Leitsatz (amtlich)
Ein Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 EStG für ein Stiefkind steht einem Steuerpflichtigen nur zu, wenn die das Kindschaftsverhältnis begründende Ehe vor dem 1. September des Veranlagungsjahres geschlossen worden ist.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Tatbestand
Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1964 begehrte die Steuerpflichtige die Gewährung von Kinderfreibeträgen für zwei Stiefkinder. Die Steuerpflichtige ist seit Oktober 1964 verheiratet. Aus der ersten Ehe ihres Mannes stammen zwei Kinder unter 18 Jahren. Die Steuerpflichtige wurde für 1964 nach § 26a EStG getrennt veranlagt. Kinderfreibeträge wurden ihr dabei nicht gewährt.
Die Klage der Steuerpflichtigen wurde vom FG durch das in EFG 1966, 460 veröffentlichte Urteil abgewiesen, weil das erst durch die Ehe begründete Kindschaftsverhältnis im Streitjahr weniger als vier Monate bestanden habe. Bei in der Ehe geborenen Kindern müsse das Kind im Veranlagungszeitraum wenigstens vier Monate gelebt haben, damit ein Kinderfreibetrag gewährt werden könne. Werde ein Kindschaftsverhältnis in anderer Weise als durch die Geburt begründet, so müsse auch dieses Kindschaftsverhältnis im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate bestanden haben.
Die Revision der Steuerpflichtigen rügt Verletzung geltenden Rechts. Sie macht geltend, § 32 Abs. 2 Nr. 1 EStG fordere für den Kinderfreibetrag lediglich, daß das Kind im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet habe. Das FG habe diese Vorschrift einengend gegen ihren Wortlaut ausgelegt. Das sei nach den Entscheidungen des BVerfG 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952 (BVerfGE 1, 299) und des BFH 1 115/56 U vom 11. Dezember 1956 (BFH 64, 127, BStBl III 1957, 49) und VI 125/56 vom 6. September 1957 (BFH 65, 403, BStBl III 1957, 387) nicht zulässig. Im Urteil VI 319/60 U vom 6. Dezember 1961 (BFH 74, 328, BStBl III 1962, 126) habe der BFH eine Kinderermäßigung gewährt, obwohl das Kindschaftsverhältnis weniger als vier Monate bestanden habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Das Urteil des FG entspricht der sich aus § 32 Abs. 2 EStG ergebenden Rechtslage. Aus der Fassung des § 32 Abs. 2 Nr. 1 EStG kann die Steuerpflichtige die von ihr vertretene Auffassung nicht herleiten.
Daß die Fassung der Vorschrift in ihrer Kürze zu Mißverständnissen führen kann, hat der BFH bereits in dem Urteil IV 136/51 U vom 2. Mai 1951 (BFH 55, 332, BStBl III 1951, 127) für die entsprechende Vorschrift des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1949 ausgesprochen. Er hat die Vorschrift unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und den Sinn der gesetzlichen Regelung dahin ausgelegt, daß für ein in der Ehe geborenes Kind das Kindschaftsverhältnis im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate bestanden haben muß. Dieser Auslegung ist auch der erkennende Senat in dem Urteil VI 23/57 U vom 26. September 1958 (BFH 67, 503, BStBl III 1958, 466) gefolgt.
Bei einem in der Ehe geborenen Kind ist danach Voraussetzung für die Gewährung eines Kinderfreibetrags, daß das Kindschaftsverhältnis mindestens vier Monate bestanden hat. Ist ein Kindschaftsverhältnis zu Kindern im Sinn des § 32 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b bis f EStG in anderer Weise als durch die Geburt begründet worden, so kann nichts anderes gelten. Auch für solche Kinder kann ein Kinderfreibetrag nur gewährt werden, wenn das Kindschaftsverhältnis mindestens vier Monate vor Ablauf des Veranlagungszeitraums begründet worden ist. Dieser Auslegung der Vorschrift folgen auch die EStR 1967 in Abschn. 178 Abs. 1, indem sie davon ausgehen, daß der Zeitpunkt der anderweitigen Begründung eines Kindschaftsverhältnisses an die Stelle des Zeitpunkts der Geburt tritt, so daß z. B. bei einem ehelichen Stiefkind der Tag der Eheschließung des Steuerpflichtigen maßgeblich ist. Auf die Dauer des ehelichen Kindschaftsverhältnisses stellt auch das Urteil des Senats VI 121/63 S vom 16. August 1963 (BFH 77, 460, BStBl III 1963, 488) ab, nach dem ein Kinderfreibetrag für ein Stiefkind nicht mehr gewährt werden kann, wenn das auf dem Band der Ehe beruhende Kindschaftsverhältnis zum Stiefkind nicht mehr besteht.
Es kann für den Streitfall dahingestellt bleiben, ob ein Kindschaftsverhältnis zum Stiefkind trotz Scheidung der Ehe weiterbestehen kann. Jedenfalls muß für die Auslegung des § 32 Abs. 2 Nr. 1 EStG immer darauf abgestellt werden, daß das Kindschaftsverhältnis im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate bestanden hat. Das EStG will einen Kinderfreibetrag, durch den die Aufwendungen der Eltern für das Kind pauschal abgegolten werden, nicht schlechthin gewähren, sondern spezifizierend darauf abstellen, daß eine Mindestfrist von vier Monaten gewahrt ist. Wenn nach dem EStG bei ehelichen Kindern der Zeitpunkt ihrer Geburt für die Mindestfrist maßgeblich ist, ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes, daß bei anderen Kindern auf den Zeitpunkt der Begründung des Kindschaftsverhältnisses abgestellt werden muß. Wäre die Auffassung der Steuerpflichtigen zutreffend, so wären eheliche Kinder hinsichtlich der Gewährung eines Kinderfreibetrags schlechter gestellt als andere Kinder, für die ein Kinderfreibetrag gewährt werden kann. Nur eine Auslegung des § 32 Abs. 2 EStG, die eine solche unterschiedliche Behandlung vermeidet, steht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem durch Art. 6 Abs. 1 GG geforderten Schutz von Ehe und Familie in Einklang.
Das von der Revision angeführte Urteil des Senats VI 319/60 U (a. a. O.) zwingt nicht zu einer Gesetzesauslegung im Sinn der Revisionsgründe. Die in diesem Urteil vertretene Auslegung des § 32 EStG vermeidet eine offensichtlich vom Gesetz nicht gewollte Härte für einen Fall, bei dem das Kindschaftsverhältnis durch den Tod des Steuerpflichtigen vorzeitig beendet war. Es handelte sich dabei um ein eheliches Kind, in dessen Person die in § 32 Abs. 2 Nr. 1 EStG geforderten Voraussetzungen erfüllt waren. Hier war das Kindschaftsverhältnis in dem erforderlichen Umfange wenigstens in der Person des einen Beteiligten erfüllt, während es im vorliegenden Fall weder bei den "Kindern" noch der Steuerpflichtigen erfüllt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 68177 |
BStBl II 1968, 739 |
BFHE 1968, 237 |