Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Steuerberaterprüfung: Aufhebung des FG-Urteils wegen Verfahrensfehler
Leitsatz (NV)
Zur Aufhebung des FG-Urteils wegen nicht ausreichender Feststellungen zu den berufspraktischen Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung (Verstoß gegen die Verpflichtung zur Entscheidung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, Sachaufklärung von Amts wegen).
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 126 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4; StBerG § 36 Abs. 2 Nr. 1, § 157a Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Steuerfachgehilfe, beantragte bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Senatsverwaltung für Finanzen) die Zulassung zur Steuerberaterprüfung 1995, wobei er geltend machte, er sei seit dem 1. Januar 1983 hauptberuflich auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern -- überwiegend bei Lohnsteuerhilfevereinen -- praktisch tätig gewesen. Die Senatsverwaltung für Finanzen lehnte den Zulassungsantrag ab, weil ihrer Auffassung nach nur die Tätigkeiten des Klägers vom 1. April 1986 bis 30. September 1988 und vom 16. Januar 1991 (Tag nach der Beendigung der Lehrzeit) bis 12. Juli 1995 (insgesamt 84 Monate) die berufspraktischen Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) erfüllten. Die Klage des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte aus, die vom Kläger geltend gemachte Beschäftigungszeit "bei seinem Vater" bleibe bis einschließlich 9. Oktober 1986 schon deshalb unberücksichtigt, weil der Vater erst am 10. Oktober 1986 zum Steuerberater bestellt worden sei. Die ab diesem Zeitpunkt geltend gemachten berufspraktischen Tätigkeiten erfüllten nicht die 10- Jahresfrist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG. Deshalb bedürfe es keiner Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Klägers, er sei sowohl während seiner Schulzeit (bis Januar 1986) als auch während seiner Ausbildung zum Steuerfachgehilfen (1. September 1988 bis 15. Januar 1991) zeitlich überwiegend bei Lohnsteuerhilfevereinen berufspraktisch auf dem Gebiet der Steuern tätig gewesen.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Vorentscheidung beruhe auf Verfahrensmängeln -- Verletzung der Sachaufklärungspflicht und Verletzung des rechtlichen Gehörs --, weil das FG entgegen seinen Ausführungen im Zulassungsantrag für den Zeitraum seiner berufspraktischen Tätigkeit bis zum 9. Oktober 1986 von einer Beschäftigung bei seinem Vater als Steuerberater und Arbeitgeber ausgegangen sei, ohne ihm Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen. Er sei aber in dieser Zeit für zwei Lohnsteuerhilfevereine tätig gewesen, deren Interessen sein Vater in unterschiedlicher Funktion (u. a. als Beratungsstellenleiter) wahrgenommen und ihn für diese Vereine angestellt und beschäftigt habe. Im übrigen sei das FG schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung auf die Tatsache hingewiesen worden, daß er (der Kläger) durch die Oberfinanzdirektion (OFD) bereits seit dem 16. Februar 1988 als Beratungsstellenleiter eines Lohnsteuerhilfevereins rechtlich anerkannt worden sei. Da diese Anerkennung eine hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens von mindestens drei Jahren voraussetze, folge allein aus dieser Tatsache, daß seine berufspraktischen Tätigkeiten jedenfalls seit dem 15. Februar 1985 für die Berechnung der 10-Jahresfrist zwingend hätten anerkannt werden müssen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Senatsverwaltung für Finanzen zu verpflichten, ihn zur Steuerberaterprüfung zuzulassen, hilfsweise die Sache an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.
