Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenzahlungen aus der NATO-Gruppenversicherung wegen Erwerbsunfähigkeit schließen Anspruch auf Kindergeld nicht aus
Leitsatz (NV)
Der Anspruch auf Kindergeld ist nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ausgeschlossen, wenn der Kindergeldberechtigte aus einer privaten, von der NATO für den Fall der Erwerbsunfähigkeit abgeschlossenen Gruppenversicherung Rentenzahlungen erhält, auf die er einen eigenen Rechtsanspruch gegenüber dem Versicherer hat und deren Bemessungsgrundlage auf der Grundlage der bei Leistungsbeginn zu berücksichtigenden Zahl der Kinder ermittelt wurde, deren Höhe aber in der Folgezeit nicht durch Änderungen der Familienverhältnisse beeinflusst wird.
Normenkette
EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war als Angestellter im zivilen Dienst der NATO in Deutschland beschäftigt. Seit dem September 1996 ist er zu mehr als 66,66 v.H. erwerbsunfähig. Bis zum Eintritt seiner Erwerbsunfähigkeit hatte er gegenüber seiner früheren Arbeitgeberin, der NATO, einen Gehaltsanspruch, der kindbedingte Gehaltszuschläge für insgesamt fünf Kinder umfasste. Von den fünf Kindern lebten nur die drei jüngeren in seinem Haushalt.
Seit September 1996 erhält der Kläger Rentenzahlungen wegen Erwerbsunfähigkeit, die nach einer vom Finanzgericht (FG) eingeholten Auskunft der zuständigen Stelle der NATO auf folgenden Grundlagen beruhen:
Alle Mitglieder des zivilen Personals der NATO werden durch einen NATO-Gruppenversicherungsvertrag bei einer privaten Versicherung mit Sitz in Antwerpen für den Fall der Erwerbsunfähigkeit versichert. Die Beiträge zu dieser Gruppenversicherung werden zu zwei Dritteln vom Arbeitgeber und zu einem Drittel vom Arbeitnehmer gezahlt. Gegenüber der Gruppenversicherung hat der Berechtigte für den Fall einer Erwerbsunfähigkeit von 66,66 v.H. oder mehr einen Anspruch auf Zahlung von 66,66 v.H. der vollen Dienstbezüge einschließlich der kindbedingten Zuschläge, die er an dem für die Erwerbsunfähigkeit maßgeblichen Stichtag erhielt. Die Rente wird bis zum 65. Lebensjahr gezahlt. Die Bemessungsgrundlage ändert sich nicht durch Veränderungen in der familiären Situation des Berechtigten. Die Rente wird gemäß den Änderungen des Verbraucherpreisindexes angepasst.
Außerdem besteht im Falle der Erwerbsunfähigkeit von 66,66 v.H. oder mehr ein Anspruch auf eine Rente nach den NATO-Pensionsrichtlinien in Höhe von 70 v.H. des letzten Grundgehaltes zuzüglich eventueller Zuschläge, z.B. für Kinder (im Folgenden: NATO-Rente). Diese Rente wird an die Veränderungen in der familiären Situation angepasst.
Das Verhältnis der beiden Ansprüche für den Fall der Erwerbsunfähigkeit von 66,66 v.H. oder mehr zueinander ist nach den Bestimmungen der NATO-Pensionsrichtlinien so geregelt, dass die Zahlungen aufgrund der Gruppenversicherung von der NATO-Rente abgezogen werden. Eine NATO-Rente wird deshalb nicht ausgezahlt, wenn die Zahlungen aus der Gruppenversicherung höher sind.
Im Streitfall erhielt der Kläger zunächst von der NATO-Rentenstelle einen Differenzbetrag ausgezahlt, solange Kinderzuschläge für fünf Kinder anzusetzen waren. Nachdem ab August 1998 bei der Ermittlung der NATO-Rente nur noch vier Kinder zu berücksichtigen waren, war der Anspruch des Klägers auf die Rente aus der Gruppenversicherung höher als sein Anspruch auf die NATO-Rente. Die NATO-Rentenstelle stellte deshalb die Zahlung des Differenzbetrages ein.
Der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) hatte dem Kläger mit Bescheid vom 18. Juni 1997 ab September 1996 ein sog. Teilkindergeld gewährt. Mit Schreiben vom 28. September 1998 beantragte der Kläger unter Hinweis darauf, dass die NATO-Rentenstelle die Differenzzahlung eingestellt habe, Kindergeld in voller Höhe. Der Beklagte nahm dies zum Anlass, den Sachverhalt erneut rechtlich zu überprüfen. Er gelangte dabei zu der Auffassung, dem Kläger sei bereits das Teilkindergeld zu Unrecht gewährt worden. Er hob mit Bescheid vom 19. Mai 1999 den Bescheid vom 18. Juni 1997 mit Wirkung ab Juni 1999 auf. Er begründete dies in der Einspruchsentscheidung damit, dass gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Kindergeld nicht für Kinder gezahlt werde, für die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung Leistungen zu zahlen seien, die dem Kindergeld vergleichbar seien. Dem Kläger sei grundsätzlich eine NATO-Rente zu zahlen, die eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung einschließe. Dass der Kinderzuschlag wegen der Anrechnung der NATO-Rente auf die Leistungen aus der Gruppenversicherung tatsächlich nicht ausgezahlt worden sei, sei nicht entscheidend. Der Ausschluss von der Kindergeldzahlung nach § 65 EStG könne nicht von beitragsmäßigen Zufälligkeiten abhängen.
