Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten bei Zwischenschaltung einer ausländischen Basisgesellschaft mit unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen
Leitsatz (NV)
Werden Wertpapiere von einer ausländischen Basisgesellschaft unter den Voraussetzungen des § 42 AO 1977 verwaltet, dann ändert sich an der Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs nichts, wenn die Basisgesellschaft die Führung eines Hotels zusätzlich übernimmt, ohne jedoch das damit normalerweise verbundene Haftungs- und Kostenrisiko zu tragen.
Normenkette
FGO § 126 Abs. 5; ZPO § 565 Abs. 2; StAnpG § 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtszug.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine im Jahre 1962 gegründete Kapitalgesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die in der Zeit vom 1. Mai 1968 bis zum 31. Dezember 1971 aus dem Besitz von Aktien inländischer Aktiengesellschaften dem Kapitalertragsteuerabzug unterworfene Dividenden bezog. Gesellschafter der Klägerin waren die Eheleute X. Der Ehemann betrieb im Inland ein Einzelunternehmen und hielt außerdem sämtliche Geschäftsanteile an einer GmbH. Ferner war er Eigentümer umfangreichen Grundbesitzes. Daneben gehörten ihm in A (Schweiz) das Hotel ,,B", die Villa ,,C" und bis 1968 auch die Villa ,,D". Er war außerdem Eigentümer eines Forst- und Jagdreviers. Schließlich war er an einigen GmbH beteiligt und besaß ein umfangreiches Wertpapiervermögen. Zum 1. Januar 1963 betrug das vermögensteuerliche Inlandsvermögen der Eheleute rd. . . . DM.
Die Klägerin wurde mit einem Stammkapital von . . . sfr gegründet. Hierauf übernahm der Ehemann als Anteilseigner eine Stammeinlage von . . . sfr und die Ehefrau eine solche von . . . sfr. Die Klägerin erwarb nach ihrer Gründung von ihren Gesellschaftern Wertpapiere zum Kaufpreis von . . . DM. Der Kaufpreis entsprach dem damaligen Nominalwert der Wertpapiere. Der Kurswert lag bei . . . DM. Die Wertpapiere wurden bei einer schweizerischen Bank deponiert.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin war der Erwerb sowie das Halten und Verwalten von Beteiligungen an in- und ausländischen Gesellschaften, die Finanzierung von solchen Gesellschaften sowie der An- und Verkauf von Wertschriften jeder Art, einschließlich des Erwerbs und der Veräußerung von Immobilien. Bis 1967 einschließlich verwaltete die Klägerin nur Wertpapiere. Im Jahre 1968 pachtete sie von ihrem Gesellschafter das Hotel ,,B" in A. Seit dem 1. Mai 1968 führte sie dieses Hotel im eigenen Namen. Außerdem erwarb sie im Jahre 1968 von ihrem Gesellschafter die ,,Villa D" in A, renovierte und erweiterte sie und nutzte sie anschließend als Mietwohnhaus. In den Jahren 1968 bis 1971 schichtete die Klägerin ihren Wertpapierbesitz um. Die Aktien an inländischen Gesellschaften wurden verkauft und durch solche an ausländischen Gesellschaften ersetzt.
Geschäftsführer der Klägerin war zunächst der schweizerische Staatsangehörige und Bankfachmann Y, der noch für über 50 andere Gesellschaften als Geschäftsführer, Verwaltungsrat u. ä. beschäftigt war. Im Jahre 1970 verlegte die Klägerin ihren Sitz nach A. Geschäftsführer wurden nunmehr die schweizerischen Staatsangehörigen U und V. U war im Hauptberuf Zweigstellenleiter einer schweizerischen Bank in A. V war der Geschäftsführer des Hotels ,,B". Später war U alleiniger und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Klägerin.
Die Klägerin erzielte in den Wirtschaftsjahren 1968/69 bis 1971/72 folgende Gewinne: . . .
In der Zeit vom 1. Mai 1968 bis zum 31. Dezember 1971 bezog die Klägerin aus ihren Aktien an inländischen Gesellschaften Dividenden, von denen 25 v. H. Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde. Die Klägerin beantragte bei den ursprünglich zuständigen Finanzämtern (FA) die Erstattung von Kapitalertragsteuer insgesamt in Höhe von . . . DM gemäß Art. 6 Abs. 3 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 i. d. F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz 1931/59 - (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006). Die FA lehnten die Anträge ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Bundesamt für Finanzen - BfF -) wiederholte nach dem Übergang der Zuständigkeit (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes i. d. F. vom 30. August 1971 - FVG -, BGBl I, 1426) auf das BfF teilweise die Ablehnung durch Verfügung vom 28. Januar 1972. Die Einsprüche der Klägerin blieben ohne Erfolg.
