3. Nach Art. 7 Abs. 2 DBA-Italien 1925 werden jedoch Sachsteuern u.a. von Einkünften, die aufgrund einer gegenwärtigen Dienstleistung in der Form von Besoldungen durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts gewährt werden, die nach der inneren Gesetzgebung der vertragsschließenden Staaten ordnungsgemäß errichtet ist, nur von dem Staat erhoben, dem der Schuldner angehört. Nach Art. 11 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien 1925 gilt Entsprechendes für Sachsteuern auf Bezüge aus Arbeit, die von Körperschaften des öffentlichen Rechts gezahlt werden. Gemäß Art. 1 Abs. 5 Nr. 1 DBA-Italien 1925 ist die deutsche Einkommensteuer zu den Sachsteuern im Sinne des Abkommens zu rechnen.
Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß das Kreditinstitut, für dessen Zweigniederlassung der Kläger tätig war, nach italienischem öffentlichen Recht errichtet wurde. Insoweit erfüllt der vom Kläger erzielte Bruttoarbeitslohn alle in Art. 7 Abs. 2 DBA-Italien 1925 aufgeführten Tatbestandsmerkmale. Ferner hat der erkennende Senat zu Art. 7 Abs. 2 DBA-Italien 1925 durch Urteil vom 1. Februar 1989 I R 74/86 (BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4) entschieden, daß die Vorschrift unabhängig davon anzuwenden sei, ob die Bezüge für Dienstleistungen entrichtet werden, die nicht den hoheitlichen Aufgaben der juristischen Person des öffentlichen Rechts zuzuordnen sind. Soweit die deutsche und die italienische Finanzverwaltung eine abweichende Rechtsauffassung vertreten (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 4. April 1975 IV C 5 - S 1301 I t - 10/75, BSTBl I 1975, 386), sind die FG daran nicht gebunden, weil sie dem Art. 7 Abs. 2 DBA-Italien 1925 widerspricht. An dieser Rechtsauffassung hält der erkennende Senat fest. Sie führt auch im Streitfall zur Steuerfreiheit der vom Kläger erzielten Einkünfte im Inland.
4. Nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien 1925 sind die vom Kläger erzielten Einkünfte im Inland steuerfrei. Aus den genannten Vorschriften ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Steuerfreiheit nur dann eingreifen soll, wenn entweder der betroffene Arbeitnehmer eine hoheitliche Tätigkeit ausübt oder doch zumindest auch in Italien mit seinen Einkünften steuerpflichtig ist oder die italienische Staatsangehörigkeit besitzt.
Gegen eine entsprechende teleologisch reduzierte Auslegung von Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien 1925 spricht die ganz einhellig in Rechtsprechung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 29. Februar 1940 III 206/39, RFHE 48, 191, RStBl 1940, 532; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. September 1972 I R 130/70, BFHE 107, 158, BStBl II 1973, 57; vom 31. Juli 1974 I R 27/37, BFHE 113, 437, BStBl II 1975, 61) und Schrifttum (vgl. K.Vogel, DBA, 2. Aufl., Einltg., Rdnr. 46; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, S.624ff.; Debatin, Betriebs-Berater - BB - 1992, 1181, 1183) vertretene Auffassung, daß die DBA schon die virtuelle Doppelbesteuerung vermeiden wollen. Dies bedeutet, daß die Steuerbefreiung in dem einen Vertragsstaat (hier: Bundesrepublik) unabhängig davon gelten soll, ob in dem anderen Vertragsstaat (hier: Italien) eine Besteuerung der Einkünfte rechtlich möglich ist und tatsächlich durchgeführt wird. Der deutsche Gesetzgeber hat die Geltung dieses Grundsatzes z.B. in Art. 4 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16. Juni 1959 - DBA-Niederlande - (BGBl II 1960, 1781, BStBl I 1960, 381) anerkannt. Durch die Vorschrift wurden hypothekarisch oder grundpfandrechtlich gesicherte Zinsen, die ein in der Bundesrepublik unbeschränkt Steuerpflichtiger aus den Niederlanden erzielte, im Inland steuerfrei gestellt, obwohl sie auch in den Niederlanden nicht besteuert wurden. Die Rechtslage ist erst durch die Änderung des DBA-Niederlande vom 21. Mai 1991 (BGBl II 1991, 1428, BStBl I 1992, 94) eine andere geworden. Der Grundsatz des Verbots der virtuellen Doppelbesteuerung wird zwar durch sog. subject to tax clause eingeschränkt (vgl. K.Vogel, a.a.O., Art. 4 Rdnr. 15, Vor Art. 6 bis 22 Rdnrn. 10 und 19). Derartige Klauseln sind jedoch erst in jüngeren DBA enthalten. Sie gewähren eine Steuerbefreiung im Inland nur unter dem Vorbehalt, daß die freizustellenden Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat steuerpflichtig sind. Das DBA-Italien 1925 enthält keine solche Klausel.