Das FG gab der Klage mit dem Begehren, dem Kläger ab dem 1. Juni 1999 Kindergeld für die drei in seinem Haushalt lebenden Kinder in voller Höhe zu zahlen, statt. Es entschied, die von dem privaten Versicherungsunternehmen aufgrund der Gruppenversicherung gezahlte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei keine Leistung der NATO als zwischen- oder überstaatlicher Einrichtung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Zwar sei das dem Kläger gegenüber zahlungsverpflichtete private Versicherungsunternehmen von der NATO eingeschaltet worden. Dieser Umstand rechtfertige jedoch nicht die Annahme, der private Versicherer löse durch seine Rentenzahlungen an den Kläger eine Leistungsverpflichtung der NATO diesem gegenüber ab. Denn die NATO habe die Gruppenversicherung gerade deshalb zugunsten ihrer Arbeitnehmer abgeschlossen, um keine eigenen Leistungen erbringen zu müssen. Dem Anspruch auf Kindergeld stehe auch nicht entgegen, dass nach § 65 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative EStG auch solche Leistungen anzurechnen seien, die bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären. Denn der Kläger habe aufgrund der höheren Zahlungen aus der Gruppenversicherung keinen realisierbaren Anspruch auf Zahlung der NATO-Rente. Zu einer den Wortlaut erweiternden Auslegung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG bestehe kein Anlass. Denn die Anwendung dieser Vorschrift scheitere auch daran, dass mit den Rentenzahlungen aus der Gruppenversicherung keine dem Kindergeld vergleichbaren "Leistungen für Kinder" erbracht würden. Die kinderbezogenen Leistungen seien zwar in die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Höhe der Rente eingeflossen; die Rente werde aber in dieser Höhe unabhängig davon bis zum 65. Lebensjahr des Klägers gezahlt, ob sich seine familiären Verhältnisse geändert hätten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1507 veröffentlicht.
Der Beklagte rügt mit seiner Revision einen Verstoß gegen § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Entgegen der Auffassung des FG seien die kindbezogenen Leistungen in der privatrechtlichen Rente aus dem Gruppenversicherungsvertrag Leistungen von einer zwischenstaatlichen (oder überstaatlichen) Einrichtung i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Der Anspruch auf die kindbezogenen Leistungen der NATO-Rente habe ab Juni 1999 weiter bestanden und sei lediglich durch die Leistungen aus der Gruppenversicherung ruhend gestellt bzw. ersetzt worden. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG komme es nicht auf die tatsächliche Zahlung der Leistung, sondern nur auf den grundsätzlichen Anspruch an. Der Kläger erhalte die ihm zustehende Rente einschließlich der kindbezogenen Leistungen. Dabei könne es keine Rolle spielen, dass er die Rente aus dem privatrechtlichen Gruppenversicherungsvertrag und nicht unmittelbar die Rente nach den öffentlich-rechtlichen NATO-Pensionsrichtlinien erhalte. Jedenfalls seien die Rentenzahlungen des Versicherungsunternehmens als Surrogat für die eigentlich geschuldeten Rentenzahlungen der NATO anzusehen. Unstreitig habe die Rente aus dem Gruppenversicherungsvertrag Leistungen für die Kinder des Klägers in Höhe von 1 383 DM im Jahre 1996 bis 1 459,85 DM im Juli 2000 enthalten. Im Lichte des Gleichheitsgebots nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sei es nicht gerechtfertigt, dass der Kläger zusätzlich zu diesen Zahlungen auch noch deutsches Kindergeld erhalte. Außerdem sollten nach dem Sinn und Zweck des § 65 EStG kindbezogene Doppelleistungen vermieden werden.
Der Beklagte beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist nicht vertreten. Er hält die Vorentscheidung für richtig.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Kindergeld nicht gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG entfallen ist.
1. Dem Kläger steht nach den zutreffenden Ausführungen des FG gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 64 Abs. 1 und 2, 66 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 und Abs. 4 EStG Kindergeld für drei Kinder unter Berücksichtigung von einem Zählkind für Juni 1999 und von zwei Zählkindern ab Juli 1999 zu. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
2. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass der Anspruch des Klägers auf Kindergeld nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht gezahlt für ein Kind, für das von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung Leistungen für Kinder gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind.