Auf die Klage der Klägerin hob das Finanzgericht (FG) im ersten Rechtszug die Ablehnungsbescheide auf und verpflichtete das BfF, Kapitalertragsteuer in Höhe von . . . DM an die Klägerin zu erstatten. Auf die Revision des BfF hob der erkennende Senat die Vorentscheidung durch Urteil vom 5. März 1986 I R 201/82 (BFHE 146, 158, BStBl II 1986, 496) auf und verwies die Sache an das FG zurück. Aufhebungsgrund war die unzutreffende Auslegung des § 6 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) durch das FG. Zurückverweisungsgrund waren die fehlenden tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob die Verbindung des Hotelbetriebes mit der Wertpapierverwaltung im Streitfall ausnahmsweise mißbräuchlich i. S. des § 6 Abs. 1 StAnpG sei. Verneinendenfalls sei weiter festzustellen, welche Dividendenzahlungen auf die Zeit ab dem 1. Mai 1968 entfielen.
Im zweiten Rechtszug hob das FG die Ablehnungsbescheide des BfF erneut auf und verpflichtete das BfF, entsprechend dem reduzierten Klageantrag Kapitalertragsteuer in Höhe von . . . DM an die Klägerin zu erstatten.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das BfF die unrichtige Anwendung des § 6 StAnpG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Befindet sich ein Rechtsstreit im zweiten Rechtszug, so hat das FG seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisenden Urteil zugrunde zu legen (§ 126 Abs. 5 FGO). Zwar besteht die Bindungswirkung nach dem Wortlaut des Gesetzes nur gegenüber dem FG. Der BFH hat jedoch § 126 Abs. 5 FGO in ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 1989 V R 137/84, BFHE 157, 28, BStBl II 1989, 660 m. w. N.) dahin interpretiert, daß auch er im zweiten Rechtszug an die dem zurückverweisenden Urteil im ersten Rechtszug zugrunde liegende Rechtsauffassung gebunden ist. Dies gilt auch dann, wenn die dem zurückverweisenden Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung aufgrund einer erneuten rechtlichen Überprüfung unzutreffend erscheint. Zwar entfällt die Bindungswirkung in besonderen Ausnahmefällen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 126 Rdnr. 21 ff.). Die Voraussetzungen dafür sind jedoch im Streitfall offensichtlich nicht erfüllt.
2. Die Bindung besteht nur hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung durch den BFH. § 126 Abs. 5 FGO ist insoweit weiter als z. B. § 565 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gefaßt, der von der rechtlichen Beurteilung spricht, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist. Der BFH hat daraus in ständiger Rechtsprechung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 126, Rdnr. 16) gefolgert, daß eine Bindung an die anläßlich der ,,Zurückverweisung" vertretene rechtliche Beurteilung besteht. Dies gilt zumindest für jede abschließende rechtliche Beurteilung, die der BFH in dem zurückverweisenden Urteil vorgenommen hat.
3. In BFHE 146, 158, BStBl II 1986, 496, ist der erkennende Senat davon ausgegangen, daß das FG in seinem Urteil vom 23. Juni 1983 § 6 Abs. 1 StAnpG falsch ausgelegt habe. Er hat damals eine auch für die heutige Entscheidung noch verbindliche Auslegung des § 6 Abs. 1 StAnpG vorgenommen.
Danach war die Zwischenschaltung der Klägerin zumindest für die Zeit bis zum 30. April 1968 bezogen auf das Wertpapiervermögen und die aus ihm erzielten Erträge rechtsmißbräuchlich. Ob Entsprechendes auch für die Zeit ab dem 1. Mai 1968 bis zum 31. Dezember 1971 gilt, wurde damals nicht abschließend entschieden. Der Senat hat jedoch schon damals allgemein die Auffassung vertreten, daß dann, wenn eine zwischengeschaltete ausländische Gesellschaft eine eigenständige erwerbswirtschaftliche Funktion hat und sie dieser Funktion nachkommt, im Regelfall steuerrechtlich keine Möglichkeit besteht, bestimmte Einkunftsteile oder Vermögensgegenstände der ausländischen Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt des § 6 Abs. 1 StAnpG einem hinter ihr stehenden Gesellschafter zuzurechnen. Dies gelte auch dann, wenn die Einkunftsteile oder Vermögensgegenstände in keinem objektiven Zusammenhang zu der erwerbswirtschaftlichen Funktion der Gesellschaft stünden. Der Senat hat damals ferner anerkannt, daß die Klägerin einer eigenen erwerbswirtschaftlichen Betätigung nachgegangen war. Sie übernahm ab dem 1. Mai 1968 den Betrieb des Hotels B in A.
4. Damit war und ist im zweiten Rechtszug nur noch darüber zu entscheiden, ob die Verbindung des Hotelbetriebs und der Wertpapierverwaltung ausnahmsweise mißbräuchlich i. S. des § 6 Abs. 1 StAnpG war. Dazu hat das FG an Hand eines Vergleichs des Umsatzes aus dem Hotelbetrieb mit den ordentlichen Erträgen aus dem Wertpapiervermögen festgestellt, daß der Hotelbetrieb nicht von völlig untergeordneter Bedeutung war. Diese Feststellung war möglich. Die Prüfung der Unangemessenheit einer Gestaltung gehört zu einem wesentlichen Teil in den Bereich der tatsächlichen Feststellungen. Deshalb war es im Streitfall die Sache des FG zu entscheiden, welchem Kriterium bei der Beurteilung der Vorrang einzuräumen ist. Gegenüber der Entscheidung des FG hat das BfF keine durchgreifenden Rügen i. S. des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO erhoben. Die Entscheidung des FG verstößt auch nicht gegen Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze. Deshalb ist der erkennende Senat an sie gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Entsprechend kann ein denkbarer Gestaltungsmißbrauch nur aus anderen Gründen abgeleitet werden.