Auch wenn eine allgemeine Vermutung dafür spricht, daß die Vertragsstaaten durch den Abschluß eines DBA keine sog. weißen Einkünfte begründen wollten, so kann doch eine entsprechende Auslegung des DBA-Italien 1925 nicht von vornherein als unsinnig und deshalb als nicht gewollt bezeichnet werden. Es sind z.B. Qualifikationskonflikte denkbar, die die Vertragsstaaten bei Abschluß des DBA nicht gesehen haben. Diese Möglichkeit gilt insbesondere für das DBA-Italien 1925, weil es auf der Hand liegt, daß die Vertragsstaaten am 31. Oktober 1925 nicht die bis zum Jahre 1989 eintretende wirtschaftliche Entwicklung übersehen konnten. Möglicherweise wurde damals nicht in Betracht gezogen, daß öffentlich-rechtliche Kreditinstitute des einen Vertragsstaates eine Zweigniederlassung in dem anderen Vertragsstaat eröffnen könnten. Darüber hinaus können Qualifikationskonflikte auch durch nachträgliche Änderungen des nationalen Rechts bzw. der Rechtsprechung zum nationalen Recht entstehen. Auch diese Möglichkeit ist insbesondere bei der Auslegung des DBA-Italien 1925 in Betracht zu ziehen, weil erst aufgrund des Art. 3 Abs. 3 Buchst. c des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 917/1986 Einkünfte aus einer im Ausland dauerhaft ausgeübten unselbständigen Tätigkeit, die ausschließlich Gegenstand des Arbeitsvertrages ist, von der Besteuerungsgrundlage der italienischen Steuer ausgenommen wurden. Diese Regelung kann jedoch den Inhalt des Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien 1925 nicht verändert haben. Sie ist gleichzeitig Indiz dafür, daß die Rechtslage vorher zumindest unklar war.
Entgegen der Auffassung des FA kann die in Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien 1925 getroffene Regelung nicht nur auf italienische Staatsangehörige angewendet werden. Eine solche Rechtsauffassung hätte zur Folge, daß der im Inland tätige Angestellte eines nach italienischem Recht errichteten Kreditinstituts öffentlichen Rechts weiße Einkünfte erzielen würde, wenn er die italienische Staatsangehörigkeit besäße, während er als Deutscher oder Staatenloser steuerpflichtige Einkünfte erzielte. Eine derartige Unterscheidung wäre willkürlich und unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht hinnehmbar.
Zwar ist dem FA darin zuzustimmen, wenn es der Auffassung ist, daß die Regelungen des DBA-Italien 1925 schon lange nicht mehr den Anforderungen entsprechen, die an ein modernes DBA zu stellen sind. Jedoch hat es der Gesetzgeber zu vertreten, wenn er derart lange an dem DBA-Italien 1925 festhält.
Fundstellen
Haufe-Index 419226 |
BFH/NV 1994, 11 |