a) Der Kläger hat ab Juni 1999 keine Leistung von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung erhalten. Er hat vielmehr eine Rente aufgrund eines Gruppenversicherungsvertrags von einem privaten Versicherungsunternehmen bezogen. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, dass diese von einer privaten Versicherung gezahlte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht deswegen als Leistung einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung anzusehen ist, weil die NATO als ehemalige Arbeitgeberin des Klägers eine solche Einrichtung ist und weil die NATO durch die Zahlung der Versicherungsprämien dazu beigetragen hat, dass das private Versicherungsunternehmen eine Rente an den Kläger zahlt. Als eigene Leistung der NATO an den Kläger könnte die Rentenzahlung des privaten Versicherers nur dann angesehen werden, wenn nach dem Inhalt des Gruppenversicherungsvertrages nicht der Kläger persönlich, sondern die NATO dem Versicherungsunternehmen gegenüber einen Rechtsanspruch auf Zahlung der Rente hätte. Denn in diesem Fall würde der private Versicherer durch seine Rentenzahlung eine Verpflichtung der NATO gegenüber dem Kläger erfüllen und die unmittelbare Zahlung an den Kläger wäre nur eine Abkürzung des Zahlungsweges. Dies trifft jedoch nicht zu. Das FG hat vielmehr ―von der Revision unbeanstandet― angenommen, dass das Versicherungsunternehmen dem Kläger gegenüber zahlungsverpflichtet sei und dieser aufgrund seiner eigenen Beiträge einen eigenen Rechtsanspruch gegenüber der Versicherung erworben habe. Dementsprechend hat die Versicherung durch ihre direkte Zahlung an den Kläger nicht eine Verpflichtung der NATO, sondern eine eigene Verpflichtung dem Kläger gegenüber erfüllt.
b) Der Senat teilt ferner die Auffassung der Vorinstanz, dass die Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG auch deshalb nicht vorliegen, weil die Rentenzahlungen aufgrund des Gruppenversicherungsvertrages keine Leistungen enthalten, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Als dem Kindergeld vergleichbar können nur solche Leistungen angesehen werden, die davon abhängen, dass der Empfänger zumindest bei typisierender Betrachtung mit Unterhaltsleistungen für Kinder belastet ist, und die folglich entfallen, wenn die Kinder nicht mehr wirtschaftlich abhängig sind. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Vielmehr wird die einmal errechnete Erwerbsunfähigkeitsrente unabhängig vom Alter und der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Kinder gezahlt. Dass in die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Rente eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung des bisherigen Arbeitgebers eingeflossen ist, begründet noch keine mit dem Kindergeld vergleichbare Leistung.
c) Zu einer anderen Beurteilung des Streitfalles führt auch nicht, dass es nach § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG für den Wegfall des Anspruchs auf Zahlung von Kindergeld ausreicht, dass eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre. Zwar hätte die für den Fall der Erwerbsunfähigkeit zu zahlende NATO-Rente im Falle ihrer Auszahlung solche Leistungen enthalten, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Denn die Höhe der NATO-Rente hängt davon ab, ob der Berechtigte Kinder hat, und ändert sich, wenn sich die einschlägigen familiären Verhältnisse ändern. Aber aufgrund der vom FG festgestellten Regeln über das Verhältnis der Rente aus der privaten Gruppenversicherung zu der NATO-Rente steht fest, dass der Kläger insoweit kein Wahlrecht hatte und es ihm nicht möglich gewesen wäre, anstelle der Rente aus der Gruppenversicherung durch einen entsprechenden Antrag die Zahlung der NATO-Rente herbeizuführen. Denn das Rangverhältnis zwischen diesen beiden Ansprüchen war in den NATO-Pensionsrichtlinien bindend festgelegt und nicht antragsabhängig. Solange die eigenen Rechtsansprüche des Klägers aus der Gruppenversicherung höher waren als die NATO-Rente, wurde letztere vollständig verdrängt.
d) Da im Streitfall weder eine Leistung von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung ausgezahlt wurde noch der ausgezahlte Betrag eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung enthält, kommt eine analoge Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG auf den Sachverhalt des Streitfalles nicht in Betracht. Soweit der Beklagte das vom FG gewonnene und vom Senat bestätigte Ergebnis im Lichte des Gleichheitsgebots des Art. 3 GG als unbefriedigend empfindet, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Die herkömmlichen Auslegungsmethoden ermöglichen es nicht, einen gesetzlichen Tatbestand, der einen zunächst gewährten Rechtsanspruch enumerativ, d.h. für genau bezeichnete Sachverhalte ausschließt, zu Lasten des Berechtigten beliebig auf andere Sachverhalte zu erstrecken. Vielmehr müsste insoweit eine Gesetzeslücke festgestellt werden können. Das ist hier nicht möglich. Denn es ist durchaus fraglich, ob der Gesetzgeber den Anspruch auf Zahlung von Kindergeld auch dann hätte ausschließen wollen, wenn der Kindergeldberechtigte mit teilweise eigenen Mitteln eine private Versicherung abgeschlossen hat, bei der Kinderzulagen des Arbeitgebers zwar in die Bemessungsgrundlage der Versicherungsleistung einfließen, bei der sich aber die einmal zugrunde gelegte Bemessungsgrundlage für die Rente auch dann nicht ändert, wenn sich die familiären Verhältnisse ändern.
Fundstellen
Haufe-Index 838673 |
BFH/NV 2002, 1431 |
HFR 2002, 1103 |