Leitsatz (amtlich)
Maßgebend für die Steuerbefreiung nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG (Bayern) ist, daß jemand ein Grundstück zur Errichtung eines Gebäudes der im Gesetz beschriebenen Art erwirbt und dieses innerhalb der Fünfjahresfrist des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrESWG errichtet. Die auf Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG gestützte Versagung der Steuerbefreiung ist jedenfalls in solchen Fällen nicht mehr mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes zu vereinbaren, in denen zwar der Erwerber die Bauabsicht im Zusammenhang mit einem Weiterverkauf des Grundstücks aufgibt, dieser aber an den wirtschaftlichen Verhältnissen des neuen Käufers scheitert, und der ursprüngliche Erwerber deshalb nach Rückgängigmachung des Kaufvertrags seine Bauabsicht wiederaufnimmt. Eine zwischenzeitlich nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG erfolgte Nachversteuerung ist nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG zurückzunehmen.
Normenkette
GrESWG (Bayern) Art. 1 Nr. 1a, Art. 4 Abs. 1 Sätze 1-2; StAnpG § 4 Abs. 3 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Herr B kauften am 21. März 1967 ein Grundstück je zur ideellen Hälfte, um darauf mehrere steuerbegünstigte Eigentumswohnungen zu bauen (Kaufvertrag I). Das beklagte FA stellte den Erwerb unter Bezugnahme auf Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau vom 11. Februar 1954 (Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts III S. 438) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 12. November 1958 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt S. 330) - GrESWG - vorläufig von der Grunderwerbsteuer frei. Noch vor Baubeginn verkauften der Kläger und Herr B am 16. Oktober 1967 das Grundstück an Herrn M und vereinbarten die Auflassung (Kaufvertrag II). Daraufhin erhob das FA die Grunderwerbsteuer gemäß Art. 4 GrESWG durch Bescheid vom 30. Oktober 1967 nach; der Bescheid wurde rechtskräftig. Bevor Herr M als Eigentümer im Grundbuch eingetragen war, hoben die Vertragsparteien den Kaufvertrag II durch Vertrag vom 12. Juni 1968 auf. Nach der unbestrittenen Behauptung des Klägers erfolgte die Vertragsaufhebung, weil ein Gläubiger des Klägers eine in dem Kaufvertrag II vereinbarte Schuldübernahme durch Herrn M nicht genehmigte. Auf Grund der Aufhebung des Kaufvertrags II beantragte der Kläger die Erstattung der nacherhobenen Grunderwerbsteuer. Er und Herr B hätten ihre ursprüngliche Absicht durchgeführt und mit dem Bau der Wohnungen begonnen.
Das FA lehnte die beantragte Erstattung mit Bescheiden vom 26. August 1968 ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das FG begründete die Klageabweisung wie folgt: Das FA habe die Grunderwerbsteuer zu Recht nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG nacherhoben, da der Kläger seine Bauabsicht wegen der Erwägungen, die zur Weiterveräußerung des Grundstücks an Herrn M geführt hätten, aufgegeben habe. Diese Aufgabe des ursprünglich begünstigten Zwecks sei auch nicht dadurch rückwirkend weggefallen, daß der Kläger nach Aufhebung des Kaufvertrags II seine ursprüngliche Bauabsicht wieder aufgenommen habe. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG lägen deshalb nicht vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung sowie des Ablehnungsbescheids des FA und zur Verpflichtung des FA, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO).
Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Zurücknahme des Bescheids vom 30. Oktober 1967 und auf Erstattung der daraufhin bezahlten Grunderwerbsteuer nach § 4 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 StAnpG verneint.
a) Die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen das FA die Steuer gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG nacherhoben hat, haben sich nachträglich mit Wirkung für die Nachversteuerung geändert (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG). Der Kläger hat innerhalb der Frist des § 4 Abs. 2 Satz 2 StAnpG die Zurücknahme des Steuerbescheids beantragt.
Spätestens mit dem Abschluß des Kaufvertrages II hatte der Kläger zwar seine Bauabsicht und damit den mit dem Erwerb des Grundstücks erstrebten steuerbegünstigten Zweck aufgegeben. Dieses für die Nacherhebung gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG maßgebende Merkmal ist aber mit Wirkung für die Nacherhebung der Grunderwerbsteuer und damit rückwirkend im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG wieder weggefallen, nachdem der Kaufvertrag II aufgehoben worden war und der Kläger seine früheren Baupläne erneut verfolgte.
Eine einmal aufgegebene Absicht kann zwar nicht in dem Sinne rückwirkend wiederaufgenommen werden, daß die ursprüngliche Absicht weiterbesteht; wohl aber können von Rechts wegen an die Wiederaufnahme der Absicht dieselben Rechtsfolgen geknüpft werden, wie wenn diese nicht aufgegeben worden wäre. Das ist hier der Fall: Maßgebend für die Steuerbefreiung nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG ist, daß jemand ein Grundstück zur Errichtung eines bestimmten Voraussetzungen entsprechenden Gebäudes erwirbt und dieses fristgemäß errichtet. Die Nachversteuerung tritt deshalb nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrESWG in erster Linie dann ein, wenn das Grundstück nicht fristgemäß zu diesem begünstigten Zweck verwendet wird. Demgegenüber tritt die Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG in ihrer Bedeutung zurück. Sie soll zwar verhindern, daß die Steuer erst nach Ablauf der Frist des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrESWG erhoben werden kann, obwohl schon vorher mit einer Erfüllung des steuerbegünstigten Zweckes nicht mehr zu rechnen ist; ihr Sinn kann aber nicht sein, die Steuerbefreiung nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG auch dann endgültig zu versagen, wenn der Zweck dieser Vorschrift doch noch fristgerecht erreicht werden kann. In diesen Fällen steht die Nachversteuerung unter dem stillschweigenden Vorbehalt der Nichterreichung des begünstigten Zwecks und ist nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG zurückzunehmen, wenn er doch noch erreicht wird.
Die endgültige Versagung der Steuerbefreiung wäre jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden nicht mehr mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes zu vereinbaren, in denen der Erwerber die Bauabsicht in Zusammenhang mit einem Weiterverkauf des Grundstücks aufgibt, dieser an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Käufers scheitert und der ursprüngliche Erwerber deshalb bei Rückgängigmachung des Kaufvertrags seine Bauabsicht wieder aufnimmt. Ähnlich wie bei derartigen gescheiterten Verkäufen entweder wegen der Nichtigkeit oder Anfechtung des Erwerbsvorgangs oder unter den Voraussetzungen des § 17 GrEStG keine Grunderwerbsteuer erhoben wird, muß der Veräußerer auch bezüglich seines vorangegangenen Erwerbs in die Lage versetzt werden, den damit ursprünglich verfolgten Zweck steuerbegünstigt wieder aufzunehmen.
b) Der Senat ist jedoch gehindert, die Verpflichtung des FA zur Zurücknahme des Steuerbescheids vom 30. Oktober 1967 auszusprechen. Das FA konnte bisher keine Feststellungen darüber treffen, ob der Kläger den steuerbegünstigten Zweck in der Fünfjahresfrist des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GrESWG erfüllt hat. Wäre dies nicht der Fall, so wäre für den in Frage stehenden Erwerbsvorgang (Kaufvertrag I) doch noch Grunderwerbsteuer entstanden und eine Verpflichtung des FA zur Zurücknahme des Steuerbescheids nicht mehr gerechtfertigt.
Fundstellen
Haufe-Index 71021 |
BStBl II 1974, 691 |
BFHE 1975, 134 |