Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorübergehende Übertragung eines Grundstücks zur Kiesausbeute
Leitsatz (NV)
1. Wird das Eigentum an einem Grundstück nur vorübergehend und zu Bedingungen übertragen, die dem Erwerber wirtschaftlich gesehen eher die Stellung eines Pächters oder Nießbrauchsberechtigten geben, so wird dadurch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht ausgeschlossen.
2. § 1 Abs. 1 GrEStG begnügt sich mit der zivilrechtlichen Übertragung des Eigentums am Grundstück bzw. mit der Begründung des Anspruchs darauf (Rechtsträgerwechsel). Nicht erforderlich ist, daß die mit dem Eigentum regelmäßig verbundenen Befugnisse mit übertragen werden.
Normenkette
GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin schloß am . . . mit dem Land A einen notariell beurkundeten Vertrag. Durch diesen verpflichtete sich das Land, aus einem ihm gehörenden Flurstück an die Klägerin zur Kiesausbeute in vier zeitlich aufeinanderfolgenden Abschnitten (noch zu bildende) Grundstücke zu veräußern. Die Klägerin verpflichtete sich zum Abschluß solcher Verträge mit der Maßgabe, die gekauften Flächen weder zu belasten noch an Dritte zu veräußern. Außerdem verpflichtete sie sich, die jeweils ausgebeuteten Teilflächen unentgeltlich und lastenfrei auf das Land zurückzuübertragen. Das Land sollte berechtigt sein, spätestens vier Jahre nach dem jeweiligen Erwerb die Rückauflassung unabhängig vom Zustand der jeweiligen Teilfläche zu verlangen. Zur Sicherung dieses Anspruchs sollten jeweils Rückauflassungsvormerkungen eingetragen werden. Im Vollzug dieses Vertrages schlossen die Beteiligten im Jahr 1984 einen weiteren notariell beurkundeten Vertrag. In diesem verpflichtete sich das Land, eine noch zu vermessende Teilfläche von ca. 2,45 ha auf die Klägerin zu übertragen. Der Kaufpreis betrug . . . DM. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Klägerin nach vier Jahren zur Rückauflassung dieser Teilfläche verpflichtet sei. Die Eintragung einer entsprechenden Rückauflassungsvormerkung wurde bewilligt und beantragt.
Das beklagte Finanzamt (FA) sah in dem Vertrag vom . . . 1984 einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 steuerpflichtigen Vorgang. Es setzte durch Bescheid vom 4. Oktober 1985 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest.
Hiergegen richtete sich die Klage. Zu deren Begründung trug die Klägerin im wesentlichen vor: Der Vertrag stelle keinen grunderwerbsteuerlichen Vorgang dar. Der Kaufpreis sei ausschließlich nach dem Wert des Kiesaufkommens bemessen. Damit habe die Klägerin lediglich wirtschaftlich gesehen ein Mineralgewinnungsrecht erworben. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in mehreren Entscheidungen zum Ertragsteuerrecht bei weitgehend gleichgelagerten Sachverhalten das Vorliegen eines Grundstückskaufvertrages verneint und statt dessen einen Pachtvertrag angenommen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Es hat den Steuerbescheid und den diesen bestätigenden Einspruchsbescheid aufgehoben. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 sei nach seinem Wortlaut zwar erfüllt, gleichwohl greife die Steuerpflicht nicht ein, weil dies dem Entscheidungsfall nicht gerecht werde. Die Klägerin habe keine Rechtsmacht über das Grundstück erlangt, die das Eigentum als allumfassende Herrschaftsmacht über einen Gegenstand auszeichne. Die Klägerin habe lediglich eine Rechtsposition erlangt, die dem eines Nießbrauchsberechtigten entspreche. Der Erwerb eines Nießbrauchrechts an einem Grundstück werde vom GrEStG nicht erfaßt.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 unzutreffend ausgelegt.
Nach dieser Vorschrift unterliegt ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet, der Grunderwerbsteuer. Durch den notariell beurkundeten Vertrag vom . . . 1984 erhielt die Klägerin einen Anspruch auf Übertragung eines (noch zu bildenden) Grundstücks. Damit ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 erfüllt.
Der Auffassung des FG, die besonderen Umstände des Streitfalles stünden der Tatbestandsverwirklichung entgegen, vermag der Senat nicht zu folgen.
Die Tatsache, daß der Klägerin gegenüber der sonst mit dem Eigentum an einem Grundstück verbundenen Rechtsstellung nur eingeschränkte Befugnisse übertragen werden sollten mit der Folge, daß wirtschaftlich gesehen ihre Stellung eher einem Pächter oder Nießbrauchberechtigten gleichkommt, schließt die Tatbestandsmäßigkeit des zivilrechtlich bestehenden Anspruchs auf Übereignung nicht aus. § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 begnügt sich mit der zivilrechtlichen Übertragung des Eigentums am Grundstück bzw. der Begründung des Anspruchs darauf (Rechtsträgerwechsel). Die Vorschrift verlangt nicht, daß die mit dem Eigentum regelmäßig verbundenen Befugnisse mitübertragen werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Aufbau des § 1 GrEStG 1983, insbesondere dem Verhältnis der Absätze 1 und 2 der Vorschrift. Danach können sowohl die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums (Abs. 1) als auch - ohne Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums - die Übertragung der wirtschaftlichen Verwertungsbefugnis (Abs. 2) die Steuer auslösen. Daraus folgt jedoch auch, daß Absatz 1 gerade nicht voraussetzt, daß zugleich die wirtschaftliche Verwertungsbefugnis mitübertragen wird. Diese Auslegung wird bestätigt durch die Regelung des § 1 Abs. 6 GrEStG 1983, nach der ein in den Absätzen 1, 2 oder 3 bezeichneter Rechtsvorgang auch dann der Steuer unterliegt, wenn ihm ein in einem anderen dieser Absätze bezeichneter Rechtsvorgang vorausgegangen ist. Danach ist es denkbar, daß einem Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 ein nach Absatz 2 der Vorschrift steuerbarer Vorgang nachfolgt. Dem läßt sich entnehmen, daß das Gesetz grundsätzlich davon ausgeht, daß die Erfüllung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 nicht von einer Mitübertragung der wirtschaftlichen Verwertungsbefugnis abhängig ist.
Die zur Einkommensteuer entwickelte Betrachtungsweise (vgl. Urteil des BFH vom 5. Oktober 1973 VIII R 78/70, BFHE 111, 43, BStBl II 1974, 130) läßt sich auf die Grunderwerbsteuer nicht übertragen.
Auch die Tatsache, daß im Streitfall die Übereignung des Grundstücks nach einer bestimmten Zeit wieder rückgängig gemacht werden soll, schließt die Verwirklichung des Steuertatbestandes nicht aus. Nach § 16 GrEStG 1983 ist die Rückgängigmachung einer Eigentumsübertragung nur privilegiert, wenn sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums oder aus bestimmten Gründen erfolgt. Im Umkehrschluß folgt daraus, daß weder der Rückerwerb als solcher die Tatbestandserfüllung vernichtet noch die Verpflichtung zur Rückübertragung der Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 entgegensteht.
Die Entscheidung des FG beruht auf anderen Grundsätzen. Sie ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 417412 |
BFH/NV 1991, 624 |