5. Zu diesen anderen Gründen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß nach seiner Überzeugung die nachträgliche Verbindung des bis zum Verbindungszeitpunkt mißbräuchlichen passiven Erwerbs mit dem Hotelbetrieb allein dem Zweck gedient habe, sich durch diese Verbindung den bisher von der Finanzverwaltung verweigerten ,,Steuervorteil" bezüglich der Einkünfte aus Vermögensverwaltung zu sichern. Es hat ferner festgestellt, daß die Klägerin hinsichtlich des Hotelbetriebes kein wesentliches Haftungs- und Kostenrisiko übernahm. Beide Feststellungen sprechen für sich genommen dafür, daß - wie es das FG Nürnberg in seinem Urteil vom 17. November 1987 VI 282/82 ausgeführt hat - der Hotelbetrieb nur als ,,Alibitätigkeit" übernommen wurde. Sollte dies der Fall sein, so müßte steuerrechtlich ein Gestaltungsmißbrauch i. S. des § 6 Abs. 1 StAnpG angenommen werden. Zwar weist das FG in der Vorentscheidung zutreffend darauf hin, daß eine Gestaltung nicht schon allein wegen der mit ihr verfolgten Steuerersparnisabsicht mißbräuchlich ist. Sie wird jedoch mißbräuchlich, wenn sie, gemessen an dem angestrebten Ziel, unangemessen, also ungewöhnlich ist und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 1980 IV R 81/77, BFHE 132, 89, 93, BStBl II 1981, 223, 225; vom 13. Dezember 1983 VIII R 173/83, BFHE 140, 440, 444, BStBl II 1984, 428, 430; vom 29. Oktober 1985 IX R 107/82, BFHE 145, 351, 357, BStBl II 1986, 217, 220; vom 23. Juni 1988 IV R 139/86, BFHE 154, 89, 92, BStBl II 1988, 1001, 1002). Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann erfüllt, wenn trotz der gewählten Gestaltung wirtschaftlich alles beim alten bleibt. Davon ist im Streitfall jedenfalls dann auszugehen, wenn das Wertpapiervermögen für die mit dem Hotelbetrieb typischerweise verbundenen wirtschaftlichen Risiken auf Grund von getroffenen Vereinbarungen nicht einzustehen hat.
6. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Es hat geglaubt, die allgemeinen Ausführungen des Senats in BFHE 146, 158, BStBl II 1986, 496, zu einer gemischttätigen Auslandsgesellschaft dahin verstehen zu müssen, daß es mit Rücksicht auf den geführten Hotelbetrieb einer Prüfung wirtschaftlich vernünftiger Gründe für die ausgeübte Vermögensverwaltungstätigkeit nicht mehr bedürfe. Diese Auffassung ist schon deshalb fehlerhaft, weil der Senat auf ihrer Grundlage am 5. März 1986 die Klage hätte zusprechen müssen. Die Zurückverweisung der Sache an das FG gerade auch in dem hier angesprochenen Punkt diente dem Ziel, dem FG Gelegenheit zu geben, auf der Grundlage einer geänderten Rechtsauffassung das Vorliegen vernünftiger wirtschaftlicher Gründe für die gewählte Gestaltung auch in tatsächlicher Hinsicht erneut prüfen zu können. Als unangemessene Gestaltung war dabei nicht die Übernahme des Hotelbetriebes in Betracht zu ziehen. Unangemessen kann nur die Erzielung der Einkünfte aus dem Wertpapiervermögen durch die Klägerin sein. Insoweit war vom FG die Frage zu beurteilen, ob diese Einkünfteerzielung durch die Klägerin deshalb eine steuerrechtlich relevante Veränderung erfuhr, weil die Klägerin ab dem 1. Mai 1968 auch noch den Hotelbetrieb übernahm. Dies wird dann zu verneinen sein, wenn trotz der Übernahme des Hotelbetriebes alles beim alten blieb, d. h. wenn die beiden Aufgabengebiete völlig getrennt voneinander gehalten und das Wertpapiervermögen die typischen wirtschaftlichen Risiken des Hotelbetriebes nicht getragen haben sollte.
7. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Die Beurteilung der Frage, ob wirtschaftlich vernünftige Gründe für eine bestimmte Gestaltung vorhanden sind, liegt weitgehend auf dem Gebiet tatsächlicher Feststellungen. Ihre Beantwortung ist insoweit die Aufgabe des FG. Entsprechend muß ihm die abschließende Würdigung der festgestellten Tatsachen vorbehalten bleiben. Der Senat kann seine Würdigung nicht an die Stelle der Würdigung des FG setzen. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 418075 |
BFH/NV 1992, 271 |