Die Senatsverwaltung für Finanzen beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Revision sei gemäß § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen, da sich die Vorentscheidung, auch wenn der gerügte Verfahrensfehler vorliege, aus anderen Gründen als zutreffend erweise. Selbst wenn der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1983 bis 9. Oktober 1986 bei einem Lohnsteuerhilfeverein beschäftigt gewesen sei, könne diese Tätigkeit jedenfalls bis zum April 1986 nicht als hauptberufliche Tätigkeit i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG berücksichtigt werden, da er zu dieser Zeit auch noch die Schule besucht habe. Die Anerkennung des Klägers als Beratungsstellenleiter eines Lohnsteuerhilfevereins durch die OFD am 16. Februar 1988 sei hinsichtlich der Berücksichtigung von berufspraktischen Tätigkeiten i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG für den Zulassungsausschuß nicht bindend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. a) Die Zulassung eines Bewerbers, der -- wie der Kläger -- eine Abschlußprüfung im steuer- und wirtschaftsberatenden Beruf bestanden hat, zur Steuerberaterprüfung setzt nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG voraus, daß er nach Abschluß der Ausbildung hauptberuflich 10 Jahre auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern praktisch tätig gewesen ist. Nach der Übergangsregelung des § 157 a Abs. 3 StBerG gilt die in § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG bestimmte Reihen folge der Vorbildungsvoraussetzungen (hauptberufliche Tätigkeit nach der Abschlußprüfung im Ausbildungsberuf) nicht für die Tätigkeiten, die vor dem 16. Juni 1989 ausgeübt worden sind.
b) Die Entscheidung der Vorinstanz, daß die vom Kläger geltend gemachten berufspraktischen Tätigkeiten schon deshalb nicht die 10-Jahresfrist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erfüllen, weil die Beschäftigungszeit "bei seinem Vater" bis einschließlich 9. Oktober 1986 unberücksichtigt bleiben müsse, weil der Vater erst am 10. Oktober 1986 zum Steuerberater bestellt worden sei, beruht auf einem Verfahrensmangel, der mit der Revision zu Recht gerügt worden ist. Aus dem Antrag des Klägers zur Zulassung zur Steuerberaterprüfung 1995 sowie aus dem Tatbestand des FG-Urteils ergibt sich, daß dieser für den hier streitigen Zeitraum der berufspraktischen Tätigkeit vom 1. Januar 1983 bis 9. Oktober 1986 nicht seinen Vater als Steuerberater, sondern den XYZ- Lohnsteuerhilfeverein e. V. in A als Arbeitgeber benannt hat. Der Vater des Klägers hat nach einer in den Behördenakten befindlichen Bescheinigung als Beratungsstellenleiter dieses Lohnsteuerhilfevereins die Tätigkeit des Klägers als Mitarbeiter und Annahmestellenleiter des Vereins bestätigt. Nach den Ausführungen des FG hat der Kläger sein Vorbringen über die Arbeitgebereigenschaft von zwei von ihm benannten Lohnsteuerhilfevereinen in den Jahren 1983 bis 1988 dahin "berichtigt", daß er seinerzeit von seinem Vater beschäftigt worden sei, der in unterschiedlicher Funktion die Interessen der beiden Lohnsteuerhilfevereine wahrgenommen habe.
Bei dieser Sachlage durfte das FG die vom Kläger behauptete berufspraktische Tätigkeit bis zum 9. Oktober 1986 nicht allein mit der Begründung unberücksichtigt lassen, daß der Vater des Klägers erst nach diesem Zeitpunkt zum Steuerberater bestellt worden sei. Denn nach dem Inhalt der Akten lag es nahe, daß das i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG maßgebliche Beschäftigungsverhältnis des Klägers zu dem bzw. den Lohnsteuerhilfeverein(en) bestand, wenn auch sein Vater in seiner Eigenschaft als Beratungsstellenleiter oder in sonstiger Funktion für den bzw. die Lohnsteuerverein(e) den Anstellungsvertrag mit dem Kläger abgeschlossen haben sollte. Daß das FG auf diese nach dem Vorbringen des Klägers und dem Inhalt der Akten naheliegende Sachverhaltsgestaltung nicht eingegangen ist, stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Entscheidung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO dar. Zumindest liegt ein Verfahrensfehler darin, daß das FG, bevor es ein Beschäftigungsverhältnis allein zum Vater des Klägers annahm, den Sachverhalt nicht von Amts wegen aufgeklärt hat (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), was sich ihm nach der Aktenlage und dem insoweit nicht ganz eindeutigen Sachvorbringen des Klägers hätte aufdrängen müssen.
Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und zur Nachholung entsprechender Feststellungen des FG über die Dauer der nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG anzuerkennenden berufspraktischen Tätigkeiten des Klägers und zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Für die beantragte Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG sieht der Senat keinen Anlaß, da ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des FG nicht ersichtlich sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 126 Rz. 13, m. w. N.).
2. Entgegen der Auffassung der Finanzbehörde reichen die bisherigen Feststellungen des FG nicht aus, um trotz des vorliegenden Verfahrensfehlers die angefochtene gerichtliche Entscheidung im Ergebnis zu bestätigen (§ 126 Abs. 4 FGO). Das FG hat sich ausdrücklich nicht mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt, er sei seit dem 1. Januar 1983 durchgängig hauptberuflich auf dem Gebiet der Steuern tätig gewesen, da er sich auch während seiner Schulzeit (Abitur im Januar 1986) und während der Ausbildung im steuer- und wirtschaftsberatenden Beruf (1. September 1988 bis 15. Januar 1991) zeitlich überwiegend dem daneben bestehenden Beschäftigungsverhältnis zu einem Lohnsteuerhilfeverein gewidmet habe. An der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens mögen Zweifel angebracht sein. Die Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen und ihrer tatsächlichen Würdigung obliegt aber der Tatsacheninstanz. Der Senat vermag deshalb insoweit der Würdigung des FG nicht vorzugreifen. Wenn auch insoweit keinerlei Bindungswirkung besteht, so wird das FG bei seiner tatsächlichen Würdigung auch das Vorbringen des Klägers zu berücksichtigen haben, er sei seit dem 16. Februar 1988 von der OFD als Beratungsstellenleiter eines Lohnsteuerhilfevereins anerkannt, was nach § 23 Abs. 3 StBerG eine einschlägige berufspraktische Tätigkeit von mindestens drei Jahren voraussetzen würde.
In rechtlicher Hinsicht verweist der Senat für die vom FG zu treffende Entscheidung auf sein Urteil vom 19. Mai 1994 VII R 102/93 (BFH/NV 1995, 165), wonach die gesetzlich vorgeschriebene hauptberufliche Tätigkeit -- dort für die Bestellung als Beratungsstellenleiter, insoweit aber ebenso auszulegen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung nach § 36 Abs. 1 und 2 StBerG -- jedenfalls dann gegeben ist, wenn die einschlägige Tätigkeit in etwa dem Umfang einer Halbtagsbeschäftigung entspricht. Das FG wird ggf. zu entscheiden haben, ob die Regelung des § 36 Abs. 3 StBerG i. d. F. des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes (6. StBerÄndG) vom 24. Juni 1994 (BGBl I, 1387), die bei Teilzeitbeschäftigung nur eine anteilmäßige Berücksichtigung der Tätigkeit für die Berechnung der Mindestdauer der berufspraktischen Tätigkeit vorschreibt, auch auf solche Teilzeitbeschäftigungen anwendbar ist, die -- wie hier -- schon vor dem Inkrafttreten des 6. StBerÄndG ausgeübt worden sind. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 157 a Abs. 3 StBerG können allerdings berufspraktische Tätigkeiten auf dem Gebiet der Steuern, die der Kläger vor seiner Abschlußprüfung im steuer- und wirtschaftsberatenden Beruf ausgeübt hat, nur bis zum 15. Juni 1989 berücksichtigt werden. Das würde aber im Streitfall, wenn die geltend gemachten Beschäftigungszeiten vom 1. Januar 1983 bis 15. Juni 1989 und -- seit Beendigung der Lehrzeit -- vom 16. Januar 1991 bis 12. Juli 1995 (Ablehnung der beantragten Zulassung durch die Finanzbehörde) berücksichtigungsfähig wären, wegen der Erfüllung der 10-Jahresfrist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 StBerG der beantragten Zulassung zur Steuerberaterprüfung nicht entgegenstehen.
Fundstellen
Haufe-Index 421727 |
BFH/NV 1997, 154 |